Dritstaatsangehörige aus der Ukraine mit befristetem Aufenthaltstitel sind nicht durch Durchführungsbeschluss begünstigt:
1. Art. 2 Abs. 2 Durchführungsbeschluss (EU) 2022/382 begünstigt nur diejenigen Drittstaatsangehörigen aus der Ukraine, die dort ein unbefristetes Aufenthaltsrecht hatten. Personen wie die Antragstellerin, die nur über ein befristetes Aufenthaltsrecht verfügten, werden durch den Durchführungsbeschluss nicht unmittelbar begünstigt.
2. Art. 2 Abs. 3 Durchführungsbeschluss (EU) 2022/382 sieht zwar vor, dass Mitgliedstaaten gemäß Art. 7 Abs. 1 RL 2001/55/EG (Richtlinie zum vorübergehenden Schutz) den Beschluss auch auf andere Personen ausweiten können, insbesondere solche, die sich mit einem befristeten Aufenthaltsrecht rechtmäßig in der Ukraine aufhielten und nicht sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland zurückkehren können. Eine solche nationale Erweiterung des begünstigten Personenkreises bedarf jedoch einer gesetzlichen Regelung. Das Rundschreiben des BMI vom 05.09.2022 zur Umsetzung des Durchführungsbeschlusses erfüllt diese Voraussetzung wohl nicht.
3. Es kann hier jedoch dahinstehen, ob die Bundesrepublik wirksam von der Öffnungsklausel des Art. 2 Abs. 3 Durchführungsbeschluss (EU) 2022/382 Gebrauch gemacht hat, da die Antragstellerin dauerhaft und sicher in ihr Herkunftsland Marokko zurückkehren kann. Insofern können als Maßstab die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5, Abs. 7 AufenthG herangezogen werden, wobei dem unionsrechtlichen Kriterium der Dauerhaftigkeit hinreichend Rechnung zu tragen ist.
(Leitsätze der Redaktion; anderer Ansicht hinsichtlich LS. 3.: VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 26.10.2022 - 11 S 1467/22 (Asylmagazin 12/2022, S. 413 f.) - asyl.net: M31064, S. 14 f.; VG München, Beschluss vom 30.09.2022 - M 12 S 22.4539 - asyl.net: M30986)
[...]
Die Ablehnung der Erteilung der beantragten Aufenthaltserlaubnis erweist sich im Rahmen der nach § 80 Abs. 5 VwGO allein gebotenen summarischen Prüfung als offensichtlich rechtmäßig. [...]
Ein Anspruch auf die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis der Antragstellerin ergibt sich nicht aus § 24 Abs. 1 AufenthG. [...]
Die Schutzgewährungs- bzw. Massenzustrom-RL 2001/55/EG wurde mit Beschluss der EU-Innenminister vom 03.03.2022 im Hinblick auf diejenigen Menschen erstmals aktiviert, die vor dem am 24.02.2022 begonnenen Angriff Russlands auf die Ukraine fliehen. Der entsprechende Durchführungsbeschluss (EU) 2022/382 des Rates vom 04.03.2022 zur Feststellung des Bestehens eines Massenzustroms von Vertriebenen aus der Ukraine im Sinne des Artikels 5 der Richtlinie 2001/55/EG des Rates vom 20.07.2001 und zur Einführung eines vorübergehenden Schutzes (ABl. L 71/1 vom 04.03.2022) regelt die Einzelheiten. [...]
Die Antragstellerin ist jedoch keine anspruchsberechtigte Person nach Art. 2 des Durchführungsbeschlusses.
Als anspruchsberechtigte Person i.S.d. Art. 2 Abs. 1 des Durchführungsbeschlusses (EU) 2022/382 gelten
a) ukrainische Staatsangehörige, die vor dem 24.02.2022 ihren Aufenthalt in der Ukraine hatten
b) Staatenlose und Staatsangehörige anderer Drittländer als der Ukraine, die vor dem 24.02.2022 in
der Ukraine internationalen Schutz oder einen gleichwertigen nationalen Schutz genossen haben, und
c) Familienangehörige der unter den Buchstaben a und b genannten Personen.
Die Antragstellerin ist keine ukrainische Staatsangehörige und hat auch keine ukrainischen Familienangehörigen. Als marokkanische Staatsangehörige hat sich auch keinen internationalen Schutz oder einen gleichwertigen nationalen Schutz genossen.
Die Antragstellerin ist auch keine anspruchsberechtigte Person i.S.d. Art. 2 Abs. 2 des Durchführungsbeschlusses. Demnach sind auch Staatenlose und Staatsangehörige anderer Drittländer als der Ukraine anspruchsberechtigt, die nachweisen können, dass sie sich vor dem 24.02.2022 auf der Grundlage eines nach ukrainischem Recht erteilten gültigen unbefristeten Aufenthaltstitels rechtmäßig in der Ukraine aufgehalten haben, und die nicht in der Lage sind, sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland oder ihre Herkunftsregion zurückzukehren. Vorliegend wurde der Antragstellerin jedoch nur ein befristeter ukrainischer Aufenthaltstitel ("temporary residence") bis zum 01.12.2022 ausgestellt, sodass sie nicht im Besitz eines unbefristeten ukrainischen Aufenthaltstitels ist.
Die Antragstellerin ist nach vorläufiger Prüfung im Eilverfahren auch keine anspruchsberechtigte Person i.S.d. Art. 2 Abs. 3 des Durchführungsbeschlusses. Denn der Ratsbeschluss begünstigt drittstaatsangehörige Ausländer mit einem befristeten Aufenthaltsrecht in der Ukraine nicht unmittelbar. Vielmehr können die Mitgliedstaaten gem. Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2001/55/EG diesen Beschluss auch auf andere Personen, insbesondere Staatenlose und Staatsangehörige anderer Drittländer als der Ukraine anwenden, die sich rechtmäßig in der Ukraine aufhielten und nicht sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland oder ihre Herkunftsregion zurückkehren können. [...] Eine nationale Erweiterung des begünstigten Personenkreises erfordert eine gesetzliche Regelung, wobei über § 23 Abs. 2 und 3 AufenthG eine im Benehmen mit den obersten Landesbehörden getroffene und als Verwaltungsvorschrift wirkende Anordnung des Bundesministeriums des Innern und für Heimat, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Ausländern aus bestimmten Staaten oder in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen in einem ersten Schritt eine einzelfallbezogene Aufnahmezusage erteilt, möglich erscheint (ebenso Dietz, Kriegsvertriebene aus der Ukraine, NVwZ 2022, 505 [506], der jedoch auf eine Aufnahmezusage nach § 23 Abs. 4 AufenthG abstellt.). Das Länderrundschreiben des Bundesministeriums des Inneren und für Heimat vom 05.09.2022 i.d.F. vom 20.09.2022 erfüllt diese Voraussetzungen nicht (a.A. wohl VGH Mannheim, Beschluss v. 26.10.2022 – 11 S 1467/22 – Rn. 26, juris). Vorliegend kann es dahinstehen, ob die Bundesrepublik Deutschland von dieser Öffnungsklausel Gebrauch gemacht hat und die Antragstellerin unter die dort benannte Personengruppe zu zählen ist. Denn soweit die Antragstellerin auf die desolate Wirtschaftslage mit hoher Jugendarbeitslosigkeit und der Gefahr einer Niedriglohnbeschäftigung in Marokko verweist, so steht dies einer sicheren und dauerhaften Rückkehr in ihr Heimatland jedenfalls nicht entgegen.
Die sichere und dauerhafte Rückkehr in das Herkunftsland oder die Herkunftsregion ist weder in der Richtlinie 2001/55/EG noch im Durchführungsbeschluss festgelegt (s.a. VGH Mannheim, Beschluss v. 26.10.2022 – 11 S 1467/22 –, Rn. 30, juris).Anhaltspunkte dafür, was unter einer sicheren und dauerhaften Rückkehr in diesem Sinne zu verstehen ist, lässt sich dem Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2001/55/EG entnehmen, auf den § 24 Abs. 1 AufenthG verweist. Danach wird der vorübergehende Schutz beendet, wenn die Lage im Herkunftsland eine sichere, dauerhafte Rückkehr der Personen, denen der vorübergehende Schutz gewährt wurde, unter Wahrung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Verpflichtungen der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Nichtzurückweisung, zulässt. [...]
Bei der Beurteilung, ob eine sichere und dauerhafte Rückkehr möglich ist, sollten sich die Mitgliedstaaten nach Mitteilung der Kommission auf die allgemeine Lage im Herkunftsland oder der Herkunftsregion stützen. Die Beurteilung soll aber auch die individuellen Umstände der Betreffenden berücksichtigen. [...] Zur Feststellung der Rückkehrmöglichkeit können als Maßstab die Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 und 7 AufenthG herangezogen werden (so auch das Bundesministerium des Inneren und für Heimat in seinem Länderschreiben vom 05.09.2022 i.d.F. vom 20.09.2022, S. 8, Ziffer 4.4.). Hierbei ist dem unionsrechtlichen Kriterium der Dauerhaftigkeit hinreichend Rechnung zu tragen. [...]
Nach diesen Maßstäben liegen dem Gericht keine Erkenntnisse vor, dass die Antragstellerin nicht sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland Marokko zurückkehren könnte. [...]