LG Frankfurt a.M.

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Zitieren als:
LG Frankfurt a.M., Beschluss vom 14.06.2024 - 2-21 T 115/23 - asyl.net: M32487
https://www.asyl.net/rsdb/m32487
Leitsatz:

Keine ordnungsgemäße Ladung zur Anhörung, wenn Versand per Email erfolgt: 

1. Der Grundsatz des fairen Verfahrens ist verletzt, wenn das Gericht durch seine Termingestaltung die Teilnahme eines/einer Prozessbevollmächtigten an der Anhörung vereitelt. Der Versand einer E-Mail mit dem Anhörungstermin an den/die Bevollmächtigten ist kein geeignetes Instrument für eine ordnungsgemäße Ladung. Auch von den Gerichten muss eine Kommunikation über den elektronischen Rechtsverkehr und die Nutzung von beA erwartet werden. 

2. Eine Ladungsfrist von 74 Minuten ist nicht angemessen (bei einem reinen Fahrtweg von mindestens 75 Minuten).  Es ist eine angemessene Reaktionszeit für die Prüfung zu berücksichtigen, ob ein Verlegungsantrag gestellt werden soll und welche Möglichkeiten im Hinblick auf die Eilbedürftigkeit der Sache und den Terminkalender des/der Prozessbevollmächtigten bestehen. 

3. Es ist nicht ausreichend, dem Betroffenen lediglich mitzuteilen, das sein/e Anwalt/Anwältin nicht erreicht werden konnte. Der Betroffene ist auf die ihm eröffneten Verfahrensmöglichkeiten (hier kurze einstweilige Anordnung der Haft bis zu neuem Anhörungstermin mit dem/der Prozessbevollmächtigten) hinzuweisen. 

(Leitsätze der Redaktion) 

Schlagwörter: Abschiebungshaft, Anhörung, Haftanhörung, Prozessbevollmächtigte, Ladungsfrist, Ladung, elektronischer Rechtsverkehr, Terminsladung, ordnungsgemäße Ladung, E-Mail,
Normen: FamFG § 62, FamFG § 427, GG Art. 2 Abs. 2 S. 2
Auszüge:

[...]

Mit Schreiben vom 25.05.2023 beantragte die beteiligte Behörde, Abschiebungshaft gegen den Beschwerdeführer anzuordnen. Auf die Begründung wird Bezug genommen. Aus dem Antrag ergibt sich, dass der Beschwerdeführer zu diesem Zeitpunkt einen Rechtsanwalt mit Kanzleisitz in ... hatte.

Das Amtsgericht versuchte, den Rechtsanwalt telefonisch und per E-Mail zu erreichen. Mit E-Mail vom 25.05.2023, 16:01 Uhr, teilte es ihm mit, dass die Anhörung am selben Tag um 17:15 Uhr in Frankfurt am Main stattfinde. Der Rechtsanwalt reagierte nicht auf die Anrufe und die E-Mail und erschien auch nicht zur Anhörung.

Nach vorheriger Anhörung des Beschwerdeführers ordnete das Amtsgericht mit Beschluss vom 25.05.2023 Abschiebungshaft gegen den Beschwerdeführer bis zum 07.07.2023 an. [...]

Die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen die Anordnung der Haft bis zum 07.07.2023 zur Sicherung der Abschiebung ist statthaft und auch im Übrigen zulässig, auch wenn der Zeitraum, für welchen das Amtsgericht die Haft angeordnet hat, bereits abgelaufen ist. [...]

Mit diesem Ziel hat das Rechtsmittel auch Erfolg [...].

Das Amtsgericht hat bei der Anhörung des Beschwerdeführers gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens verstoßen, sodass durch die Anordnung der Abschiebungshaft der Beschwerdeführer in seinen Rechten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt wurde.

Der Grundsatz des fairen Verfahrens garantiert jedem Betroffenen das Recht, sich in einem Freiheitsentziehungsverfahren von einem Bevollmächtigten seiner Wahl vertreten zu lassen und diesen zu der Anhörung hinzuzuziehen. Erfährt oder weiß das Gericht, dass der Betroffene einen Rechtsanwalt hat, muss es dafür Sorge tragen, dass dieser von dem Termin in Kenntnis gesetzt und ihm die Teilnahme an der Anhörung ermöglicht wird; gegebenenfalls ist unter einstweiliger Anordnung einer nur kurzen Haft nach § 427 FamFG ein neuer Termin zu bestimmen. Vereitelt das Gericht durch seine Verfahrensgestaltung eine Teilnahme des Bevollmächtigten an der Anhörung, führt dies ohne Weiteres zur Rechtswidrigkeit der Haft; es kommt in diesem Fall nicht darauf an, ob die Anordnung der Haft auf diesem Fehler beruht (BGH, Beschluss vom 10. November 2020 - XIII ZB 129/19, juris, Rn. 8).

Das Amtsgericht hat versucht, den Rechtsanwalt des Beschwerdeführers zur Anhörung mittels einer E-Mail zu laden. Die E-Mail mit den Angaben zum Anhörungstermin um 17: 15 Uhr wurde jedoch erst um 16:01 Uhr am selben Tag versandt. Damit hätte der Rechtsanwalt, der allein für die Anreise aus Kirchhain selbst bei guter Verkehrslage etwa eine Stunde und 15 Minuten benötigt hätte, nur 74 Minuten gehabt, um die E-Mail zu lesen und sich zur Anhörung zu begeben bzw. einen Antrag auf Terminverlegung zu stellen. Unabhängig von den weiteren Ausführungen ist hierbei festzuhalten, dass der Versand einer E-Mail an den Bevollmächtigten kein geeignetes Instrument für eine ordnungsgemäße Ladung ist. Im Hinblick auf den elektronischen Rechtsverkehr und die Tatsache, dass zum Zeitpunkt der anfechtungsgegenständlichen Anhörung bereits seit anderthalb Jahren eine Pflicht der Rechtsanwälte bestand, mit den Gerichten elektronisch zu kommunizieren, muss auch von den Gerichten eine solche Kommunikation erwartet werden, wobei eben das elektronische Anwaltspostfach und nicht ein E-Mail-Account zu adressieren ist. Insofern war der Bevollmächtigte nicht ordnungsgemäß geladen und der Beschwerdeführer insofern in seinen Rechten verletzt, also sodann nur eine einstweilige Anordnung der Haft hätte ergehen dürfen.

Ergänzend sei angemerkt, dass auch bei Ladung oder Informierung mittels eines zulässigen Kommunikationsmittels die Frist zu eng bemessen gewesen wäre. Eine derart schnelle Reaktion des Anwalts war nicht ohne Weiteres zu erwarten. Das Amtsgericht musste vielmehr die naheliegende Möglichkeit in Betracht ziehen, dass sich der Rechtsanwalt während der üblichen Dienststunden zur Wahrnehmung von Terminen bei Gerichten aufhalten konnte, und zwar auch außerhalb seines Kanzleisitzes. [...]

Indem das Amtsgericht dem Beschwerdeführer ausschließlich mitteilte, dass dieser Anwalt nicht erreicht werden könne - wobei dies gerade auf die sehr enge Terminierung durch das Amtsgericht zurückzuführen war -, ohne ihn auf eröffnete Verfahrensmöglichkeiten hinzuweisen und sodann nur eine einstweilige Haft mit kurzer Dauer anzuordnen, um für den nächsten Anhörungstermin eine Ladung des Bevollmächtigten des Beschwerdeführers zu ermöglichen, hat es den Grundsatz eines fairen Verfahrens verletzt. [...]