Rechtsprechungsübersicht zum Kirchenasyl in Dublin-Fällen

Die Zahl der Kirchenasyle, die hauptsächlich in Dublin-Verfahren erfolgen, ist drastisch gesunken. Dies wird auf eine Verschärfung der behördlichen Vorgehensweise zurückgeführt, welche allerdings von der überwiegenden Rechtsprechung als unzulässig angesehen wird.

Die Zahl der Fälle, in denen Kirchengemeinden Asylsuchenden Schutz gewähren, ist seit einer Verschärfung der Verfahrensregeln ab August 2018 deutlich gesunken. So wurden von Anfang August bis Jahresende 2018 nur noch 341 Fälle gemeldet. Im gleichen Zeitraum des Vorjahres waren es 716 Fälle. Dies geht aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums (BMI) auf eine Anfrage der Grünen im Bundestag hervor (siehe Antwort vom 20.2.2019 auf schriftliche Frage). Bei einem Großteil der Kirchenasyle handelt es sich um sogenannte Dublin-Fälle, also Fälle, in denen das BAMF festgestellt hat, dass ein anderer europäischer Staat für das Asylverfahren zuständig ist.

Nach einem Beschluss der Innenministerkonferenz wurde ab Anfang August 2018 vom BAMF die Vorgehensweise beim Kirchenasyl in solchen Fällen geändert (siehe unsere Meldung vom 13.8.2018: Hinweise zu verschärften Verfahrensregeln beim Kirchenasyl). Im Rahmen von Dublin-Verfahren gilt grundsätzlich eine sechsmonatige Überstellungsfrist, innerhalb derer das BAMF nach Zustimmung des zuständigen Staats die betroffene Person überstellen muss. Ansonsten wird Deutschland für das Asylverfahren zuständig. Nur wenn die asylsuchende Person "flüchtig" ist, kann die Frist auf bis zu 18 Monate verlängert werden.

Bis August 2018 wurden Personen, die sich im Kirchenasyl befanden und dies offiziell beim BAMF meldeten, nicht als flüchtig eingestuft. Diese Praxis basierte auf einer früheren Einigung zwischen den Kirchen und dem BAMF (siehe unsere Meldung vom 18.12.2015: BAMF und Kirchen einigen sich zum Kirchenasyl): Jeder Einzelfall sollte dieser Absprache zufolge registriert und gemeldet werden. Zudem war ein Dossier mit einem Vorschlag zum weiteren Vorgehen einzureichen. Auf dessen Grundlage konnte darüber entschieden werden, ob das BAMF die Zuständigkeit für das Asylverfahren durch einen sogenannten Selbsteintritt nach der Dublin-VO übernehmen würde. Die Ablehnung des im Dossier gemachten Vorschlags sollten zugleich nicht zur Beendigung des Kirchenasyls führen. Da viele Dossiers vom BAMF nicht bearbeitet wurden, ging in diesen Fällen nach Ablauf von sechs Monaten die Zuständigkeit für das Asylverfahren automatisch auf Deutschland über.

Ab August 2018 wurden alle eingereichten Dossiers bearbeitet. Aufgrund verschärfter Verfahrensregeln ging das BAMF zudem dazu über, diese vermehrt abzulehnen und darauf zu bestehen, dass die Kirchenasyle beendet werden müssen. Die Überstellungsfrist wird nun in vielen Fällen vom BAMF auf 18 Monate verlängert, weil die Betroffenen als "flüchtig" angesehen werden - ungeachtet des Vorliegens einer ordentlichen Meldung über das Kirchenasyl.

Aufgrund dieses Vorgehens sind die Zahlen der gewährten Kirchenasyle drastisch gesunken. Aus der in der Antwort des BMI aufgeführten Statistik ergibt sich, dass zwischen Januar und August 2018 monatlich etwa 150 bis 200 Fälle gemeldet wurden. Ab August waren es dann höchstens 76. Laut der Fragestellerin Luise Amtsberg, flüchtlingspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, führen neben der Verfahrensverschärfung auch konkreter werdende Gefahren der Strafverfolgung zu Verunsicherung bei Kirchengemeinden.

Das Vorgehen der Behörden widerspricht jedoch der überwiegenden Rechtsprechung. Zunächst bestätigten Strafgerichte obergerichtlich, dass eine Person im Kirchenasyl nicht flüchtig ist (siehe OLG München, Urteil vom 3.5.2018 - 4 OLG 13 Ss 54/18 - asyl.net: M26320, mit weiteren Nachweisen).

Noch vor der Verfahrensverschärfung hatte auch der VGH Bayern festgestellt, dass die Verlängerung der Überstellungsfrist nicht zulässig ist, wenn das Kirchenasyl gemeldet wurde (Beschluss vom 16.5.2018 - 20 ZB 18.50011 - Asylmagazin 9/2018, S. 320 - asyl.net: M26421, siehe unsere Meldung dazu vom 30.8.2018). Der VGH bezieht sich in seiner Entscheidung auf "die ganz überwiegende Meinung der Rechtsprechung" und führt eine ganze Reihe von Gerichtsentscheidungen auf (so etwa OVG Schleswig-Holstein, B.v. 23.3.2018 – 1 LA 17/18).

Auch in aktuelleren Entscheidungen gehen Verwaltungsgerichte überwiegend davon aus, dass die Dublin-Überstellungsfrist durch Kirchenasyl nicht verlängert wird. Hauptsächlich wird darauf abgestellt, dass Behörden weder rechtlich noch tatsächlich daran gehindert sind, die Überstellung einer Person, die sich im Kirchenasyl befindet, durchzuführen (so etwa VG Trier, Beschluss vom 16.10.2018 – 7 L 5184/18.TR - asyl.net: M26662). Der Staat verzichte vielmehr darauf, sein Recht durchzusetzen. Ein Sonderrecht der Kirchen, welches die Behörden daran hindern würde eine Überstellung, ggf. durch unmittelbaren Zwang, durchzuführen gebe es nicht (VG München, Urteil vom 27.3.2017 – 22 K 16/50220 – gesetze-bayern.de).

Das VG Düsseldorf lehnte die Verlängerung der Überstellungsfrist auch für den Fall ab, dass die Härtefallprüfung durch das Bundesamt negativ abgeschlossen wurde und die betroffene Person vom Bundesamt aufgefordert wurde, das Kirchenasyl zu verlassen (Beschluss vom 21.01.2019 - 12 L 176/19.A - asyl.net: M26971). Ähnlich ging auch das VG Gießen davon aus, dass eine Person im Kirchenasyl nicht flüchtig sei, obwohl sie der Aufforderung der Selbstgestellung zur Überstellung nicht nachgekommen ist (Beschluss vom 18.12.2018 - 8 L 5528/18.GI.A - asyl.net: M26858). Demgegenüber hielt das VG München eine Person für flüchtig, die eine Aufforderung, sich zur Überstellung vor der Kirchentür einzufinden, nicht befolgt hatte (Beschluss vom 23.08.2018 - M 9 S7 18.52564 - asyl.net: M26587). Laut Gericht sei die Mitwirkungspflicht durch Untertauchen verletzt worden, obwohl der Pfarrer angekündigt hatte, dass die betroffene Person nicht erscheinen werde.

Die Auffassung, dass das Kirchenasyl keine Auswirkungen auf den Ablauf der Überstellungsfrist hat, wird auch vor dem Hintergrund der zwischenzeitlich vorgenommenen Verfahrensverschärfungen vertreten. So stellt das VG Aachen ausdrücklich darauf ab, dass die Änderungen der Verfahrensregeln keinen Gesetzescharakter hätten und daher für das Gericht unbeachtlich seien (Beschluss vom 19.11.2018 - 2 L 1671/18.A - asyl.net: M26966).

Von einigen Gerichten wird allerdings auch vertreten, dass der Eintritt ins Kirchenasyl einem „Untertauchen“ gleichzusetzen sei, da sich die betroffene Person der staatlichen Rechtsordnung bewusst und gerade so lange entzieht, bis die Überstellungsfrist nach der Dublin-III-VO abgelaufen ist. So befand etwa das VG Bayreuth, es sei unerheblich, dass den Behörden der Aufenthalt jederzeit bekannt ist, da aufgrund der politischen Entscheidung zur Respektierung des Kirchenasyls ein faktisches Vollzugshindernis bestehe (Urteil vom 13.11.2017 – B 3 K 17.50037 – asyl.net: M27050). Das VG sah darüber hinaus in dem ihm vorliegenden Fall keinerlei humanitäre Gründe, welche das Kirchenasyl rechtfertigen würden, da es sich bei der betroffenen Person um einen jungen, gesunden und alleinstehenden Man handelt, der in Italien sein Asylverfahren betreiben könne. Daher seien die mit dem Bundesamt vereinbarten Kriterien zur Aufnahme in das Kirchenasyl in diesem Fall nicht erfüllt.

Entscheidungen:

 


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