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EGMR stoppt Abschiebung eines als „Gefährder“ eingestuften jungen Mannes

Der EGMR verhinderte mit einer vorläufigen Maßnahme die Abschiebung eines in Deutschland aufgewachsenen 18-jährigen russischen Staatsangehörigen, der von den Bremer Behörden als „Gefährder“ eingestuft worden war. Zuvor hatten sowohl das BVerwG als auch das BVerfG entschieden, dass die Abschiebungsanordnung des Bremer Innensenators rechtmäßig sei.

Auf Veranlassung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), wurde am 1. August 2017 die Abschiebung eines jungen Mannes nach Russland gestoppt. Laut Medienberichten war die Abschiebung bereits im Gange als die EGMR Entscheidung erging. Der Wagen, mit dem der Betroffene zum Flughafen Frankfurt gefahren wurde, drehte demnach wieder um.

Der 18-Jährige stammt aus der russischen Republik Dagestan im Nordkaukasus, lebte aber seit dem Kleinkindalter in Deutschland. Er ist im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis, im Jahr 2014 wurde ihm jedoch die Ausreise aus Deutschland untersagt, da davon ausgegangen wurde, dass er sich in Syrien terroristischen Vereinigungen anschließen wolle. Die Staatsanwaltschaft Bremen leitete ein Strafverfahren ein. Nach den Erkenntnissen der Bremer Ermittlungsbehörden sympathisiere er mit der Terrormiliz „Islamischer Staat“ und habe sich in einem Online-Chat dazu bereit erklärt einen Anschlag auf Zivilisten zu verüben.

Im März 2017 erließ der Innensenator Bremens eine Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG, die als spezielle Maßnahme der Gefahrenabwehr der obersten Landesbehörde vorbehalten ist. Die Regelung wurde bereits 2005 in das Zuwanderungsgesetz aufgenommen, laut beck-aktuell Nachrichten werde aber erst seit dem Attentat am Berliner Breitscheidplatz im Winter 2016 verstärkt davon Gebrauch gemacht.

Der Betroffene erhob gegen die Abschiebungsanordnung Klage und Eilrechtsschutzantrag vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), welches in Streitigkeiten nach § 58a AufenthG ausnahmsweise erstinstanzlich zuständig ist. Das BVerwG lehnte den Eilrechtsschutzantrag ab (Beschluss vom 13.07.2017 - 1 VR 3.17 (1 A 4.17) – asyl.net: M25285). Es bezog sich in seiner Entscheidung auf seine Rechtsprechung in ähnlichen Fällen (z.B. Beschluss vom 21.03.2017 - 1 VR 1.17 – asyl.net: M24854, Asylmagazin 6/2017 mit Anmerkung von Carsten Hörich). Laut Eilentscheidung des BVerwG ist die Regelung des § 58a AufenthG verfassungsgemäß. Dabei sei bei der Prognose, ob eine Gefahr von den Betroffenen ausgehe, eine geringere Gefahrenschwelle als im Polizeirecht anzusetzen. Beim Erlass der Abschiebungsanordnung habe die Behörde allerdings eigenständig zu überprüfen, ob ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot bestehe, ggf. seinen Zusicherungen vom Zielstaat der Abschiebung einzuholen, dass die Betroffenen bei Rückkehr menschenrechtskonform behandelt werden. In den Hauptsachen werden diese Fälle am 22. August 2017 vor dem BVerwG verhandelt.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bestätigte letzte Woche die Entscheidung des BVerwG (Beschluss vom 26.07.2017 - 2 BvR 1606/17 – asyl.net: M25301). Es bezog sich dabei auf seine Entscheidung im Fall eines auch von Bremen als „Gefährder“ eingestuften Algeriers (Beschluss vom 24.07.2017 - 2 BvR 1487/17 - asyl.net: M25275). Danach ist die Regelung des § 58a AufenthG formell und materiell verfassungsgemäß. Laut BVerfG ist die Bewertung des Gefährdungspotentials der jeweils Betroffenen durch das BVerwG nicht zu beanstanden. Im Einzelfall seien ggf. geeignete Maßnahmen erforderlich, um Menschenrechtsverletzungen der Betroffenen im Zielstaat der Abschiebung zu verhindern. Im Fall des jungen Mannes aus Russland gingen BVerwG und BVerfG davon aus, dass ihm bei Rückkehr keine Menschenrechtsverletzung drohen würde.

Der EGMR hat nun eine vorläufige Maßnahme nach Art. 39 seiner Verfahrensordnung getroffen und damit die Abschiebung vorläufig verhindert (ausführlich zu vorläufigen Maßnahmen nach der sogenannten „Rule 39“ siehe Nora Markard, Asylmagazin 1-2/2012). Solche verfahrensrechtlichen Entscheidungen des EGMR sind nicht auf seinem Dokumentenserver HUDOC verfügbar. Auf Anfrage der Redaktion äußerte sich die Pressestelle des Gerichtshofs aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht zu dem Fall. Sie wies darauf hin, dass vorläufige Maßnahmen in Fällen drohender Abschiebung lediglich den ordnungsgemäßen Ablauf des Beschwerdeverfahrens sicherstellen sollen. Dies bedeute jedoch weder eine Entscheidung in der Sache, noch dass die Beschwerde überhaupt zur Prüfung angenommen wurde.