In seiner ersten Entscheidung zur Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten (Beschluss vom 11.10.2017, asyl.net: M25554), versagte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) der betroffenen Familie aus Syrien Eilrechtsschutz und Prozesskostenhilfe.
Durch das „Asylpaket II“ wurde Anfang 2016 der Familiennachzug zu in Deutschland anerkannten subsidiär Schutzberechtigten pauschal bis März 2018 ausgesetzt (§ 104 Abs. 13 AufenthG, zu Einzelheiten siehe familie.asyl.net/ausserhalb-europas/begriffsbestimmungen/). Die Regelung wurde vielfach kritisiert, insbesondere da mit ihr eine Änderung der Entscheidungspraxis des BAMF einherging, Asylsuchenden aus Syrien nur noch subsidiären Schutz anstatt Flüchtlingsschutz zu gewähren. Dies führte zu zahlreichen sogenannten Upgrade-Klagen, die weiterhin alle Ebenen der Verwaltungsgerichtsbarkeit beschäftigen (siehe dazu u.a. asyl.net Meldung vom 24.2.2017).
Die vorliegende Verfassungsbeschwerde richtete sich direkt gegen die Aussetzung des Familiennachzugs. Sie wurde erhoben von einem 17-jährigen Syrer, seinen Eltern und seinen drei minderjährigen Geschwistern. Die Familie wurde von einer Berliner Rechtsanwältin vertreten und der Fall wurde von JUMEN unterstützt, einem Verein, der sich durch strategische Prozessführung für den Schutz der Grund- und Menschenrechte in Deutschland und spezifisch gegen die Aussetzung des Familiennachzugs einsetzt (siehe Projektvorstellung im Asylmagazin 4/2017 und auf lto.de).
Der älteste Sohn der Familie war im Herbst 2015 als unbegleiteter Minderjähriger nach Deutschland eingereist und wurde zwei Tage nach der Entscheidung des BVerfG volljährig. Mitte 2016 wurde ihm subsidiärer Schutz zuerkannt, seine Klage auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist noch nicht entschieden. Seine Eltern und Geschwister befinden sich in Damaskus. Da ihr Antrag auf Visa zum Familiennachzug nicht zeitnah beschieden wurde, beantragten sie Eilrechtsschutz vor dem für Visaverfahren allein zuständigen VG Berlin, welches den Antrag ablehnte. Die Beschwerde vor dem OVG Berlin-Brandenburg blieb ebenfalls erfolglos.
Daraufhin beantragten die Betroffenen vor dem BVerfG ihnen im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig Visa zu erteilen und hierfür Prozesskostenhilfe zu gewähren. Sie machten unter anderem geltend der Ausschluss des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten verstoße im Vergleich zu anerkannten Flüchtlingen und auch Personen mit Abschiebungsverbot gegen den Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 GG. Insbesondere rügten sie eine Verletzung ihres Rechts auf Familieneinheit nach Art. 6 GG; der Zweck der Zuwanderungsbegrenzung durch den Ausschluss des Nachzugs sei angesichts des gravierenden Grundrechtseingriffs unverhältnismäßig. Zudem bemängelten sie, dass die für Härtefälle vorgesehene humanitäre Aufnahme nach § 22 AufenthG nicht hinreichend angewendet werde.
Das BVerfG versagte der Familie Eilrechtsschutz und Prozesskostenhilfe. Soweit ein Anspruch auf Viaserteilung nach § 22 AufenthG geltend gemacht wurde, sei die Verfassungsbeschwerde mangels ausreichender Begründung unzulässig. Ein Härtefall sei nicht dargelegt worden, insbesondere sei ein vorgelegtes ärztliches Attest veraltet. Die Situation der Betroffenen unterscheide sich daher nicht maßgeblich von der anderer Familien, die von einem (noch) minderjährigen Kind getrennt sind.
In Bezug auf die beantragte vorläufige Erteilung von Visa zum Elternnachzug nach § 36 AufenthG, entschied das BVerfG dass die Verfassungsbeschwerde nicht offensichtlich unbegründet sei. In der Hauptsache wäre voraussichtlich zu klären gewesen, ob der Ausschluss des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten nach § 104 Abs. 13 AufenthG verfassungsgemäß ist. Das BVerfG bewertet den Ausgang des Hauptsacheverfahrens als offen. Daher seien die Folgen abzuwägen, die eintreten würden, einerseits wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, und andererseits wenn sie erlassen würde, die Verfassungsbeschwerde aber erfolglos bliebe. In seiner Abwägung stellte das BVerfG einerseits darauf ab, dass bei Versagung des Eilrechtsschutzes der Anspruch auf Herstellung der Familieneinheit bis zur Volljährigkeit des Minderjährigen in Deutschland endgültig vereitelt würde. Allerdings sei dabei zu berücksichtigen, dass der Nachzugsanspruch von Eltern zu ihrem minderjährigen Kind gesetzlich von vornherein bis zur Volljährigkeit begrenzt sei, im vorliegenden Fall kurz bemessen war und eine besondere Schutzbedürtigkeit nicht hinreichend vorgetragen worden sei. Andererseits wog das BVerfG ab, würde den Betroffenen die Einreise nach Deutschland erlaubt, was ebenfalls nicht mehr rückgängig gemacht werden könnte. Würde die einstweilige Anordnung mit verfassungsrechtlichen Bedenken gegen den gesetzlichen Ausschluss des Familiennachzugs begründet, käme dies einer Aussetzung des Vollzugs des Gesetzes gleich.
Das BVerfG folgerte schließlich, dass die einstweilige Anordnung in diesem Fall nicht zu erlassen sei. Der Grundsatz der Gewaltenteilung gebiete es dem BVerfG ein Gesetz im Eilverfahren nur mit großer Zurückhaltung zu suspendieren, auch wenn die Abwägung der jeweiligen Folgen seiner Entscheidung in etwa gleichgewichtige Nachteile ergäbe. Vorliegend würde die Aussetzung des Familiennachzugs für den Rest ihres Geltungszeitraums suspendiert, was das Ziel des Gesetzgebers, Zuzug zu begrenzen, vollständig vereiteln würde.
Link zur Entscheidung des BVerfG auf asyl.net: Beschluss vom 11.10.2017 - 2 BvR 1758/17 - asyl.net: M25554
Stellungnahme von JUMEN zur Entscheidung des BVerfG: https://jumen.org/news/