Abschiebungsverbot bei drohender Haft in der Türkei:
1. Bei drohender Strafhaft in der Türkei verletzt eine Abschiebung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Art. 3 EMRK. Die Unterbringung in einer überbelegten Gefängniszelle erfüllt den Maßstab einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung.
2. Zwar gibt es in der Türkei eine Reihe neuerer oder modernisierter Haftanstalten, bei denen generell keine menschenrechtlichen Bedenken gegen die Unterbringung ausgelieferter Personen bestehen; um sicherzustellen, dass die Unterbringung in einer solchen Haftanstalt erfolgt und keine Verletzung von Art. 3 EMRK droht, ist jedoch eine Zusicherung der türkischen Behörden erforderlich. Zur Sicherung internationaler Mindeststandards bei der Auslieferung von Verfolgten im strafrechtlichen Rechtshilfe- und Auslieferungsverkehr werden von deutscher Seite völkerrechtlich verbindliche Zusicherungen erbeten und von der Türkei auch regelmäßig erteilt.
3. In einem Auslieferungsverfahren gilt nach gefestigter Rechtsprechung, dass vor einer Rückführung in den Zielstaat eine Zusicherung der zuständigen Behörde einzuholen ist, wenn die Gefahr der Folter oder einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung besteht, was bezogen auf die Türkei regelmäßig der Fall ist. Es ist verfassungs- wie auch konventionsrechtlich geboten, den im Auslieferungsverfahren geltenden Schutzmaßstab auf das asylrechtliche Verfahren zu übertragen. Denn macht es keinen Unterschied, ob eine in der Türkei verhängte Haftstrafe in Folge einer Auslieferung oder einer Abschiebung in einer überbelegten Haftanstalt zu verbüßen ist.
(Leitsätze der Redaktion; unter Bezug auf: EGMR, Urteil vom 20. Oktober 2016 - 7334/13; andere Ansicht zu einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK bei drohender Haft: Verwaltungsgericht Hamburg, Urteil vom 17.05.2024 - 1 A 2264/23 - asyl.net: M32678)
[...]
Eine Abschiebung ist insbesondere nach Art. 3 EMRK unzulässig, wenn dem Ausländer im Zielstaat nach dem vorgenannten Maßstab eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht.
Letzteres ist hier der Fall. Die Abschiebung des Klägers in die Türkei erweist sich wegen der ihm dort drohenden Haft gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG gegenwärtig als unzulässig. Nach der Rechtsprechung des EGMR kommt eine Verletzung von Art. 3 EMRK auch wegen unzureichender, einen Mindeststandard unterschreitender Haftbedingungen in Betracht. Dies ist regelmäßig bei der Unterbringung eines Häftlings in einer überbelegten Gefängniszelle der Fall (vgl. EGMR, Urteil vom 20. Oktober 2016 - 7334/13 -, juris). [...]
Die Bedingungen von Strafhaft in der Türkei sind, abhängig u.a. von Alter, Typ und Größe der Haftanstalt bzw. der Art der Unterbringung, landesweit unterschiedlich. Dabei bleibt die Überbelegung von Gefängnissen problematisch. Grundsätzlich können in türkischen Haftanstalten die EMRK-Standards eingehalten werden. Es gibt insbesondere eine Reihe neuerer oder modernisierter Haftanstalten, bei denen generell keine menschenrechtlichen Bedenken gegen die Unterbringung ausgelieferter Personen bestehen. Vor diesem Hintergrund werden zur Sicherung internationaler Mindeststandards bei der Auslieferung von Verfolgten im strafrechtlichen Rechtshilfe- und Auslieferungsverkehr von deutscher Seite völkerrechtlich verbindliche Zusicherungen erbeten und von der Türkei regelmäßig erteilt. Dies betrifft etwa EMRK-konforme Haftbedingungen, das Verbot von Folter und unmenschlicher Behandlung, den Spezialitätsgrundsatz und Besuchsrechte deutscher Auslandsvertretungen. Entsprechende von der Türkei abgegebene Zusicherungen werden von den Auslandsvertretungen überprüft (sog. "Monitoring"). Zusicherungen werden als belastbar erachtet.
Eine völkerrechtlich verbindliche Zusicherung der Türkei liegt hier nicht vor. Im Auslieferungsverfahren ist sie (noch) nicht eingeholt worden. Angesichts des Nichtbetreibens des Auslieferungsverfahrens durch die Türkei spricht gegenwärtig nicht viel dafür, dass es dort zu einer Zusicherung noch kommen wird. Einer solchen bedarf es jedoch, um sicherzustellen, dass der Kläger nicht in einer Haftanstalt untergebracht wird, in der ihm eine gegen Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung droht. [...]
In einem derartigen Fall ist es sowohl verfassungs- als auch konventionsrechtlich geboten, den im Auslieferungsverfahren geltenden Schutzmaßstab auf das asylrechtliche Verfahren zu übertragen, um insoweit einen "Gleichlauf" herzustellen. Denn für den Kläger macht es keinen Unterschied, ob er die gegen ihn in der Türkei verhängte Haftstrafe in einer überbelegten Haftanstalt verbüßen muss, weil er ausgeliefert oder weil er abgeschoben worden ist. Die Gefahrenprognose ist in beiden Fällen die gleiche, weshalb für sie asylrechtlich kein anderer Maßstab anzulegen sein kann wie in einem Auslieferungsverfahren. Dort gilt indessen nach gefestigter Rechtsprechung, dass vor einer Rückführung in den Zielstaat eine Zusicherung der zuständigen Behörde einzuholen ist, wenn die Gefahr der Folter oder einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung besteht, was bezogen auf die Türkei regelmäßig der Fall ist (vgl. (zur Türkei) beispielhaft etwa BVerfG, Beschluss vom 18. Dezember 2017 - 2 BvR 2259/17 -, juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 15. August 2023 - Ausl 301 AR 105/21 -, juris; OLG Bremen, Beschluss vom 3. Januar 2022 - 1 Ausl A 28/20 -, juris).
Daher hat die Beklagte vor einer Abschiebung des Klägers sicherzustellen, dass eine geeignete verbindliche und belastbare Zusicherung der zuständigen türkischen Behörden vorliegt, wonach ihm im Fall seiner Inhaftierung und Verbüßung der gegen ihn verhängten Haftstrafe in der Türkei keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK droht [...]
Im Übrigen steht das Abschiebungsverbot dem Erlass der Androhung ausnahmsweise nicht entgegen, weil gegen den Kläger ein Auslieferungsverfahren anhängig ist (§ 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG); die Rechtmäßigkeit der Androhung bleibt insoweit unberührt (Satz 3 der Vorschrift). [...]