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VG Meiningen

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Zitieren als:
VG Meiningen, Urteil vom 28.08.2024 - 2 K 576/21 Me - asyl.net: M32722
https://www.asyl.net/rsdb/m32722
Leitsatz:

Drohende Kettenabschiebung für Dublin-Rückkehrer in Rumänien:

In Rumänien gelten Asylverfahren als beendet, wenn die Schutzsuchenden während des Verfahrens das Land verlassen. Eine Wiedereröffnung ist nur innerhalb von neun Monaten möglich. Personen, die im Rahmen des Dublin-III-Systems nach Ablauf dieser neun Monate zurücküberstellt werden, gelten als Folgeantragsteller*innen. Ihnen droht Haft. Der UNHCR sieht darin eine mögliche Gefährdung des "Non-Refoulement-Prinzips".

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Rumänien, Dublinverfahren, Systemische Mängel, Kettenabschiebung, Schubhaft, Haft, Inhaftierung,
Normen: AsylG § 29
Auszüge:

[...]

1. Es bestehen bereits Zweifel an der förmlichen Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheides. Die Zweifel bestehen insoweit, als die Anhörung ordnungsgemäß durchgeführt wurde. Vorliegend wurde sie - auf Grund der Corona-Pandemie - im schriftlichen Verfahren durchgeführt. [...]

Die Einzelrichterin bezweifelt, dass der Kläger ordnungsgemäß im vorgenannten Sinne durch das Bundesamt informiert wurde. Anhand der vorliegenden Erklärungen des Klägers entsteht nicht der Eindruck, dass sich dieser infolge der Informationen i.S.d. Art. 4 Dublin III-VO über die Tragweite der Zuständigkeit des Mitgliedstaates bewusst war. Zwar wurde der Kläger ausweislich der Behördenakte nach "§ 22 Abs. 3 AsylVfG" (Meldepflicht) und "§ 14 Abs. 1 und § 23 Abs. 2 AsylG" (Antragstellung und Antragstellung bei der Außenstelle) belehrt. [...] Ursprünglich war auch eine persönliche Anhörung vorgesehen [...] Letztlich erfolgte jedoch Corona-bedingt die Anhörung schriftlich, insbesondere durch Formblätter. Weder aus diesen Formblättern noch aus der Behördenakte sonst ergibt sich aber, dass der Kläger umfassend im Sinne des Art. 4 Dublin III-VO informiert wurde. Immerhin wurde der Kläger im schriftlichen Verfahren darauf hingewiesen, dass er zur Zuständigkeit des Mitgliedstaats befragt wurde. Der Kläger erklärte diesbezüglich "in keinem Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt zu haben" und "nur in Deutschland einen Asylantrag stellen wollte". Er wurde offensichtlich für ihn nicht verständlich über humanitäre Gründe i.S.d. Art, 17 Dublin III-VO (vgl. Art. 4 Abs. 1 Buchst. b Dublin III-VO) aufgeklärt. So ist es nachvollziehbar, dass der Kläger keine Angaben zum Mitgliedstaat Rumänien, insbesondere den dortigen Verhältnissen, machte. Da die Angaben im schriftlichen Verfahren abgegeben wurden, konnte der Kläger auch keine Fragen stellen. Im Gegenzug konnte ihm die Bedeutung der Befragung zu den Mitgliedstaaten mündlich nicht erläutert werden. [...]

2.1 Die Ablehnung ist auf der Grundlage des § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) AsylG ergangen. Danach ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. [...]

2.3.2 Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass derzeit mit überwiegender Wahrscheinlichkeit keine im Sinne des Art. 4 EuGRCh menschenunwürdige Lage für nach Rumänien zurückkehrende Asylantragsteller besteht. Dies gilt jedenfalls für nicht vulnerable Personen […].

2.3.3 In vorliegender Fallkonstellation ist jedoch davon auszugehen, dass das Asylverfahren des Klägers in Rumänien nicht den europäischen Regelungen entsprechend ordnungsgemäß durchgeführt wird, was zu einem systemischen Mangel führt. Entgegen Art. 18 Abs. 2 UA 2 Dublin III-VO wird das Verfahren des Klägers im Falle seiner Rückkehr nach Rumänien nicht fortgeführt, sondern er muss nach Art. 28 Abs. 2, 2. UA. Richtlinie 2013/32/EU vom 29.06.2013 - Asylverfahrensrichtlinie - einen Folgeantrag stellen.

In vorliegendem Fall wird der Kläger ausweislich der Antwort der rumänischen Behörden vom 16.03.2021 nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. c) Dublin III-VO, das heißt als Asylantragsteller mit abgeschlossenem Asylverfahren, behandelt [...]. Die rumänischen Behörden führten in ihrer Antwort u. a. aus: "... In fact: The alien applied for international protection in Romania on 03.12.2020. He absconded from our accommodation center on 07.12.2020. His file was closed on 12.01.2021. In law: In accordance with the provisions of the Article 18 paragraph (1) letter (c) of Regulation (EU) no. 604/2013, we agree with the transfer of the above-mentioned person in Romania .... "

Die Behandlung eines Rückkehrers im Dublin-Verfahren und damit sein legaler Status hängt vom Stand seines Asylverfahrens in Rumänien ab. Hat der Rückkehrer noch keinen Asylantrag gestellt (Art. 18 Abs. 1 Buchst. a) Dublin-III-VO), wird er als illegaler Fremder in Gewahrsam genommen, kann jedoch jederzeit einen Antrag stellen und wird dann sofort entlassen und als Erstantragsteller behandelt. Wurde in Rumänien zuvor ein Asylverfahren eröffnet, das noch läuft, und wird der Ausländer auf dieser Grundlage zurücküberstellt (Art. 18 Abs. 1 Buchst b) Dublin-III-VO), wird dieses fortgesetzt. Wurde ein Asylverfahren eröffnet und in der Folge beendet, weil sich der Antragsteller abgesetzt hat, und wird der Ausländer auf dieser Grundlage zurücküberstellt (Art. 18 Abs. 1 Buchst. c) Dublin-lII-VO), wird der Rückkehrer als illegaler Fremder für längstens 18 Monate in Gewahrsam genommen. Er kann einen Folgeantrag stellen. Dieser hat aufschiebende Wirkung auf eine Außerlandesbringung, ebenso wie eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung des Folgeantrags. Für die Zulassung des Folgeantrags müssen aber neue Beweise vorgelegt werden. Dies gilt auch für Asylsuchende, die das Land vor der Anhörung verlassen haben, was vor allem für jene Asylwerber ohne Anwalt, auch in Anbetracht der Tatsache, dass sie inhaftiert sind, laut NGOs schwierig ist. Werden diese Drittstaatsangehörigen, deren Asylanträge in Abwesenheit negativ entschiedenen wurden, dann aufgrund der Dublin III-VO nach Rumänien rücküberstellt, werden sie in Schubhaft genommen. Der UNHCR sieht darin eine mögliche Gefährdung des "Non-Refoulement-Prinzips". Dass diese Praxis gegenüber Dublin-Rückkehrern inzwischen geändert worden wäre, ergibt sich aus der Erkenntnislage nicht. Im Gegenteil spricht alles dafür, dass die Praxis fortgesetzt wird […].

Bei Antragstellern, die Rumänien verlassen und in einen anderen EU-Mitgliedstaat weitergezogen sind, gilt ihr Antrag als stillschweigend zurückgenommen und ihr Asylverfahren wird eingestellt. Das Asylverfahren kann fortgesetzt werden, wenn der Antragsteller innerhalb von 9 Monaten nach der Entscheidung über die Einstellung des Verfahrens einen Asylantrag stellt (Article 94 Abs. 1 Satz 1 b) Asylum Act). Ist die Frist abgelaufen, gilt der Asylantrag als Folgeantrag. Wenn der Antragsteller das Hoheitsgebiet der EU verlassen hat oder gemäß Artikel 19 Absätze 2 und 3 der Dublin-Verordnung in einen Drittstaat bzw. das Herkunftsland abgeschoben wurde und sein Asylverfahren mit einer abschließenden Entscheidung beendet wurde, gilt ein in Rumänien eingereichter neuer Anspruch nicht als Folgeantrag (Article 94 1 (1) a) Asyl um Act). Daher können Personen, die ihren Asylantrag ausdrücklich zurückziehen und das Hoheitsgebiet der EU nicht verlassen haben oder nicht in ein Drittland oder in das Herkunftsland abgeschoben wurden, ihr Asylverfahren im Falle einer Rückkehr nach Rumänien nicht fortsetzen. Dementsprechend müssen sie neue Elemente oder Umstände darlegen […].