Neue Gerichtsentscheidungen zum Schutzstatus Asylsuchender aus Syrien

Seit dem Frühjahr 2016 erhalten viele Asylsuchende aus Syrien den sogenannten subsidiären Schutzstatus. Eine Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke enthält hierzu detaillierte Zahlen. Gegen die Entscheidungen haben bereits zahlreiche Betroffene geklagt und verschiedene Verwaltungsgerichte haben in den letzten Wochen erste Entscheidungen zu dieser Frage veröffentlicht.

Im Zuge der gesetzlichen Änderungen durch das im März 2016 in Kraft getretene sogenannte Asylpaket II änderte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im Frühjahr seine Entscheidungspraxis hinsichtlich Schutzsuchender aus Syrien. So wurden für neu einreisende Asylsuchende aus Syrien die schriftlichen Schnellverfahren eingestellt, in denen zuvor regelmäßig die Flüchtlingseigenschaft festgestellt worden war (wir berichteten in Asylmagazin 4-5 und 6/2016).

Aus der jetzt veröffentlichten Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke geht hervor, wie deutlich sich die Entscheidungspraxis des BAMF geändert hat. Erhielten im ersten Quartal des Jahres 2016 lediglich 0,8% der syrischen Staatsangehörigen den subsidiären Schutzstatus, stieg dies Quote im zweiten Quartal auf 30,4% an. Betroffen waren damit im zweiten Quartal bereits 18.952 Personen, die subsidiären Schutz erhielten (Ergänzende Angaben zur Asylstatistik, BT-Drs. 18/9415 vom 17.8.2016).

Nach dem Ausbruch des Krieges in Syrien hatten mehrere Oberverwaltungsgerichte entschieden, dass syrischen Asylsuchenden bei einer Rückkehr schwerwiegende Gefahren drohen würden, weil das syrische Regime sie wegen der Asylantragstellung im Ausland und wegen der unerlaubten Ausreise als Gegner betrachten würde. Aufgrund dieser obergerichtlichen Rechtsprechung aus den Jahren 2012 bis 2014 hatte das BAMF bis zum Frühjahr 2016 Asylsuchenden aus Syrien in der überwältigenden Zahl der Fälle den Flüchtlingsstatus zugesprochen (vgl. die Übersicht von Pauline Endres de Oliveira im Asylmagazin 9/2014).

Der geänderten Entscheidungspraxis ging die Entscheidung des Gesetzgebers voraus, den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten von März 2016 bis März 2018 auszusetzen. Die Opposition und Nichtregierungsorganisationen sehen hinter der geänderten Praxis des BAMF daher eine politisch motivierte Maßnahme der Bundesregierung, mit der erreicht werden solle, den Familiennachzug syrischer Flüchtlinge zu verhindern (vgl. etwa Pro Asyl vom 14.7.2016). Demgegenüber wurde die neue Vorgehensweise von der Regierung damit begründet, dass nicht mehr in allen Fällen von einer Gefährdung von Rückkehrenden in Syrien auszugehen sei.

Insbesondere Schutzsuchende aus Syrien, deren Familienangehörige häufig unter prekären Bedingungen in Syrien oder seinen Nachbarländern leben, gehen nun häufig gegen die Entscheidungen des BAMF vor und versuchen, vor Gericht die Flüchtlingsanerkennung zu erreichen. Der Bundesverband der Diakonie stellt aufgrund der sich akut häufenden Anfragen bei Beratungsstellen eine Musterklage zur Verfügung, die auf asyl.net abrufbar ist.

In mehreren in den letzten Wochen bekannt gewordenen Fällen waren Klagen syrischer Staatsangehöriger erfolgreich: Die Gerichte gingen in verschiedenen Fällen davon aus, dass nach Syrien Zurückkehrende grundsätzlich von Verfolgung durch das syrische Regime bedroht seien. Entsprechend entschieden diese Gerichte, dass den Betroffenen der Flüchtlingsstatus zuzuerkennen ist.

Einige Gerichte trafen bereits mehrere gleichlautende Urteile, wobei sie ohne mündliche Verhandlungen entschieden, da sie keinen Anlass zur individuellen Anhörung der Betroffenen sahen (VG Regensburg – welches in diesen Fällen teilweise bereits nach 14 Tagen entscheidet –, Urteil vom 6.7.2016, RN 11 K 16.30889, asyl.net: M24004 (Asylmagazin 8/2016), VG Trier, Urteil vom 16.6.2016, 1 K 1576/16.TR, asyl.net: M23932, VG Meiningen, Urteil vom 1.7.2016, 1 K 20205/16 Me, asyl.net: M24163).

Vereinzelt gehen Verwaltungsgerichte dazu über, per Gerichtsbescheid zu entscheiden, da sie bei Asylsuchenden aus Syrien eindeutig die Flüchtlingseigenschaft bejahen und darin keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten sehen (VG Düsseldorf, Urteil vom 18.8.2016, welches sich überwiegend auf OVG-Rechtsprechung aus den Jahren 2014 bis 2016 bezieht, und das VG Schleswig, Urteil vom 15.8.2016, 12 A 149/16, asyl.net: M24176). Das VG Schleswig geht unter Bezugnahme auf „mittlerweile ganz überwiegende Rechtsprechung“ davon aus, dass Asylsuchenden aus Syrien bei Rückkehr ungeachtet individuell geltend gemachter Gründe staatliche Verfolgung droht.

Das VG Frankfurt/Oder hat in einem aktuellen Verfahren darauf hingewiesen, dass es entsprechend der OVG-Rechtsprechung entscheiden wird und das VG Berlin hat einem entsprechenden Antrag auf Prozesskostenhilfe stattgegeben. Andere Gerichte sehen sich nach Mitteilung von Beratungsstellen dagegen aufgrund der aktuellen Überlastung nicht in der Lage, zeitnah über diese Frage zu entscheiden (so das VG Freiburg, bei dem zahlreiche entsprechende Verfahren anhängig sind).

AKTUALISIERUNG: Das BAMF hat nun gegen einige der aktuellen VG Entscheidungen, die den Betroffenen die Flüchtlingseigenschaft zusprechen, die Zulassung der Berufung beantragt.


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