VG Sigmaringen

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Zitieren als:
VG Sigmaringen, Beschluss vom 08.04.2024 - A 7 K 1096/24 - asyl.net: M32351
https://www.asyl.net/rsdb/m32351
Leitsatz:

Asylrechtliche Abschiebungsandrohung erledigt sich nicht durch Ausreise oder Abschiebung:

"1. Eine asylrechtliche Abschiebungsandrohung erledigt sich weder durch freiwillige Ausreise noch durch Vollzug einer Abschiebung. Sie kann nach Aus- und Wiedereinreise Grundlage einer erneuten Abschiebung sein.

2. § 71 Abs. 5 S. 2 AsylG setzt Art. 41 Abs. 1 RL 2013/32/EU (Asylverfahrensrichtlinie) um und führt zum Wegfall des Rechts auf Verbleib im Mitgliedsstaat während des Verfahrens.

3. Art. 6 RL 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie) erfordert jedenfalls bei Ablehnung eines zweiten Asylfolgeantrags als unzulässig keine erneute Rückkehrentscheidung."

(Amtliche Leitsätze; anderer Ansicht: VG Leipzig, Beschluss vom 25.10.2023 – 4 L 345/23.A – asyl.net: M32363; VG Bremen, Beschluss vom 03.03.2023 - 6 V 313/23 - asyl.net: M31373; VG Freiburg, Beschluss vom 09.02.2021 - 10 K 3748/20 - landesrecht-bw.de)

Schlagwörter: Rückkehrentscheidung, Abschiebungsandrohung, Asylfolgeantrag, Erledigung, Wirksamkeit, Rückführungsrichtlinie,
Normen: AsylG § 59 Abs. 1, VwVfG § 43 Abs. 2, AsylG § 71 Abs. 5 S. 1, AsylG § 71 Abs. 6 S. 1, RL 2008/115/EG Art. 6 Abs. 1
Auszüge:

[...]

1 Der Antragsteller wendet sich im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gegen seine bevorstehende Abschiebung nach Georgien. [...]

26 Ausgehend hiervon hat der Antragsteller keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Er hat keinen Anspruch auf weiteren Verbleib im Bundesgebiet, bis im Hauptsacheverfahren A 7 K 2560/23 über seinen (zweiten) Asylfolgeantrag entschieden ist. [...]

27 Maßgeblicher Zeitpunkt für die Prüfung der Sach- und Rechtslage ist nach § 77 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 AsylG vorliegend der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts. Anzuwenden ist deshalb das Asylgesetz in der seit dem 27.02.2024 geltenden Fassung [...].

30 aa. Die Abschiebungsandrohung ist auch derzeit noch wirksam. Sie hat sich nicht erledigt, § 43 Abs. 2 VwVfG.

31 Solange ein Verwaltungsakt nicht erledigt ist, bleibt er gemäß § 43 Abs. 2 VwVfG wirksam. Die Erledigung eines Verwaltungsaktes tritt erst ein, wenn dieser nicht mehr geeignet ist, rechtliche Wirkungen zu erzeugen oder wenn die Steuerungsfunktion, die ihm ursprünglich innewohnte, nachträglich entfallen ist [...]. Eine Abschiebungsandrohung erledigt sich bzw. wird gegenstandslos, wenn die Ausreisepflicht entfällt, etwa weil dem betroffenen Ausländer ein Aufenthaltsrecht gewährt wird. Allein die Durchführung der Abschiebung oder eine freiwillige Ausreise führt nicht zu ihrer Erledigung im Sinne von § 43 Abs. 2 VwVfG. Sie kann auch nach einer späteren Wiedereinreise weiterhin Grundlage einer erneuten Abschiebung sein. Dies folgt aus § 71 Abs. 5 S. 1 und Abs. 6 S. 1 AsylG [...]. Die Regelung hat zur Folge, dass nach unanfechtbarem Abschluss des Asylerstverfahrens allein das Verlassen des Bundesgebiets – sei es im Wege der Abschiebung oder durch freiwillige Ausreise – nicht zum Verbrauch der bestandskräftigen Abschiebungsandrohung führt. Denn bei der Ausreise ist noch nicht zu übersehen, ob nach einer späteren Wiedereinreise ein Folgeantrag gestellt und die frühere Abschiebungsandrohung – der Regelung in § 71 Abs. 5 S. 1 AsylG entsprechend – noch für die Aufenthaltsbeendigung des potentiellen Folgeantragstellers benötigt werden wird (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 17.11.2023 – 12 S 986/23 –, BeckRS 2023, 33823 Rn. 20; a.A. wohl: VG Freiburg, Beschluss vom 09.02.2021 – 10 K 3748/20 –, BeckRS 2021, 2019). [...]

32 Gemessen daran führt die Ausreise des Antragstellers aus dem Bundesgebiet nach 2017 nicht zur Erledigung der Abschiebungsandrohung. [...]

33 bb. Eine weitere (neue) Abschiebungsandrohung im Bescheid vom 21.07.2023 war aufgrund von § 71 Abs. 5 S. 1 und Abs. 6 S. 1 AsylG nicht erforderlich. Die Abschiebung des Antragstellers ohne erneute Abschiebungsandrohung erweist sich auch nicht als unionsrechtswidrig, sie verstößt insbesondere nicht gegen Art. 6 RL 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie).

34 Nach Art. 6 Abs. 1 der Rückführungsrichtlinie erlassen die Mitgliedstaaten unbeschadet der Ausnahmen nach den Absätzen 2 bis 5 gegen alle illegal in ihrem Hoheitsgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen eine Rückkehrentscheidung. [...]

35 Gemessen hieran ist es unionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass gegenüber dem Antragsteller keine erneute Rückkehrentscheidung – d.h. weitere Abschiebungsandrohung – ergangen ist, nachdem er der früheren Abschiebungsandrohung nachgekommen ist. Die Rückführungsrichtlinie enthält mit Art. 6 Abs. 1 lediglich die Vorgabe an die Mitgliedsstaaten, dass diese den Aufenthalt eines illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen nicht ohne eine Rückkehrentscheidung beenden. Es soll somit eine Rückkehrentscheidung geben, die der betreffende Drittstaatsangehörige sodann auch mit einem wirksamen Rechtsbehelf  im Sinne von Art. 13 Abs. 1 der Rückführungsrichtlinie angreifen können soll. Diese liegt hier in Form der Abschiebungsandrohung aus Ziff. 5 S. 2 des Bescheids vom 18.10.2017 vor, die der Antragsteller auch – wie mit dem vorliegenden Eilantrag geschehen – gerichtlich überprüfen lassen kann. Unmittelbar für den Fall einer Ausreise nach Erlass einer Rückführungsentscheidung und späterer Wiedereinreise des Drittstaatsangehörigen geltende Regeln enthält die Rückführungsrichtlinie nicht (a.A.: VG Leipzig, Beschluss vom 25.10.2023 – 4 L 345/23.A –, BeckRS 29256 Rn. 59 ff.)

36 Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber mit § 71 Abs. 5 S. 2 AsylG von Art. 41 Abs. 1 RL 2013/32/EU (Asylverfahrensrichtlinie) Gebrauch gemacht hat [...]. Art. 6 der Rückführungsrichtlinie ist aufgrund der Spezialität von Art. 41 Abs. 1 und 2 der Asylverfahrensrichtlinie vorliegend nicht anwendbar. Nach Art. 41 Abs. 1 UAbs. 1 lit. b der Asylverfahrensrichtlinie können die Mitgliedstaaten Ausnahmen vom Recht auf Verbleib im Hoheitsgebiet unter anderem dann machen, wenn eine Person nach einer bestandskräftigen Entscheidung, mit der ein erster Folgeantrag als unbegründet abgelehnt wird, in demselben Mitgliedstaat einen weiteren Folgeantrag stellt. Ergänzend hierzu sieht Art. 41 Abs. 1 UAbs. 2 der Asylverfahrensrichtlinie vor, dass die Mitgliedstaaten eine solche Ausnahme nur dann machen können, wenn die Asylbehörde die Auffassung vertritt, dass eine Rückkehrentscheidung keine direkte oder indirekte Zurückweisung zur Folge hat, die einen Verstoß gegen die völkerrechtlichen und unionsrechtlichen Pflichten dieses Mitgliedstaats darstellt. Hieraus ergibt sich, dass jedenfalls bei der Ablehnung eines zweiten Asylfolgeantrags unionsrechtlich keine weitere Rückkehrentscheidung der Asylbehörde erforderlich ist, sondern durch sie lediglich eine Prüfung, ob der Vollzug der ggf. schon älteren Rückkehrentscheidung auch zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu einem Verstoß gegen die völkerrechtlichen und unionsrechtlichen Pflichten des Mitgliedstaates führt. [...]