Neue DRK-Fachinfo zu aktuellen EuGH Entscheidungen zum Familiennachzug

Der DRK-Suchdienst hat eine neue Fachinformation zu zwei aktuellen Entscheidungen des EuGH zum Familiennachzug veröffentlicht. Diese grundlegenden Urteile bestätigen frühere Entscheidungen des Gerichtshofs zum Beurteilungszeitpunkt der Minderjährigkeit, die bisher in der deutschen Rechtspraxis nicht angewandt wurden. Die daraus folgenden weitreichenden Auswirkungen auf die Beratungspraxis werden in der Fachinformation dargestellt.

Download der Fachinformation des DRK-Suchdienstes

Anfang August traf der EuGH zwei wichtige Entscheidungen in Verfahren aus Deutschland zum Familiennachzug zu anerkannten Flüchtlingen. Dabei stellte der EuGH unter anderem erneut fest, dass es sowohl beim Nachzug von Kindern zu ihren Eltern (Rechtssache „XC“ asyl.net: M30815) als auch von Eltern zu ihren Kindern (Rechtssache „SW, BL und BC“ asyl.net: M30811) bei der Beurteilung der Minderjährigkeit der betroffenen Kinder auf den Zeitpunkt ankommt, zu dem die in Deutschland als Flüchtling anerkannte Person ihren Asylantrag gestellt hat. Die Entscheidungen ergingen auf Vorlagen des BVerwG vom 23. April 2020 (asyl.net: M28542 und M28541).

Die Fachinformation weist darauf hin, dass der EuGH sich hierzu bereits eindeutig geäußert hatte und führt die einschlägigen Entscheidungen auf:

  • Urteil vom 12. April 2018 in der Rechtssache „A und S“ in einem niederländischen Verfahren zum Elternnachzug (asyl.net: M26143).
  • Urteil vom 16. Juli 2020 in den verbundenen Rechtssachen „B.M.M. u.a.“ aus Belgien zum Kindernachzug (asyl.net: M28868).

Das für Nachzugsverfahren zuständige Auswärtige Amt hatte sich jedoch unter Bezug auf Rechtsprechung des BVerwG auf den Standpunkt gestellt, dass diese EuGH-Entscheidungen der Jahre 2018 und 2020 nicht auf die Rechtslage in Deutschland anwendbar seien. In der Fachinformation wird diese bisherige deutsche Rechtspraxis kurz dargestellt: Nach der vom Auswärtigen Amt vertretenen Auffassung kam es für die Beurteilung der Minderjährigkeit beim Kindernachzug auf den Zeitpunkt des Nachzugsantrags bzw. beim Elternnachzug auf den Zeitpunkt der Visumserteilung bzw. der nachfolgenden Einreise an. Dies führte zu dem Ergebnis, dass der Anspruch auf Familiennachzug verloren ging, wenn die betroffenen minderjährigen Personen während des laufenden Visumverfahrens volljährig wurden. Der EuGH hat in seinen Entscheidungen nun auch in Bezug auf die Rechtsanwendung in Deutschland klargestellt, dass der Verlust des Rechtsanspruchs nicht mit dem europäischen Recht vereinbar ist (siehe für eine Zusammenfassung der Entscheidungen auch unsere Meldung vom 1.8.2022, Link unten).

In ihrer Analyse kommt die Autorin der aktuellen Fachinformation, Jutta Hermanns (DRK-Suchdienst), zu dem Ergebnis, dass die EuGH-Entscheidungen zu entscheidenden Änderungen der hiesigen gesetzlichen Regelungen, Verwaltungspraxis und Rechtsprechung führen. Dementsprechend werden in der Fachinformation die allgemeinen Grundsätze aufgeführt, die der EuGH in Bezug auf den Familiennachzug aufgestellt hat, anhand derer sich diese Änderungen messen lassen müssen.

Zu den Folgefragen, die sich aus der nunmehr zwingenden Anwendung der EuGH-Rechtsprechung ergeben, enthält die Fachinformation ausführliche Hinweise. Erläutert wird, dass der Zeitpunkt der Asylantragstellung der "Referenzperson" (also der Person, von der der Anspruch auf Familiennachzug abhängt) nun für die Beurteilung der Minderjährigkeit ausschlaggebend ist und welche Auswirkungen das auf die Rechtslage hat. Daneben finden sich hilfreiche Ausführungen und Praxishinweise zu den Antworten des EuGH auf die Fragen:

  • Wann ein Asylantrag als gestellt gilt.
  • Innerhalb welcher Frist der Familiennachzug beantragt werden muss.
  • Welche Anforderungen an die bestehenden familiären Bindungen gestellt werden, die für den Nachzug erforderlich sind.
  • Für welche Dauer den nachziehenden Familienangehörigen ein Aufenthaltstitel zu erteilen ist.

Die Fachinformation befasst sich zudem mit den Fragen,

  • Ob die Rechtsprechung des EuGH zum Nachzug zu anerkannten Flüchtlingen auf den Nachzug zu subsidiär Schutzberechtigten übertragbar ist.
  • Welche Auswirkungen die aktuellen Entscheidungen des EuGH auf Altfälle haben, in denen der Familiennachzug aufgrund der unionsrechtswidrigen deutschen Rechtspraxis verwehrt blieb.

Rechtsprechung:

  • EuGH, Urteil vom 1.8.2022 - Deutschland gg. SW, BL und BC, C-273/20 und C-355/20, asyl.net: M30811
  • EuGH, Urteil vom 1.8.2022 - Deutschland gg. XC, C-279/20, asyl.net: M30815
  • BVerwG, Vorlagebeschlüsse vom 23.4.2020 - 1 C 9.19, 1 C 10.19 - asyl.net: M28542 und 1 C 16.19 - asyl.net: M28541
  • EuGH, Urteil vom 12.4.2018 - A und S gg. Niederlande - asyl.net: M26143
  • EuGH, Urteil vom 16.7.2020 - B.M.M. u.a. gg. Belgien - asyl.net: M28868

Hinweis

Aufgrund vielfältiger Gesetzesänderungen können einzelne Arbeitshilfen in Teilen nicht mehr aktuell sein. Wir bemühen uns, so schnell wie möglich eine aktualisierte Version zu verlinken. Bis dahin bitten wir Sie, auf das Datum der Publikation zu achten und zu überprüfen, ob die Informationen noch korrekt sind.

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