SG Berlin

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Zitieren als:
SG Berlin, Beschluss vom 06.01.2020 - S 88 AY 191/19 ER - asyl.net: M28022
https://www.asyl.net/rsdb/M28022
Leitsatz:

Geringere Leistungen bei Gemeinschaftsunterbringung vorläufig hinnehmbar:

1. Es besteht kein eiliges Regelungsbedürfnis, welches die Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigen könnte. Zwar macht der Antragsteller geltend, dass die Herabstufung von alleinstehenden Erwachsenen bei Unterbringung in Sammelunterkünften in die für partnerschaftliche Haushalte vorgesehene Bedarfsstufe (bei Grundleistungen: § 3a Abs. 1 Nr. 2 Bst. b und Abs. 2 Nr. 2 Bst. b AsylbLG) verfassungswidrig zu niedrig sei. Dennoch ist nicht ersichtlich, weshalb es ihm nicht zumutbar sein sollte, die Entscheidung im Hauptsacheverfahren abzuwarten.

2. Zwar handelt es sich bei AsylbLG-Leistungen um die Sicherung des Existenzminimums. Jedoch ist gesetzlich vorgesehen, dass diese Leistungen im Einzelfall unter bestimmten Umständen gekürzt werden können, etwa bei Mitwirkungspflichtverletzungen. Daher ist eine wesentliche Einschränkung des Existenzminimums derzeit nicht zu erkennen. Die Minderung des Bedarfssatzes um 10 % bis zur Entscheidung in der Hauptsache ist zunächst hinzunehmen.

(Leitsätze der Redaktion; andere Auffassung: SG Landshut, Beschluss vom 24.10.2019 - S 11 AY 64/19 ER - Asylmagazin 12/2019, S. 432 f. - asyl.net: M27766; SG Freiburg, Beschluss vom 03.12.2019 - S 9 AY 4605/19 ER - asyl.net: M27903; SG Hannover, Beschluss vom 20.12.2019 - S 53 AY 107/19 ER - asyl.net: M27968)

Anmerkung:

Schlagwörter: Asylbewerberleistungsgesetz, Bedarfsstufe, Bedarfsgemeinschaft, Sozialrecht, alleinstehend, Gemeinschaftsunterkunft, Sozialstaatsprinzip, Existenzminimum, Gleichheitsgrundsatz, allgemeiner Gleichheitssatz, Bedarf, Regelleistung, Grundleistungen, Aufnahmeeinrichtung, Regelbedarf, Gemeinschaftsunterbringung, gemeinsames Wirtschaften, soziokulturelles Existenzminimum, Bargeldbedarf, vorläufiger Rechtsschutz, Schicksalsgemeinschaft, Sammelunterkunft, Verfassungsmäßigkeit, Einspareffekt, Paarhaushalt, verfassungskonforme Auslegung, Auslegung, Leistungskürzung, alleinstehend,
Normen: AsylbLG § 3a Abs. 1 Nr. 2 Bst. b, AsylbLG § 3a Abs. 2 Nr. 2 Bst. b, GG Art. 1 Abs. 1, GG Art. 20 Abs. 1, GG Art. 3 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Der Antragsteller erstrebt die vorläufige Regelung eines derzeit leistungslosen Zustandes, soweit er die Zahlung höherer Leistungen nach dem AsylbLG als 310,00 Euro für den vollen Kalendermonat Dezember 2019 sowie als 316,00 Euro für den Monat Januar 2020 durch den Antragsgegner begehrt. Jedoch ist jedenfalls ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht worden. Aus Sicht der Kammer besteht kein eiliges Regelungsbedürfnis, das eine Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigen könnte. [...]

Auch wenn der Antragsteller darauf verweist, dass die Regelungen in § 3a Absatz 1 Nr.2b und Absatz 2 Nr.2b AsylbLG verfassungswidrig zu niedrig seien, weil der Gesetzgeber bei dieser Neuregelung Einspareffekte bei einer Unterbringung in einer Sammelunterkunft zugrunde lege, die tatsächlich nicht erzielbar und darüber hinaus statistisch nicht begründbar seien, ist nicht ersichtlich, weshalb es dem Antragsteller nicht zuzumuten sein sollte, die Entscheidung über ihm nach dem AsylbLG zustehenden Leistungen zur Sicherung seines Lebensunterhaltes in einem Hauptsacheverfahren abzuwarten.

Zwar handelt es sich bei den Leistungen nach dem AsylbLG um solche zur Sicherung des Existenzminimums. Der Gesetzgeber hatte jedoch bereits mit § 1a AsylbLG in der bis zum 20. August 2019 gültigen Fassung (AsylbLG a.F.) die Möglichkeit eröffnet, diese Leistungen im Einzelfall auf das nach den Umständen unabweisbar Gebotene einzuschränken (vgl. dazu im Einzelnen BSG, Urteil vom 12. Mai 2017 – B 7 AY 1/16 R, Rn.21 ff. bei Juris, derzeit anhängig beim BVerfG zum Aktenzeichen 1 BvR 2682/17). Auch im Recht der Existenzsicherung nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) hat der Gesetzgeber mit § 26 Absatz 1 SGB XII die Möglichkeit eröffnet, diese Leistungen in bestimmten Fällen auf das zum Lebensunterhalt Unerlässliche einzuschränken. Dabei werden Kürzungsbeträge von 20 bis 30 Prozent des Regelsatzes für zulässig erachtet (vgl. Streichsbier, in: Grube/Wahrendorf, 6. Auflage 2018, Rn.4 zu § 26 SGB XII m.w.N.). § 39 a Absatz 1 Satz 1 SGB XII sieht schließlich eine Kürzung von 25 Prozent der maßgebenden Regelbedarfsstufe als Rechtsfolge der Ablehnung der Aufnahme einer Tätigkeit oder Teilnahme an einer erforderlichen Vorbereitung vor. Eine wesentliche Einschränkung des Existenzminimums des am ... 1996 geborenen Antragstellers, dem für die Zeit bis zum 31. Januar 2020 Grundleistungen nach § 3 AsylbLG vom Antragsgegner bewilligt wurden, vermag die Kammer daher derzeit nicht zu erkennen, wenn diesem zugemutet wird, bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache die Differenz in Höhe von 34,00 Euro für den vollen Kalendermonat anteilig für die Zeit vom 18. bis zum 31. Dezember 2019 sowie in Höhe von 35,00 Euro für den Monat Januar 2020 – mithin im Um-fang von 10 Prozent des Bedarfssatzes der Bedarfsstufe 1 nach dem AsylbLG (und damit im Umfang von rund 27 Prozent des Regelsatzes der Regelbedarfsstufe I nach dem SGB XII) – zunächst hinzunehmen. Der Antragsteller hat weder Gründe vorgetragen noch sind solche sonst ersichtlich, aus denen das Vorliegen einer konkreten Notlage mit Blick auf diesen Fehlbetrag anzunehmen ist. [...]