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EuGH

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Zitieren als:
EuGH, Urteil vom 19.12.2024 - C-123/23, C-202/23 - N.A.K. u.a. gg. Deutschland - asyl.net: M32939
https://www.asyl.net/rsdb/m32939
Leitsatz:

Zur Einstufung von Asyl- und Zweitanträgen als Folgeantrag:

1. Es steht Unionsrecht nicht entgegen, wenn ein Asylantrag als Folgeantrag bewertet und als unzulässig abgelehnt wird, weil bereits zuvor ein anderer Mitgliedstaat über den Asylantrag rechtskräftig entschieden hat und keine neuen Gründe oder Erkenntnisse vorliegen, die ein weiteres Verfahren eröffnen können. 

2. Es ist nicht mit Unionsrecht zu vereinbaren, einen Asylantrag als Folgeantrag zu bewerten, wenn der Mitgliedstaat, in dem zuvor ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, das Asylverfahren nach Stellung des neuen Antrags in dem anderen Mitgliedstaat wegen Nichtbetreibens eingestellt hat und die Frist zur Wiedereröffnung noch nicht abgelaufen ist.  Die Entscheidung ist vor Ablauf der Wiederaufgreifensfrist nicht rechtskräftig, sondern kann innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Frist (von 9 Monaten) wiedereröffnet und als Erstverfahren fortgeführt werden.

(Leitsätze der Redaktion; Vorabentscheidungsersuchen des VG Minden, Beschluss vom 28.10.2022 - 1 K 1829/21.A - asyl.net: M31401)

Schlagwörter: Zweitantrag, Unzulässigkeit, Asylfolgeantrag, Vorabentscheidungsverfahren, EuGH, Rechtskraft, Einstellung, Asylverfahren,
Normen: RL 2013/32 Art. 33 Abs. 2 Bst. d, RL 2013/32 Art. 40 Abs. 1, RL 2013/32 Art. 40 Abs. 7, RL 2013/32 Art. 2 Bst. q, RL 2013/32 Art. 28 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

Rechtssache C-123/23

24 N.A.K. ist die Mutter der minderjährigen Kinder E.A.K. und Y.A.K. und deren gesetzliche Vertreterin. Sie sind staatenlose Palästinenser aus dem Gazastreifen. Ihren Angaben zufolge reisten sie am 11. November 2019 nach Deutschland ein und beantragten am 15. November 2019 Asyl. [...]

25 Aus den Angaben von N.A.K. und Nachforschungen des Bundesamts geht hervor, dass N.A.K. zuvor bei den zuständigen Behörden des Königreichs Spanien und des Königreichs Belgien Asylanträge gestellt hatte. Ein Wiederaufnahmegesuch des Bundesamts an die zuständige spanische Behörde wurde von dieser abgelehnt. Ein Wiederaufnahmegesuch an die zuständige belgische Behörde wurde nicht gestellt.

26 Ein Informationsersuchen des Bundesamts an die zuständige belgische Behörde beantwortete diese am 5. März 2021 dahin gehend, dass der Antrag von N.A.K. auf internationalen Schutz vom 21. August 2018 am 5. Juli 2019 zurückgewiesen und dagegen kein Rechtsmittel eingelegt worden sei. Die zuständige belgische Behörde war u. a. der Auffassung, es sei nicht glaubhaft gemacht worden, dass N. A. K. in ihrem Herkunftsland eine Verfolgung bzw. ein ernsthafter Schaden gedroht habe. [...]

28 Das vorlegende Gericht führt aus, dass aus den Urteilen vom 20. Mai 2021, L. R. (Von Norwegen abgelehnter Asylantrag) (C-8/20, EU:C:2021:404), und vom 22. September 2022, Bundesrepublik Deutschland (Von Dänemark abgelehnter Asylantrag) (C-497/21, EU:C:2022:721), hervorgehe, dass eine Bestimmung wie § 71a AsylG keine Anwendung finden könne, wenn der Erstantrag auf Asyl desselben Betroffenen entweder von einem Drittstaat oder von einem Mitgliedstaat, der nicht derjenige sei, bei dem der Zweitantrag auf Asyl gestellt worden sei und der nicht an die Richtlinie 2011/95 gebunden sei, abgelehnt worden sei. Dagegen habe der Gerichtshof die Frage, ob eine solche Bestimmung im Fall der Ablehnung eines Erstantrags auf Asyl durch einen anderen Mitgliedstaat, der an die Richtlinie 2011/95 gebunden sei, bisher ausdrücklich offengelassen. [...]

29Insoweit ist das vorlegende Gericht der Auffassung, dass der Begriff "Folgeantrag" im Sinne von Art. 2 Buchst. q der Richtlinie 2013/32 auch die Fälle umfasse, in denen ein Antrag auf internationalen Schutz nach Erlass der bestandskräftigen Entscheidung eines anderen Mitgliedstaats der Union über einen entsprechenden früheren Antrag desselben Antragstellers gestellt werde, so dass Art. 33 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2013/32 auf diesen Antrag anwendbar sei. [...]

Rechtssache C-202/23

31 Am 2. März 2020 reiste der libanesische Staatangehörige M.E.O. nach Deutschland ein und stellte einen Antrag auf Asyl, der vom Bundesamt am 30. April 2020 registriert wurde. Nachforschungen des Bundesamts ergaben, dass M.E.O. vor seiner Einreise nach Deutschland einen Antrag auf internationalen Schutz in Polen gestellt hatte.

32 Mit Schreiben vom 29. April 2020 stimmten die polnischen Behörden einer Wiederaufnahme von M. E. O. zu. Mit Bescheid vom 25. Juni 2020, der M.E.O. am 1. Juli 2020 ausgehändigt wurde, lehnte das Bundesamt dessen Asylantrag als unzulässig ab und ordnete seine Abschiebung nach Polen an. M.E.O. erhob gegen diesen Bescheid Klage und stellte zusätzlich einen Eilantrag. Letzterer wurde am 31. Juli 2020 abgelehnt. Aus den Ausführungen des vorlegenden Gerichts geht jedoch hervor, dass die Anordnung der Abschiebung von M.E.O. nach Polen nicht vollstreckt werden konnte, wobei M.E.O. nicht als flüchtig im Sinne von Art. 29 Abs. 2 der Dublin-III-Verordnung angesehen werden konnte.

33 Am 2. Februar 2021 hob das Bundesamt den Bescheid vom 25. Juni 2020 mit der Begründung auf, dass die Frist für die Überstellung von M.E.O. nach Polen abgelaufen sei. Auf ein vom Bundesamt an die polnischen Behörden gerichtetes Informationsersuchen teilten diese zudem mit, dass das von M.E.O. in Polen betriebene Verfahren betreffend den Antrag auf internationalen Schutz am 20. April 2020 eingestellt worden sei, weil M.E.O. sich in Deutschland aufgehalten habe. Das vorlegende Gericht führt aus, dass dieses Verfahren gemäß den polnischen Rechtsvorschriften auf Antrag von M.E.O. mit einer Frist von neun Monaten ab seiner Einstellung, d. h. bis zum 20. Januar 2021, hätte wieder aufgenommen werden können.

34 Mit Bescheid vom 14. Juli 2021 lehnte das Bundesamt den Asylantrag von M.E.O. als unzulässig ab und drohte ihm die Abschiebung in den Libanon an. [...]

35 Das vorlegende Gericht führt aus, die Voraussetzungen für die Anwendung von § 71a AsylG seien mit Blick auf die Sachlage im Ausgangsverfahren erfüllt, so dass der Asylantrag von M.E.O. als unzulässig abzulehnen sei. Zum einen sei diese Bestimmung nämlich dahin auszulegen, dass sie anzuwenden sei, wenn ein Asylverfahren in einem sicheren Drittstaat im Sinne von § 26a AsylG zum Zeitpunkt des Übergangs der Zuständigkeit für die Bearbeitung eines Antrags auf internationalen Schutz gemäß Art. 29 Abs. 2 der Dublin-III-Verordnung auf die Bundesrepublik Deutschland eingestellt gewesen sei. Dies treffe im vorliegenden Fall zu, da die Frist für die Wiederaufnahme des Verfahrens bezüglich des von M.E.O. in Polen gestellten Antrags auf internationalen Schutz am 20. Januar 2021 abgelaufen sei, während die Bundesrepublik Deutschland mit Ablauf der in Art. 29 Abs. 1 der Dublin-III-Verordnung vorgesehenen Frist von sechs Monaten ab der am 31. Juli 2020 getroffenen Entscheidung über den Eilantrag von M.E.O. gegen den Bescheid, mit dem dessen Abschiebung nach Polen angeordnet worden sei, d. h. am 31. Januar 2021, für die Bearbeitung des Antrags auf internationalen Schutz von M.E.O. zuständig geworden sei.

36 Zum anderen sei § 51 Abs. 1 und 2 VwVfG im vorliegenden Fall nicht anwendbar, da der von M.E.O. in Deutschland gestellte Asylantrag auf eine seiner Abreise aus dem Libanon vorgelagerte Sachlage gestützt sei. Es sei anzunehmen, dass M.E.O. dieselbe Sachlage zur Stützung seines Antrags auf internationalen Schutz in Polen vorgetragen habe oder dies jedenfalls habe tun können, so dass diese Sachlage keine neuen Elemente darstelle, zu deren Geltendmachung M.E.O. ohne grobes Verschulden außerstande gewesen sei. [...]

38 Für den Fall, dass ein neuer Antrag auf internationalen Schutz auch dann als "Folgeantrag" im Sinne von Art. 2 Buchst. q eingestuft werden kann, wenn das Verfahren über einen früheren, in einem anderen Mitgliedstaat gestellten Antrag desselben Antragstellers von diesem Mitgliedstaat eingestellt wurde, weil der Antragsteller dieses nicht weiterbetrieben hat, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 33 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2013/32 der Ablehnung des neuen Antrags als unzulässig entgegensteht, solange die Wiedereröffnung des Verfahrens über den früheren Antrag noch möglich ist. Bejahendenfalls möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Frist, innerhalb deren der Antragsteller die Wiedereröffnung des Verfahrens über seinen früheren Antrag beantragen kann, nach nationalem Recht oder nach dem Unionsrecht zu bestimmen ist, und, falls sie nach dem Unionsrecht zu bestimmen ist, welche Frist dieses Recht vorsieht. [...]

Zur Frage in der Rechtssache C-123/23

42 Mit seiner Frage in der Rechtssache C-123/23 möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 33 Abs. 2 Buchst. d in Verbindung mit Art. 2 Buchst. q der Richtlinie 2013/32 dahin auszulegen ist, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der ein Antrag auf internationalen Schutz im Sinne von Art. 2 Buchst. b dieser Richtlinie, der in diesem Mitgliedstaat von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellt worden ist, dessen zuvor in einem anderen Mitgliedstaat gestellter Antrag auf internationalen Schutz durch eine bestandskräftige Entscheidung dieses anderen Mitgliedstaats abgelehnt wurde, als unzulässig abgelehnt werden kann. [...]

44 Was als Erstes den Wortlaut von Art. 33 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32 betrifft, der die Situationen, in denen die Mitgliedstaaten einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig betrachten können, abschließend aufzählt (Urteil vom 20. Mai 2021, L. R. [Von Norwegen abgelehnter Asylantrag], C-8/20, EU:C:2021:404, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung), ist darauf hinzuweisen, dass diese Vorschrift unter Buchst. d vorsieht, dass die Mitgliedstaaten eine solche Entscheidung treffen können, wenn es sich um einen "Folgeantrag" handelt, bei dem keine neuen Umstände oder Erkenntnisse zu der Frage, ob der Antragsteller nach Maßgabe der Richtlinie 2011/95 als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist, zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind.

45 Der Begriff "Folgeantrag" bezeichnet gemäß der Definition in Art. 2 Buchst. q der Richtlinie 2013/32 "einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz, der nach Erlass einer bestandskräftigen Entscheidung über einen früheren Antrag gestellt wird".

46 Diese Definition greift also die Begriffe "Antrag auf internationalen Schutz" und "bestandskräftige Entscheidung" auf, die ebenfalls in Art. 2 der Richtlinie 2013/32 definiert werden, nämlich in den Buchst. b und e. [...]

49Somit ist festzustellen, dass der Wortlaut von Art. 33 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2013/32 in Verbindung mit den in den Rn. 45 bis 48 des vorliegenden Urteils genannten Bestimmungen keine Voraussetzung aufstellt, wonach ein neuer Antrag auf internationalen Schutz bei den Behörden desselben Mitgliedstaats, der die bestandskräftige Entscheidung über einen früheren Antrag desselben Antragstellers erlassen hat, gestellt worden sein müsste, um als "Folgeantrag" eingestuft und mangels neuer Umstände oder Erkenntnisse als unzulässig abgelehnt zu werden. [...]

55 Als Drittes ist festzustellen, dass die Auslegung von Art. 33 Abs. 2 Buchst d der Richtlinie 2013/32 dahin, dass ein Mitgliedstaat einen neuen Antrag auf internationalen Schutz, der von einem Antragsteller gestellt wird, dessen früherer Antrag durch eine bestandskräftige Entscheidung eines anderen Mitgliedstaats abgelehnt wurde, als "Folgeantrag" einstufen und als unzulässig ablehnen kann, wenn er nicht durch neue Umstände oder Erkenntnisse untermauert wird, auch mit dem Zweck der Eindämmung der Sekundärmigration von internationalen Schutz beantragenden Personen zwischen Mitgliedstaaten im Einklang steht, der mit der Richtlinie 2013/32 verfolgt wird, wie sich aus ihrem 13. Erwägungsgrund ergibt. [...]

57 Es ist ferner hervorzuheben, dass die Möglichkeit, einen neuen Antrag auf internationalen Schutz, der nicht auf neue Umstände oder Erkenntnisse gestützt wird und der auch keine neuen Umstände oder Erkenntnisse zutage bringt, in dem Fall abzulehnen, in dem ein früherer Antrag desselben Antragstellers durch eine Entscheidung eines anderen Mitgliedstaats abgelehnt wurde, mit dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten im Einklang steht, der nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs dem gemeinsamen europäischen Asylsystem zugrunde liegt und im Unionsrecht fundamentale Bedeutung hat, da er die Schaffung und Aufrechterhaltung eines Raums ohne Binnengrenzen ermöglicht [...]

62 Nach alledem ist auf die Vorlagefrage in der Rechtssache C-123/23 zu antworten, dass Art. 33 Abs. 2 Buchst. d in Verbindung mit Art. 2 Buchst. q der Richtlinie 2013/32 dahin auszulegen ist, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats, nach der ein Antrag auf internationalen Schutz im Sinne von Art. 2 Buchst. b dieser Richtlinie, der in diesem Mitgliedstaat von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellt worden ist, dessen zuvor in einem anderen Mitgliedstaat – auf den die Richtlinie 2011/95 Anwendung findet – gestellter Antrag auf internationalen Schutz durch eine bestandskräftige Entscheidung dieses anderen Mitgliedstaats abgelehnt wurde, als unzulässig abgelehnt werden kann, nicht entgegensteht.

Zu den Fragen in der Rechtssache C-202/23 [...]

65 Im vorliegenden Fall geht aus den Angaben des vorlegenden Gerichts, die in den Rn. 31 bis 35 des vorliegenden Urteils zusammenfassend dargestellt sind, hervor, dass M.E.O. zunächst einen Antrag auf internationalen Schutz bei den polnischen Behörden stellte, danach am 2. März 2020 nach Deutschland einreiste und dort einen Asylantrag stellte, der vom Bundesamt am 30. April 2020 registriert wurde. In der Zwischenzeit hatte die zuständige polnische Behörde am 20. April 2020 das durch den Antrag von M.E.O. eröffnete Verfahren eingestellt, weil M.E.O. sich in Deutschland aufhielt.

66 Das Bundesamt lehnte seinerseits mit Bescheid vom 14. Juli 2021 den in der Rechtssache C-202/23 in Rede stehenden Asylantrag von M.E.O. mit der Begründung als unzulässig ab, dass die zuständige polnische Behörde das Verfahren über dessen früheren Antrag auf internationalen Schutz zum Zeitpunkt des Übergangs der Zuständigkeit für die Bearbeitung des Antrags von M. E. O. auf internationalen Schutz gemäß Art. 29 Abs. 2 der Dublin-III-Verordnung auf die Bundesrepublik Deutschland, d. h. am 31. Januar 2021, bereits durch eine bestandskräftige Entscheidung gemäß Art. 28 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32 eingestellt habe, da der frühere Antrag nach Auffassung der polnischen Behörde Gegenstand einer stillschweigenden Rücknahme gewesen sei.

67 Daraus ergibt sich, dass sich das Bundesamt für die Ablehnung des Antrags von M.E.O. auf internationalen Schutz als unzulässig auf die Prämisse stützte, dass es unter Umständen wie den in den Rn. 65 und
66 des vorliegenden Urteils beschriebenen möglich war, den neuen Antrag von M.E.O. auf internationalen Schutz als "Folgeantrag" im Sinne von Art. 2 Buchst. q der Richtlinie 2013/32 einzustufen und auf diesen Antrag Art. 33 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2013/32 anzuwenden. Die Fragen in der Rechtssache C-202/23 beruhen auf derselben Prämisse. [...]

69 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Art. 2 Buchst. q der Richtlinie 2013/32 ausdrücklich die Möglichkeit vorsieht, einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz als "Folgeantrag" einzustufen, wenn er nach Erlass einer bestandskräftigen Entscheidung im Sinne von Art. 2 Buchst. e der Richtlinie 2013/32 über einen früheren Antrag "gestellt" wird, und zwar auch in Fällen, in denen der Antragsteller seinen Antrag ausdrücklich zurückgenommen hat oder die Asylbehörde im Sinne von Art. 2 Buchst. f der Richtlinie 2013/32 den Antrag nach der stillschweigenden Rücknahme durch den Antragsteller gemäß Art. 28 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32 abgelehnt hat. [...]

73 Auch wenn Art. 2 Buchst. q der Richtlinie 2013/32 nicht ausdrücklich auf den Fall abstellt, dass der Mitgliedstaat, in dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatte, entschieden hat, die Prüfung dieses Antrags infolge der stillschweigenden Rücknahme desselben einzustellen, kann ein nach Erlass einer solchen Entscheidung gestellter weiterer Antrag als "Folgeantrag" im Sinne dieser Bestimmung eingestuft werden. Andernfalls wäre es nämlich nicht erforderlich gewesen, in Art. 28 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 2013/32 vorzusehen, dass ein neuer Antrag, der nach Erlass einer Entscheidung über die in Art. 28 Abs. 1 genannte Einstellung der Prüfung von einem Antragsteller gestellt wird, der sich wieder bei der zuständigen Behörde meldet, nicht nach Maßgabe der Art. 40 und 41 der Richtlinie 2013/32, die Folgeanträge betreffen, geprüft wird.

74 Aus dem Wortlaut von Art. 2 Buchst. q der Richtlinie 2013/32 ergibt sich jedoch, dass ein weiterer Antrag auf internationalen Schutz, der von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellt wird, der bereits einen solchen Antrag gestellt hat, nur dann als "Folgeantrag" eingestuft und gemäß Art. 33 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2013/32 als unzulässig abgelehnt werden kann, wenn er nach Erlass einer bestandskräftigen Entscheidung über den früheren Antrag gestellt wird. Folglich ist die Einstufung eines neuen Antrags desselben Antragstellers als "Folgeantrag" ausgeschlossen, wenn der neue Antrag vor Erlass einer bestandskräftigen Entscheidung über einen früheren Antrag dieses Antragstellers gestellt wird. [...]

78 Des Weiteren kann die von der Asylbehörde gemäß Art. 28 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32 getroffene Entscheidung, die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz einzustellen, weil der Antragsteller seinen Antrag stillschweigend zurückgenommen hat, nicht als bestandskräftige Entscheidung im Sinne von Art. 2 Buchst. e der Richtlinie 2013/32 angesehen werden, solange der Antragsteller noch die in Art. 28 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32 vorgesehene Möglichkeit hat, um Wiedereröffnung des Verfahrens zu ersuchen oder einen neuen Antrag zu stellen, der nicht nach Maßgabe der Art. 40 und 41 der Richtlinie 2013/32 geprüft wird. Daher kann ein von einem Antragsteller unter diesen Umständen gestellter Antrag nicht als "Folgeantrag" im Sinne von Art. 2 Buchst. q der Richtlinie 2013/32 eingestuft und gemäß Art. 33 Abs. 2 Buchst. d dieser Richtlinie als unzulässig abgelehnt werden. [...]