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VG Münster: Dublin-Familienzusammenführung trotz verspätetem Aufnahmegesuch

Auf der Grundlage der Dublin-Verordnung haben in den letzten Jahren zahlreiche Asylsuchende, die in Griechenland leben, die Familienzusammenführung zu in Deutschland lebenden Angehörigen beantragt. Da das Verfahren durch die Behörden aber mittlerweile sehr restriktiv gehandhabt wird, müssen sich Betroffene häufig an die Gerichte wenden, um die Familienzusammenführung zu erreichen. Das VG Münster befand nun in einer aktuellen Entscheidung die offenbar inzwischen weit verbreitete Praxis der deutschen Seite, Aufnahmegesuche aus Griechenland aus formalen Gründen abzulehnen, für unrechtmäßig.

Nach der Dublin-Verordnung, die regelt, welcher europäische Staat für die Bearbeitung eines Asylantrags zuständig ist, sind Familien für die Durchführung von Asylverfahren zusammenzuführen (ausführliche Informationen hierzu finden sich auf familie.asyl.net/innerhalb-europas). Darauf berufen sich auch zahlreiche Schutzsuchende, die in Griechenland leben und Familienangehörige in Deutschland haben. Um ihre Ansprüche auf Familienzusammenführung zu prüfen, sieht die Dublin-Verordnung ein Verfahren vor, in dem die beteiligten Staaten die Zuständigkeit für die Aufnahme der betroffenen Person prüfen.

Im Verfahren zwischen Deutschland und Griechenland allerdings kommt es seit April 2017 zu gravierenden Erschwernissen bei der Familienzusammenführung. Zunächst wurden die Überstellungen aus Griechenland von Familienmitgliedern zu ihren Angehörigen in Deutschland erheblich verzögert, auch wenn eine Aufnahmezusage des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vorlag (siehe unsere Meldung vom 2.6.2017). Daraufhin ergingen vielfach Entscheidungen der Verwaltungsgerichte: Teilweise wurde die Praxis als unzulässig erachtet und das BAMF zur fristgerechten Überstellung oder auch Aufnahme der Betroffenen nach Ablauf der Überstellungsfrist verpflichtet (siehe unsere Meldung vom 28.12.2017).

Inzwischen ist das BAMF offenbar dazu übergegangen, bereits die Aufnahmeersuchen Griechenlands in vielen Fällen abzulehnen. So wurde etwa 2017 noch fast allen Ersuchen stattgegeben. Bis Mai 2018 dagegen wurden knapp 70% überwiegend aus formalen Gründen abgelehnt (siehe unten, NOZ, Meldung vom 18.5.2018). Laut Berichten werden mittlerweile die meisten Aufnahmeersuchen negativ beantwortet, vielfach unter Bezug auf abgelaufene Fristen.

Diesem Vorgehen des BAMF hat das VG Münster nunmehr in einem Fall eine Absage erteilt. Es verpflichtete das BAMF im Eilverfahren dazu, sich für das Asylverfahren des minderjährigen Bruders eines in Deutschland subsidiär Schutzberechtigten für zuständig zu erklären und die Ablehnungen der wiederholten Aufnahmegesuche Griechenlands aufzuheben. Der in Griechenland gestrandete Minderjährige war dort mit seinem Cousin 2016 eingereist. Der volljährige Bruder befand sich mit seiner Familie bereits seit 2015 in Deutschland.

Die Familie bemühte sich von Anfang an um eine Zusammenführung in Deutschland, doch Griechenland stellte das erforderliche Aufnahmeersuchen an Deutschland erst verspätet und das BAMF lehnte dieses und mehrfache Wiedervorlagen Griechenlands ab. Zunächst stützte sich das BAMF darauf, dass der Minderjährige wegen der Begleitung durch seinen Cousin nicht unbegleitet sei, obwohl letzterer nur zum vorläufigen Vormund bestellt worden war und nicht die elterliche Sorge innehatte. Nachdem die temporäre Vormundschaft dem Cousin aus Gründen des Kindeswohls entzogen wurde, berief sich das BAMF auf die von Griechenland versäumten Verfahrensfristen.

Als das BAMF schließlich überhaupt nicht mehr auf die griechischen Anfragen antwortete, wurde vor dem VG Münster ein Eilverfahren angestrengt. Das Gericht stellte nun fest, dass die Betroffenen ein subjektives Recht auf Familienzusammenführung aus Art. 8 Abs. 1 Dublin-III-VO haben, wonach unbegleitete minderjährige Flüchtlinge zu ihren sich rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat aufhaltenden Angehörigen zusammengeführt werden müssen. Dies entspricht der Auffassung der hierzu bereits ergangenen Rechtsprechung (siehe etwa VG Wiesbaden, Beschluss vom 15.09.2017, asyl.net: M25517). Neu ist, dass das VG Münster darauf abstellt, dass der Ablauf der Fristen für die Stellung des Aufnahmegesuchs (Art. 21 Abs. 1 Dublin-III-VO) und für das Verlangen, die Ablehnung zu überprüfen (sog. Remonstration, Art. 5 Abs. 2 DVO), unbeachtlich ist. Die Zuständigkeit falle nicht nach Art. 21 Abs. 1 UAbs. 3 Dublin-III-VO zurück an den ersuchenden Staat (hier: Griechenland), da die Versäumung der Fristen den Betroffenen nicht zuzurechnen sei und die Zuständigkeitsregelung zur Wahrung der Familieneinheit und des Kindeswohls den Fristenregelungen der Verordnung vorgehe. In Bezug auf die zunächst vom BAMF vorgebrachte Begleitung durch den Cousin befand das VG, dass die Frage, ob eine minderjährige Person "unbegleitet" i.S.d. Art. 2 Bst. j Dublin-III-VO ist, sich nach dem Recht des Aufenthaltsstaats (hier: Griechenland) richte. Der Cousin sei diesbezüglich nie „verantwortlicher Erwachsener“ im Sinne der Dublin-VO gewesen.

Entscheidung:

Anmerkung:

  • Siehe Anmerkung von Vinzent Vogt in Asylmagazin 1-2/2019



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