Hinweis: Aufgrund von Rückmeldungen zu dieser Meldung wurden Teile dieser Nachricht im Hinblick auf die Entscheidungspraxis des BAMF verändert (16.3.2018).
Bei der Prüfung der Frage, ob den Eltern von in Deutschland anerkannten Schutzberechtigten Familienasyl gewährt werden kann, stellt das BAMF auf einen späten Beurteilungszeitpunkt ab. Dadurch wird die Gewährung von Familienasyl eingeschränkt. Nach § 26 AsylG kann Ehegatten/Ehegattinnen, Lebenspartner/innen, Eltern, minderjährigen Kindern und Geschwistern von sogenannten Stammberechtigten (die unanfechtbar als Asylberechtigte, GFK-Flüchtlinge oder subsidiär Schutzberechtigte anerkannt worden sind) Familienasyl gewährt werden. Das heißt, dass dem Familienmitglied der gleiche Schutzstatus zugesprochen wird wie der stammberechtigten Person, ohne dass eine eigene Prüfung der Asylgründe des Familienmitglieds erfolgt.
Die bisherige Praxis des BAMF in solchen Fällen war offenbar uneinheitlich: Nach Informationen des Flüchtlingsrats Niedersachsen galt für die Gewährung von Familienasyl für Eltern von Minderjährigen in der Vergangenheit das Prinzip, dass die stammberechtigte Person zum Zeitpunkt der Asylantragstellung ihrer Eltern noch minderjährig sein musste. Nunmehr soll jedoch auf den Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung über die Asylanträge der Angehörigen abgestellt werden. Dies wurde dem Flüchtlingsrat Niedersachsen im Rahmen einer fallbezogenen Beschwerde vom BAMF mitgeteilt (siehe Meldung des Flüchtlingsrats vom 1.3.2018). Nach anderen Informationen soll das Abstellen auf den späteren Entscheidungszeitpunkt beim Familienasyl für Eltern demgegenüber bereits seit längerem gängige Praxis sein.
Begründet wird diese Bewertung im Hinblick auf die Eltern von Stammberechtigten damit, dass die Personensorge, die nach § 26 Abs. 3 S. 1 Nr. 5 AsylG in diesen Fällen Voraussetzung für das Familienasyl ist, nur dann noch gegeben sei, wenn die stammberechtigte Person zum Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung noch minderjährig ist. Dies steht im Widerspruch zur bisher vertretenen Auffassung der Behörde. In einem Schreiben von November 2016, welches dem Flüchtlingsrat vorliegt, erklärt das BAMF eindeutig: "Für die Anerkennung von Familienasyl ist der Zeitpunkt der Antragsstellung und nicht die Entscheidung maßgeblich."
Die behördliche Praxis widerspricht auch der Rechtsprechung. So hatte das VG Hamburg (Urteil vom 05.02.2014 - 8 A 1236/12 - asyl.net: M21829) entschieden, dass für das Familienasyl eines Elternteils der Zeitpunkt seiner Asylantragsstellung ausschlaggebend sei. Es stellte dabei auf eine europarechtskonforme und systematische Auslegung des § 26 Abs. 3 S. 1 Asyl(Vf)G ab.
Laut VG Hamburg kann das Schutzziel der Aufrechterhaltung des Familienverbandes aus Art. 23 EU-Qualifikationsrichtlinie 2011/95/EU nur dann erreicht werden, wenn das Recht auf Familienasyl entsteht, sobald der Familienverband im Aufnahmestaat (wieder) besteht. Auf die Personensorge sei nicht abzustellen, da das Familienasyl zeitlich nicht an die Minderjährigkeit sondern an die Weitergeltung des Schutzstatus der stammberechtigten Person gebunden ist. Ferner würde der Wortlaut von § 26 AsylG in den beiden anderen Fällen, in denen das Familienasyl von Minderjährigkeit abhängig ist (bei Kindern (Abs. 2) und Geschwistern (Abs. 3 S. 2) von Stammberechtigten), ausdrücklich auf den Zeitpunkt der Asylantragstellung des Familienmitglieds abstellen. Daher spreche die systematische Auslegung auch für diese Auffassung: Eltern von Stammberechtigten seien nicht schlechter zu stellen als deren Kinder oder Geschwister. Ferner könne die Behörde (oder das Gericht) bei Abstellen auf den Entscheidungszeitpunkt beeinflussen, ob die Voraussetzungen für Familienasyl gegeben sind. Laut Gesetzesbegründung solle sich aber die Verfahrensdauer nicht nachteilig auf das Recht auf Familienasyl auswirken.
Der Flüchtlingsrat Niedersachsen kritisiert genau aus diesem Grund, dass das BAMF durch die Verzögerung der Bearbeitung der Asylanträge von Angehörigen von Stammberechtigten das Erlöschen des Anspruchs auf Familienasyl bewirken könnte. Der Flüchtlingsrat hält die Praxis des BAMF für rechtswidrig, bittet um Übersendung einschlägiger Entscheidungen und empfiehlt Betroffenen zu klagen.
Das BAMF geht wohl nur bei den Eltern von Stammberechtigten vom späteren Entscheidungszeitpunkt aus. Beim Familienasyl für Geschwister von minderjährigen Stammberechtigten nach § 26 Abs. 3 S.2 AsylG ist, wie das VG Hamburg betonte, der Gesetzeswortlaut mit der Formulierung "zum Zeitpunkt ihrer Antragstellung" eindeutig (siehe auch VG Hamburg, Urteil vom 05.02.2014 - 8 A 289/13 - asyl.net: M21830 zum Familienasyl für Geschwister). Dies wird auch von anderen Gerichten bestätigt. So befand das VG Sigmaringen den Zeitpunkt der Antragstellung der Geschwister sowohl hinsichtlich ihrer Minderjährigkeit als auch der der stammberechtigten Person für maßgeblich (Urteil vom 21.04.2017 - A 3 K 3159/16 - asyl.net: M25097).
Das VG Stuttgart geht unter Bezug auf die aktuelle Rechtsprechung des EuGH sogar davon aus, dass es für die Beurteilung des Familienasyls nicht auf die förmliche Asylantragstellung der Angehörigen beim BAMF ankommt, sondern auf den Zeitpunkt, zu dem die Behörde Kenntnis vom Asylgesuch erlangt hat (Urteil vom 22.09.2017 - A 1 K 7628/16 - asyl.net: M25649; unter Bezug auf EuGH, Urteil vom 26.07.2017 - C-670/16 Mengesteab gg. Deutschland - asyl.net: M25274, Asylmagazin 9/2017). Darüber hinaus bestätigt es die Auffassung in der Rechtsprechung, dass Familienasyl auch schon gewährt werden kann, wenn die Anerkennung der stammberechtigten Person noch nicht unanfechtbar ist. Das Familienasyl ist dann unter der aufschiebenden Bedingung zu gewähren, dass die Rechtskraft der Anerkennung der stammberechtigten Person eintritt (unter Bezug auf VG Schwerin, Urteil vom 20.11.2015 - 15 A 1524/13 As - asyl.net: M23381, Asylmagazin 1-2/2016).