OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 19.12.2022 - 17 B 1017/22 - asyl.net: M31212
https://www.asyl.net/rsdb/m31212
Leitsatz:

Keine Beschäftigungserlaubnis im Eilverfahren für drittstaatsangehörige Person aus der Ukraine:

1. Die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis im Eilverfahren würde die Hauptsache vorwegnehmen. Das Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache ist nicht schlechthin unzumutbar, sodass der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, die Beschäftigungserlaubnis zu erteilen, unzulässig ist.

2. Im Übrigen dürfte § 81 Abs. 5a AufenthG nicht analog auf Personen anwendbar sein, die sich gemäß § 81 Abs. 3 S. 1 AufenthG i.V.m. § 2 Abs. 1 UkraineAufenthÜV rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten und deren Antrag auf Aufenthaltserlaubnis nach § 24 Abs. 1 AufenthG noch nicht positiv beschieden ist. Es dürfte zumindest an einer vergleichbaren Interessenlage fehlen, da sich § 81 Abs. 5a AufenthG auf den Zeitraum zwischen der Entscheidung, den Aufenthaltstitel zu erteilen und der Aushändigung des elektronischen Aufenthaltstitels bezieht.

(Leitsätze der Redaktion; unter Bezug auf: OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 14.10.2022 - 18 B 964/22 - asyl.net: M31245; Erlass des Ministeriums für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen vom 31.05.2022, Az.: 513-2022-0002528 - mkjfgfi.nrw; siehe auch: VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 26.10.2022 - 11 S 1467/22 - asyl.net: M31064)

Schlagwörter: Beschäftigungserlaubnis, Arbeitserlaubnis, Ukraine, Drittstaatsangehörige, Richtlinie zum vorübergehenden Schutz, Massenzustromsrichtlinie, Fiktionsbescheinigung, Fiktionswirkung, vorläufiger Rechtsschutz, Vorwegnahme der Hauptsache, Student, Ukraine-Krieg, Ukraine-Aufenthalts-Übergangsverordnung, UkraineAufenthÜV, Studierende,
Normen: AufenthG § 24 Abs. 1, AufenthG § 81 Abs. 5a, AufenthG § 81 Abs. 3, AufenthG § 81 Abs. 5, RL 2001/55/EG, VwGO § 123 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Die Antragstellerin erstrebt mit ihrem vom Verwaltungsgericht als Antrag auf "Aufnahme einer Beschäftigungserlaubnis in die bereits ausgestellte Fiktionsbescheinigung" ausgelegten Begehren keine nur vorläufige Regelung. Die der Sache nach begehrte Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis stellt vielmehr eine Vorwegnahme der in einem künftigen Hauptsacheverfahren zu erstrebenden Entscheidung dar, worauf der Senat die Beteiligten mit Verfügung vom 28. November 2022 hingewiesen hat.

Ein derartiges Rechtsschutzziel widerspricht grundsätzlich der Funktion des vorläufigen Rechtsschutzes und kommt nur ausnahmsweise aus Gründen des Gebotes effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) in Betracht, nämlich dann, wenn das Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache für den jeweiligen Antragsteller schlechthin unzumutbar wäre. [...]

Die Beschwerdebegründung macht nicht glaubhaft, dass die letztgenannte Voraussetzung erfüllt ist. Namentlich hat die Antragstellerin keine aus einer Nichterteilung der Beschäftigungserlaubnis resultierenden schweren und unzumutbaren Nachteile dargelegt. Allein der Umstand, dass die Antragstellerin bis zu einer Entscheidung über ihren Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 24 AufenthG keiner Beschäftigung nachgehen und ggf. keine Leistungen nach dem SGB II in Anspruch nehmen kann, stellt keine unzumutbare Bedrohung ihrer Individualinteressen dar. Insbesondere ist der Beschwerdebegründung nicht zu entnehmen, dass der Lebensunterhalt der Antragstellerin nur durch die Aufnahme einer Beschäftigung und nicht etwa durch die Inanspruchnahme öffentlicher Leistungen gewährleistet werden kann. [...]

Ohne Entscheidungserheblichkeit merkt der Senat an:

Das Verwaltungsgericht hat entscheidungserheblich angenommen, die Vorschrift des § 81 Abs. 5a AufenthG scheide als Anspruchsgrundlage aus, da die Antragstellerin keinen Aufenthaltstitel zu Ausbildungs- oder Erwerbstätigkeitszwecken begehre. § 81 Abs. 5a AufenthG sei auch nicht analog in den Fällen anwendbar, in denen sich Ausländer aufgrund der UkraineAufenthÜV rechtmäßig in Deutschland aufhielten und die - wie die Antragstellerin - einen bisher noch nicht (positiv) beschiedenen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG gestellt hätten. Eine analoge Anwendung setze neben einer Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes eine vergleichbare Sach- und Interessenlage voraus. Vorliegend fehle es jedenfalls an der letztgenannten Voraussetzung. Die Vorschrift des § 81 Abs. 5a AufenthG sei zur Überbrückung des Zeitraums zwischen der Entscheidung der Ausländerbehörde, den die Erwerbstätigkeit gestattenden Aufenthaltstitel zu erteilen, und der Aushändigung des elektronischen Aufenthaltstitels im Scheckkartenformat an den Ausländer eingeführt worden. In Situationen, in denen (wie hier) noch keine - zumal positive - Entscheidung über einen gestellten Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis getroffen worden sei, entstehe schon nicht der vom Gesetzgeber mit der Einführung des § 81 Abs. 5a AufenthG in den Blick genommene Schwebezeitraum, in dem bereits eine Erwerbstätigkeit gestattet werden sollte. [...]

Ihr Vorbringen zum Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke im Hinblick auf die "erstmalige Aktivierung" des § 24 AufenthG ist unerheblich, da das Verwaltungsgericht das Vorliegen dieser Voraussetzung ausdrücklich hat dahinstehen lassen.

Die Beschwerde macht ferner geltend, die ab dem 1. Juni 2022 gegebene Zuständigkeit der Jobcenter für "Flüchtlinge mit Fiktionsbescheinigungen gem. § 81 Abs. III, V AufenthG" mache nur Sinn, wenn diese Flüchtlinge auch dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stünden. [...]

Mit diesem pauschalen Vorbringen wird indes eine mit dem Sinn und Zweck des § 81 Abs. 5a AufenthG vergleichbare Sach- und Interessenlage nicht dargetan. Die Beschwerde übergeht die entscheidungstragende Annahme des Verwaltungsgerichts, die Vorschrift wolle nur den "Schwebezeitraum" zwischen der Entscheidung der Ausländerbehörde, den die Erwerbstätigkeit gestattenden Aufenthaltstitel zu erteilen (Hervorhebung durch den Senat) und der Aushändigung des elektronischen Aufenthaltstitels im Scheckkartenformat überbrücken. Die Beschwerdebegründung legt nicht substantiiert dar, inwieweit diese Sachlage mit der vorliegenden Konstellation, in der noch kein Aufenthaltstitel (gemäß § 24 AufenthG) erteilt wurde, überhaupt vergleichbar sein sollte.

Auch der Verweis auf den Erlass des Ministeriums für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen (im Folgenden: MKFFI-NRW) vom 4. Mai 2022 führt unabhängig von der Frage seiner Verbindlichkeit für die Verwaltungsgerichte nicht zum Erfolg.

Die in Bezug genommene Formulierung,

"Vor allem ist analog § 81 Abs. 5a AufenthG die Fiktionsbescheinigung mit dem Vermerk "Erwerbstätigkeit erlaubt" zu versehen, so dass ihre Ausgabe bewirkt, dass der Inhaber bereits eine Erwerbstätigkeit aufnehmen kann (siehe 8.5 Arbeitsmarktzugang) (...)" dürfte nur so zu verstehen sein, dass der Ausländer zu den berechtigten Personen nach § 24 AufenthG zählt. [...]

Dies dürfte mit Blick auf die Antragstellerin, die sich als guineische Studentin vor dem 24. Februar 2022 in der Ukraine mit einem lediglich befristeten Aufenthaltstitel aufgehalten hat, nicht mit der erforderlichen, die Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigenden Sicherheit anzunehmen sein. [...]