Keine Pflicht zur Abgabe einer "Reueerklärung" zwecks Passbeschaffung für Niederlassungserlaubnis
Die Abgabe einer so genannten Reueerklärung ist auch im Hinblick auf die Erteilungsvoraussetzungen einer Niederlassungserlaubnis unzumutbar, trotz des gesteigerten Interesses der Behörde an einer verlässlichen Identitätsklärung.
(Leitsätze der Redaktion; unter Bezug auf: BVerwG, Urteil vom 11.10.2022 - 1 C 9.21 - M30993)
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10 (1) Zunächst verhält sich das Zulassungsvorbringen nicht zu der Erwägung des Verwaltungsgerichts, eine Vorsprache bei der diplomatischen Vertretung Eritreas sei bereits mit Blick auf den Flüchtlingsstatus des Klägers unzumutbar, weil die geforderte Mitwirkungshandlung der Schutzfunktion der Flüchtlingseigenschaft widerspreche. Da die entsprechenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts seinen Schluss, die geforderte Mitwirkungshandlung sei subjektiv unzumutbar, alleine trägt ("bereits deshalb für die mit der Maßnahme verfolgten Zwecke nicht zumutbar"), ist ein selbstständig tragender Grund des Urteils nicht angegriffen, so dass der Zulassungsantrag hinsichtlich der geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit keinen Erfolg haben kann.
11 (2) Entgegen der Auffassung des Beklagten ist dem Kläger überdies die Abgabe der so genannten Reueerklärung nicht zumutbar. Daher ist in Fällen, in denen die Erfüllung der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG durch einen eritreischen Staatsangehörigen allein noch von der Vorlage eines Nationalpasses abhängt und die Ausstellung die Abgabe einer so genannten Reueerklärung zur Voraussetzung hat, das Ermessen aus § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG zum Absehen von dieser Regelerteilungsvoraussetzung im Rahmen eines Verfahrens auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG zugunsten des Ausländers auf Null reduziert. Dies hat das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt.
12 Das durch Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts den Schutz vor einem Zwang zur Selbstbezichtigung. [...] Ferner ist hinsichtlich des Begriffs der Zumutbarkeit im Sinne von § 5 Abs. 2 AufenthV im Zusammenhang mit der Reueerklärung, wie sie vom eritreischen Staat gefordert wird, zwischenzeitlich höchstrichterlich geklärt, dass vom Herkunftsstaat geforderte Mitwirkungshandlungen, die in den Bestimmungen des deutschen Passrechts keine Entsprechung haben, dem Ausländer unter Berücksichtigung dieser Vorgaben gegen seinen Willen nur zuzumuten sind, soweit sie mit grundlegenden rechtsstaatlichen Anforderungen vereinbar sind. Das ist bei der Reueerklärung nicht der Fall. [...]
13 Eine Mitwirkungshandlung, die mit grundlegenden rechtsstaatlichen Anforderungen nicht vereinbar ist, darf aber auch im Rahmen der Identitätsklärung im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG von einem Ausländer nicht erwartet werden. Dies gilt unbeschadet der Erwägungen des Beklagten zu dem gesteigerten Interesse an einer verlässlichen Identitätsklärung bei Ausstellung einer Niederlassungserlaubnis mit ihrer aufenthaltsverfestigenden Wirkung. [...]