Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde: Einer Person aus Eritrea wurde durch das BAMF der subsidiäre Schutz zuerkannt, weil bei Rückkehr ein ernsthafter Schaden drohe. Wegen der illegalen Ausreise aus Eritrea drohe dort Inhaftierung, die mit Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung einherginge. Die Ausländerbehörde forderte die Person danach auf, einen eritreischen Nationalpass vorzulegen und lehnte es ab, einen "Reiseausweis für Ausländer" (§ 5 AufenthV) auszustellen.
Anders als anerkannte Flüchtlinge erhalten subsidiär Schutzberechtigte nämlich keinen Reiseausweis für Flüchtlinge (sogenannter blauer GFK-Pass), sondern sind grundsätzlich dazu verpflichtet, einen Pass ihres Herkunftslandes zu besitzen. Dabei wird bei ihnen auch anders als bei anerkannten Flüchtlingen grundsätzlich davon ausgegangen, dass es ihnen zumutbar ist, hierfür Kontakt zu den Auslandsvertretungen ihrer Herkunftsstaaten aufzunehmen. Etwas anderes gilt gemäß § 5 AufenthV nur dann, wenn sie nachweislich keinen Pass besitzen und einen solchen auch nicht auf zumutbare Weise erlangen können. Dann kann ein Reiseausweis ausgestellt werden, wobei die Entscheidung im Ermessen der Behörde liegt.
Die Frage, die das Bundesverwaltungsgericht zu beantworten hatte, war, ob es der betroffenen Person zumutbar ist, einen Pass bei einer eritreischen Auslandsvertretung zu beantragen. Hierfür müssen eritreische Staatsangehörige eine sogenannte Reueerklärung abegeben, wonach sie zugeben, illegal ausgereist zu sein und ihre nationale Pflicht verletzt zu haben. Das bedeutet, dass sie sich nach eritreischem Recht selbst einer Straftat bezichtigen. Außerdem müssen sie eine "Diaspora-Steuer" in Höhe von 2% ihres Einkommens bezahlen. Diese Frage war bisher umstritten. Manche Gerichte gingen davon aus, dass die Passbeschaffung für eritreische Staatsangehörige unzumutbar sei. Das VG Schleswig-Holstein (M29914) hielt die sogenannte Diaspora-Steuer für zumutbar, die Abgabe einer Reueerklärung aber nicht. Das VG Köln wiederum hielt die Diaspora-Steuer für unzumutbar und befand, das behördliche Ermessen bei Ausstellung eines Reiseausweises sei auf Null reduziert (M30012). Überwiegend hielten die Gerichte die Passbeschaffung für zumutbar. So auch das OVG Niedersachsen (M29586, mit Anmerkung von Corinna Ujkašević, Asylmagazin 9/2021, S. 349 f.) welches jüngst entschieden hatte, dass beides zumutbar sei (so beispielsweise auch: VG Regensburg, M30559; VG Saarland, M30154).
Das BVerwG hat nun mit Urteil vom 11. Oktober.2022 laut Pressemitteilung (M30993) diese Entscheidung des OVG Niedersachsen aufgehoben und kommt zu dem Ergebnis, dass es der betroffenen Person nicht zuzumuten sei, die beschriebene Reueerklärung abzugeben. Ihre Grundrechte und das staatliche Interesse, auf die Personal- und Passhoheit Eritreas Rücksicht zu nehmen, seien abzuwägen. Die Abwägung gehe hier zugunsten der betroffenen Person aus, denn die in der Reueerklärung enthaltene Selbstbezichtigung einer Straftat dürfe gegen einen plausibel bekundeten Willen nicht verlangt werden. Daran ändere sich auch dann nichts, wenn sich die Wahrscheinlichkeit einer Bestrafung durch die Reueerklärung nicht erhöht und das Strafmaß gegebenenfalls sogar verringert würde. Bis jetzt wurde nur die o.g. Pressemitteilung und noch nicht die Urteilsbegründung veröffentlicht.
Für viele eritreische Staatsangehörige, die subsidiär schutzberechtigt sind, bedeutet die Entscheidung, sich nicht mehr gegen ihren Willen dem eritreischen Staat gegenüber selbst bezichtigen und diesen durch die Aufbausteuer unterstützen zu müssen. Sie können einen Reiseausweis nach § 5 AufenthV erhalten. Offen gelassen wurde die Frage, ob es subsidiär Schutzberechtigten generell unzumutbar ist, einen Pass bei den Behörden des Herkunftsstaates zu beantragen, wenn der subsidiäre Schutz – wie hier – wegen eines von staatlichen Stellen gezielt drohenden ernsthaften Schadens zuerkannt worden ist. Interessant wird sein, ob und welche Auswirkungen dieses BVerwG-Urteil auf behördliche und gerichtliche Entscheidungen zur Passbeschaffung von subsidiär Schutzberechtigten aus anderen Staaten (z.B. Syrien) haben wird.
In Bezug auf die Abgabe sogenannter Freiwilligkeitserklärungen, die gesetzlich im Rahmen der "Duldung light" in § 60b Abs. 3 S. 1 Nr. 3 AufenthG als regelmäßig zumutbar geregelt wurden, wird das Urteil wohl keine Auswirkungen haben. Diese Konstellation betrifft nämlich ausreisepflichtige Personen, von denen (z.B. von Iran) verlangt wird zu erklären, dass sie freiwillig ausreisen werden. Dabei basiert diese Vorschrift auf der Rechtsprechung des BVerwG, welches eine solche Erklärung für zumutbar hält (M16642). Demgegenüber hält das Bundessozialgericht auch solche Erklärungen für unzumutbar und daher entsprechende Leistungskürzungen im Rahmen von § 1a AsylbLG für unzulässig (M21860).