Bereits 2013 hatte der EuGH (M21260) entschieden, dass bei der Prüfung von Asylanträgen von homosexuellen Personen nicht erwartet werden dürfe, bei Rückkehr in das Herkunftsland ihre sexuelle Orientierung geheim zu halten oder "zurückhaltend" zu leben, um so Verfolgung zu vermeiden (sogenanntes Diskretionsgebot). Auch das Bundesverfassungsgericht (M28078) hat im Jahr 2020 bekräftigt, dass es schlechthin unvertretbar sei, bisexuelle Asylsuchende darauf zu verweisen, ihre „homosexuelle Orientierung“ im Herkunftsstaat geheimzuhalten.
Gleichwohl hat das BAMF immer wieder entschieden, dass LSBTI-Geflüchteten in ihren Herkunftsländern deshalb keine Verfolgung drohe, weil sie ihre sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität verbergen könnten. Laut Pressemitteilung des Lesben- und Schwulenverbands in Deutschland (LSVD) vom 20. September 2022 soll diese Entscheidungspraxis nun geändert werden. Das Bundesinnenministerium (BMI) habe bekannt gegeben, dass die Dienstanweisung für die Prüfung von Asylanträgen (DA-Asyl) derzeit überarbeitet und am 1. Oktober mit entsprechenden Änderungen in Kraft treten werde. Laut BMI habe bisher eine zweistufige Prüfung durch das BAMF stattgefunden. So sei zunächst prognostiziert worden, wie sich die Person bei Rückkehr verhalten wird ("Verhaltensprognose") und dann, wie im Herkunftsland darauf reagiert werde. Diese Prüfung werde nun angepasst. Die "Verhaltensprognose" sei nicht mehr vorgesehen. In der Dienstanweisung soll klargestellt werden, dass LSBTI-Geflüchtete in keinem Fall auf ein "diskretes Leben" im Herkunftsland verwiesen werden dürfen.
Siehe auch:
- LSVD e.V., Pressemitteilung vom 20.09.2022: Innenministerium schafft menschenverachtende Diskretionsprognosen für LSBTI-Geflüchtete ab
Themenschwerpunkt aus dem Asylmagazin 7–8 / 2021, S. 248 – 275: Sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität als Fluchtgrund