Neue Rechtsprechung und Hinweise zu Änderungen im AsylbLG durch das Migrationspaket

Durch das sogenannte Migrationspaket wurden weitreichende Änderungen im Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) vorgenommen. So wurden verschiedene Leistungskürzungen eingeführt und Personen, die in anderen europäischen Staaten einen Schutzstatus erhalten haben, sollen unter Umständen komplett von Leistungen ausgeschlossen werden können. Zu diesen umstrittenen Neuregelungen gibt es erste Rechtsprechung und Ländererlasse. Der Flüchtlingsrat Niedersachsen hat darüber hinaus aktuelle Hinweise zu den Neuerungen veröffentlicht. Wir geben nachfolgend einen Überblick zu den Rechtsfragen sowie zur aktuellen Rechtslage.

Sowohl mit dem Zweiten Ausreisepflicht-Durchsetzungs-Gesetz als auch mit dem Dritten AsylbLG-Änderungsgesetz wurden Änderungen am Asylbewerberleistungsgesetz vorgenommen. Diese Neuregelungen führen teilweise zu erheblichen Leistungseinschränkungen und auch Ausschlüssen und wurden daher heftig kritisiert. Der Flüchtlingsrat Niedersachsen hat hierzu Hinweise veröffentlicht, in denen die wichtigsten Änderungen dargestellt und Empfehlungen für die Beratungspraxis gegeben werden.

Absenkung der Leistungen für alleinstehende Erwachsene in Gemeinschaftsunterkünften

Die Hinweise betreffen etwa die Neuregelung, wonach alleinstehende Erwachsene in Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften nunmehr in die niedrigere Regelbedarfsstufe 2 eingeordnet werden. Damit werden Personen, die sich grundsätzlich fremd sind aber einer gemeinsamen Unterkunft zugewiesen wurden, mit verheirateten und verpartnerten Personen gleichgestellt. Laut Gesetzesbegründung hätten sie als "Schicksalsgemeinschaft" dieselben Einspareffekte wie Paarhaushalte. Die geringeren Leistungen laufen auf eine Reduzierung von etwa 10% hinaus.

Das SG Landshut hat zu dieser Neuregelung bereits eine Eilentscheidung gefällt und erachtet die Regelung für verfassungswidrig (asyl.net: M27766). Auf Grundlage der anwaltlichen Eilantragsbegründung wurde ein Musterschriftsatz entwickelt, den der Flüchtlingsrat nun online zur Verfügung stellt. Es wird geraten, gegen die niedrigere Einstufung Widerspruch beim Sozialamt einzulegen und zeitgleich Eilrechtsschutzantrag beim zuständigen Sozialgericht zu stellen.

In den Hinweisen des Flüchtlingsrats werden auch weitere Leistungskürzungen erläutert, die zusätzlich zu bereits bestehenden Regelungen eingeführt wurden, wie etwa bei Asylantragsablehnung durch Dublin-Bescheid oder bei fehlender Mitwirkung an der Identitätsklärung.

Möglicher Leistungsausschluss von in anderen Staaten "Anerkannten"

Hervorgehoben wird in den Hinweisen auch der neu eingeführte vollständige Leistungsausschluss für Personen, die bereits in einem anderen europäischen Staat Schutz zuerkannt bekommen haben (sogenannte Anerkannte).

In diesem Zusammenhang stellt sich eine grundlegende Rechtsfrage: Es ist unklar, in welchen Fällen der neue Leistungsausschluss des § 1 Abs. 4 AsylbLG für Personen, die in einem anderen EU-Staat Schutz erhalten haben, überhaupt anwendbar ist. Die Frage dreht sich dabei um die Formulierung des Gesetzes, wonach der Leistungsausschluss greift, wenn Betroffene vollziehbar ausreisepflichtig sind, zugleich aber kein Duldungsgrund vorliegt. Eine auf der Rechtsprechung des BVerfG beruhende Auffassung vertritt, dass es rechtlich gesehen keine Personen geben kann, auf die dies zutrifft. Eine Duldung des Aufenthalts liegt nach dieser Auffassung immer vor, solange eine Abschiebung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht möglich ist (§ 60a Abs. 2 S. 1 AufenthG) oder aufgrund einer Ermessensentscheidung vorübergehend nicht durchgeführt werden soll (§ 60a Abs. 2 S. 3 AufenthG). In diesen Fällen müsse vom Bestehen einer Duldung ausgegangen werden; darauf, ob die Behörde auch tatsächlich die Duldungsbescheinigung ausstellt, käme es nicht an. Der dieser Ansicht zugrundeliegenden Entscheidung des BVerfG (asyl.net: M3339) lässt sich entnehmen, dass vollziehbar Ausreisepflichtige entweder unverzüglich abzuschieben oder zu dulden sind. Damit wäre letztlich keine Konstellation vorstellbar, in der sie sich in Deutschland aufhalten und nicht einen Anspruch auf Erteilung einer Duldung hätten. 

Das Innenministerium Rheinland-Pfalz hat sich in einem Erlass zu diesen Fragen geäußert (asyl.net: M27581): Personen mit Duldung fallen demnach nicht unter den Ausschluss, auch wenn sie ausreisepflichtig sind. Nach der einwöchigen Ausreisefrist ist eine Duldung zu erteilen, wenn die betroffene Person noch nicht abgeschoben werden kann oder wenn sie Eilrechtsschutz beantragt hat. 

Im rheinland-pfälzischen Erlass wird zudem davon ausgegangen, dass in Härtefällen Leistungen erbracht werden müssen, wobei sich die Annahme eines Härtefalls an den verfassungsrechtlichen Vorgaben zur Sicherstellung des Existenzminimums orientieren müsse (zum Beispiel bei vulnerablen Personen oder wenn Obdachlosigkeit, Hunger und Gefahren für Leib und Leben drohen).

Zur Zulässigkeit von Leistungskürzungen im Allgemeinen

Was Anerkannte betrifft, deren erneuter Asylantrag in Deutschland noch nicht als unzulässig abgelehnt wurde, ist eine aktuelle Entscheidung des LSG Niedersachsen-Bremen relevant (asyl.net: M27838): Das LSG hat hinsichtlich anderer gesetzlich vorgesehener Leistungskürzungen (nach § 1a Abs. 4 S. 2 AsylbLG), entschieden, dass diese rechtswidrig seien, wenn aufgrund systemischer Mängel der Aufnahmebedingungen in dem schutzgewährenden Land (hier Griechenland) die Gefahrt einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung besteht.

Darüber hinaus ist im Fall von Asylsuchenden bei Leistungskürzungen aktuelle EuGH-Rechtsprechung einschlägig. In einem Urteil vom 12. November 2019 hat der EuGH entschieden, dass Asylsuchende niemals (auch nicht vorübergehend) mit dem vollständigen Entzug der im Rahmen der Aufnahme gewährten materiellen Leistungen in Bezug auf Unterkunft, Verpflegung oder Kleidung sanktioniert werden dürfen, unabhängig von möglichem Fehlverhalten. Asylsuchenden darf demnach nicht die Möglichkeit genommen werden, die elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen (asyl.net: M27816).


Hinweis

Aufgrund vielfältiger Gesetzesänderungen können einzelne Arbeitshilfen in Teilen nicht mehr aktuell sein. Wir bemühen uns, so schnell wie möglich eine aktualisierte Version zu verlinken. Bis dahin bitten wir Sie, auf das Datum der Publikation zu achten und zu überprüfen, ob die Informationen noch korrekt sind.

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