Vorlage an den EuGH zum Beurteilungszeitpunkt der Minderjährigkeit beim Eltennachzug:
"Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zur Auslegung von Bestimmungen der Familienzusammenführungsrichtlinie (RL 2003/86/EG), mit dem insbesondere geklärt werden soll, ob beim Nachzug der Eltern zu einem unbegleiteten minderjährigen Flüchtling nach Art. 10 Abs. 3 Buchst. a und Art. 2 Buchst. f RL 2003/86/EG das Fortbestehen der Minderjährigkeit "Bedingung" im Sinne von Art. 16 Abs. 1 Buchst. a RL 2003/86/EG sein kann, so dass bei deren Nichtvorliegen ein Familienzusammenführungsantrag abgelehnt werden kann."
(Amtlicher Leitsatz; gleichlautend: BVerwG, Beschluss vom 23.04.2020, 1 C 10.19; Vorabentscheidungsverfahren anhängig beim EuGH unter dem Az. C-355/20 Deutschland gg. BL, BC)
Vorlagefragen:
1a) Kann beim Nachzug zu einem unbegleiteten minderjährigen Flüchtling nach Art. 10 Abs. 3 Buchst. a und Art. 2 Buchst. f der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 das Fortbestehen der Minderjährigkeit "Bedingung" i.S.d. Art. 16 Abs. 1 Buchst. a RL 2003/86/EG sein? Ist mit den vorgenannten Bestimmungen eine Regelung eines Mitgliedstaates vereinbar, die nachgezogenen Eltern eines unbegleiteten minderjährigen Flüchtlings i.S.v. Art. 2 Buchst. f RL 2003/86/EG nur so lange ein (abgeleitetes) Aufenthaltsrecht in dem Mitgliedstaat gewährt, wie der Flüchtling tatsächlich noch minderjährig ist?
b) Falls die Fragen 1a) zu bejahen sind: Ist Art. 16 Abs. 1 Buchst. a i.V.m. Art. 10 Abs. 3 Buchst. a und Art. 2 Buchst. f RL 2003/86/EG dahin auszulegen, dass es einem Mitgliedstaat, nach dessen Rechtsvorschriften das (abgeleitete) Aufenthaltsrecht der Eltern auf den Zeitraum bis zur Volljährigkeit des Kindes begrenzt ist, erlaubt ist, einen Antrag der noch im Drittstaat aufhältigen Eltern auf Einreise und Aufenthalt zum Zwecke der Familienzusammenführung abzulehnen, wenn der Flüchtling vor der abschließenden Entscheidung über einen innerhalb von drei Monaten nach der Flüchtlingsanerkennung gestellten Antrag im behördlichen oder gerichtlichen Verfahren volljährig geworden ist?
2. Falls in Beantwortung der Frage 1 eine Ablehnung der Familienzusammenführung nicht zulässig ist: Welche Anforderungen sind an die tatsächlichen familiären Bindungen i.S.d. Art. 16 Abs. 1 Buchst. b RL 2003/86/EG in Fällen des Elternnachzuges zu einem Flüchtling zu stellen, der vor der Entscheidung über den Antrag auf Einreise und Aufenthalt zum Zwecke der Familienzusammenführung volljährig geworden ist? Insbesondere:
a) Reicht dafür die Verwandtschaft in gerader aufsteigender Linie ersten Grades (Art. 10 Abs. 3 Buchst. a RL 2003/86/EG) aus oder ist auch ein tatsächliches Familienleben erforderlich?
b) Falls es auch eines tatsächlichen Familienlebens bedarf: Welche Intensität ist dafür erforderlich?
Genügen dazu etwa gelegentliche oder regelmäßige Besuchskontakte, bedarf es des Zusammenlebens in einem gemeinsamen Haushalt oder ist darüber hinaus eine Beistandsgemeinschaft erforderlich, deren Mitglieder aufeinander angewiesen sind?
c) Erfordert der Nachzug der Eltern, die sich noch im Drittstaat befinden und einen Antrag auf Familienzusammenführung zu einem als Flüchtling anerkannten, zwischenzeitlich volljährig gewordenen Kind gestellt haben, die Prognose, dass das Familienleben nach der Einreise in der gemäß Frage 2b) geforderten Weise im Mitgliedstaat (wieder) aufgenommen wird?