LG Osnabrück

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Zitieren als:
LG Osnabrück, Beschluss vom 14.02.2024 - 11 T 26/24 - asyl.net: M32435
https://www.asyl.net/rsdb/m32435
Leitsatz:

Einstweilige Haftanordnung ohne vorherige Anhörung mangels Gefahr in Verzug rechtswidrig:

1. Die einstweilige Anordnung einer Freiheitsentziehung kann gemäß § 427 Abs. 2 FamFG ohne vorherige persönliche Anhörung der betroffenen Person nur bei Vorliegen von "Gefahr in Verzug" erfolgen. Ob die Voraussetzungen hierfür vorliegen, ist in Anlehnung an § 62 Abs. 5 S. 1 Nr. 3 AufenthG zu prüfen, der bestimmt, unter welchen Voraussetzungen eine Behörde eine Person ohne vorherige richterliche Anordnung festhalten und vorläufig in Gewahrsam nehmen kann.

2. Gefahr Verzug gemäß § 427 Abs. 2 FamFG setzt demnach den im Einzelfall durch konkrete Anhaltspunkte gestützten Verdacht voraus, dass sich die betroffene Person der Anordnung der Sicherungshaft entziehen will. Die allgemeine Gefahr, dass sich Personen einer ihnen bevorstehenden Abschiebung entziehen wollen, reicht hierfür nicht aus.

3. Sollte eine Person nicht zu ihrer Anhörung erscheinen, kann gemäß § 420 Abs. 1 S. 3 FamFG ihre polizeiliche Vorführung angeordnet werden.

(Leitsätze der Redaktion; siehe auch: LG Mosbach, Beschluss vom 05.03.2020 - 3 T 42/19 - asyl.net: M28189)

Schlagwörter: Abschiebungshaft, einstweilige Anordnung, Untertauchen, Gefahr im Verzug,
Normen: FamFG § 427 Abs. 2, AufenthG § 62 Abs. 5 S. 1 Nr. 3, FamFG § 420 Abs. 1 S. 3
Auszüge:

[...]

2.

Der Antrag auf Feststellung, dass der Beschluss des Amtsgerichts Osnabrück vom 05.12.2023 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat, hat in der Sache auch Erfolg.

Die Beschwerde gegen die einstweilige Anordnung der Freiheitsentziehung des Betroffenen bis zur Anhörung über den Antrag der Ausländerbehörde auf Anordnung von Ausreisegewahrsam vom 05.12.2023 (Az.: 246a XIV 916 B) ist begründet, weil weder eine ausreichende Begründung der amtsgerichtlichen Entscheidung bezüglich der Voraussetzungen des § 427 Abs. 2 FamFG, unter denen ohne vorherige persönliche Anhörung des Betroffenen eine Freiheitsentziehung angeordnet werden kann, erfolgte, noch das Vorliegen dieser Voraussetzungen festgestellt werden konnte.

Die einstweilige Anordnung einer Freiheitsentziehung ohne vorherige persönliche Anhörung des Betroffenen kann gem. § 427 Abs. 2 FamFG nur bei Vorliegen von „Gefahr in Verzug“ erfolgen; dies setzt voraus, dass der Erlass der einstweiligen Anordnung so dringend erforderlich ist, dass nicht einmal die Durchführung einer persönlichen Anhörung des Betroffenen und die Anhörung eines etwa zu bestellenden Verfahrenspflegers abgewartet werden kann (vgl. Keidel, FamFG, 20. Auflage 2020, § 427 Rn. 11). Keinesfalls genügt es insoweit, dass die Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit gem. § 422 FamFG vorliegen; vielmehr sind die sachlichen Anforderungen in diesem Zusammenhang in Anlehnung an § 62 Abs. 5 S. 1 Nr. 3 AufenthG zu bestimmen. Das Recht der Behörde zu einer haftvorbereitenden Ingewahrsamnahme setzt danach den begründeten, also durch konkrete Anhaltspunkte gestützten Verdacht voraus, dass sich der Betroffene der Anordnung der Sicherungshaft entziehen will. Für eine einstweilige Anordnung, die demselben Zweck dient zu gewährleisten, dass der Betroffene für das weitere Verfahren zur Verfügung steht, in dem die Voraussetzungen der Freiheitsentziehung nach persönlicher Anhörung erst noch näher festgestellt werden müssen, können keine geringeren Anforderungen gelten (Keidel/Göbel, 20. Aufl. 2020, FamFG § 427 Rn. 14). Ist bei beabsichtigter Freiheitsentziehung der Aufenthalt des Betroffenen bekannt oder wird in anderer Weise seine Festnahme konkret geplant, bedarf es dazu einer vorherigen vorläufigen richterlichen Haftanordnung. Dabei kommen insbesondere Fälle in Betracht, in denen die Behörde befürchtet, dass der Betroffene im Regelverfahren die Ladung zu einem Anhörungstermin mit der Mitteilung des Haftantrags dazu benutzen wird, sich nunmehr der Abschiebung zu entziehen. Eine solche Sachlage kann im Einzelfall die Annahme von Gefahr in Verzug nach § 427 Abs. 2 FamFG rechtfertigen, muss jedoch in der gerichtlichen Entscheidung mehr begründet werden. Der allgemeine Hinweis, dass eine Entscheidung ohne vorherige Anhörung notwendig war, um die notwendige Abschiebung nicht zu gefährden, ist nicht ausreichend (vgl. Keidel, a.a.O, § 427 FamFG Rn. 13). Nicht ausreichend ist ferner, dass bei einer Vorladung eines Ausländers zur persönlichen Anhörung über einen Haftantrag der Behörde allgemein die Gefahr besteht, dass der Betroffene sich dem Verfahren durch Untertauchen entzieht (LG Mosbach, Beschluss v. 05.03.2020 – 3 T 42/19, m.w.N.).

Dass danach vorliegend Gefahr im Verzug i.S. von § 427 Abs. 2 FamFG gegeben war, lässt sich weder der angegriffenen Entscheidung noch der Verfahrens- oder Ausländerakte entnehmen.

Das Amtsgericht führt hierzu lediglich aus, dass die Entscheidung gemäß § 427 Abs. 2 FamFG ohne vorherige Anhörung notwendig war, da ansonsten die erhebliche Gefahr bestehe, dass eine entsprechende Anhörung durch Untertauchen nicht wahrgenommen werde und hierdurch die drohende Abschiebung wesentlich erschwert bzw. vereitelt werde. [...]

Mit dieser Begründung der Ausländerbehörde sind jedoch keinerlei konkrete Umstände des Einzelfalls benannt, die im vorliegenden Fall den Verdacht begründet hätten, dass sich der Betroffene der Anordnung des Ausreisegewahrsams entziehen will. Vielmehr wird damit lediglich die allgemeine Gefahr beschrieben, die in allen derartigen Fällen besteht, wenn ein Ausländer zu einer persönlichen Anhörung über einen Haftantrag zur Vorbereitung der Abschiebung vorgeladen wird. Diese allgemeine Gefahr, die in derartigen Fällen immer besteht, genügt aber für die Annahme der Voraussetzung des § 427 Abs. 2 FamFG gerade nicht. Vielmehr ist bei fehlendem Erscheinen des Betroffenen vorrangig die polizeiliche Vorführung gemäß § 420 Abs. 1 S. 3 FamFG anzuordnen.

Im Übrigen sind entsprechende Umstände auch sonst nicht ersichtlich. Zwar ist die Überschreitung der Ausreisepflicht erheblich und es ergibt sich aus den Unterlagen, dass der Betroffene in der Vergangenheit mehrfach Mitwirkungspflichten verletzt hat. Dies allein begründet aber noch nicht die Annahme, er werde untertauchen. [...]