Familiennachzug zum mittlerweile eingebürgerten volljährigen Sohn:
1. Die Referenzperson (das in Deutschland als Flüchtling anerkannte Kind) ist trotz eingetretener Volljährigkeit weiterhin als minderjährig zu behandeln.
2. Die rechtliche Stellung ist nicht durch die Einbürgerung verloren gegangen. Mit der Einbürgerung ändert sich nichts an dem ursprünglichen Grund für die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes der Referenzperson. Die Herstellung der Familieneinheit im Herkunftsland ist ihr damit weiterhin nicht zumutbar.
3. Der Anspruch auf Familienzusammenführung ist auch nicht verwirkt. Der Kläger hat glaubhaft dargelegt, dass er sich um das Familiennachzugsverfahren bemüht hat, auch wenn er letztlich die fristwahrende Anzeige und formlose Antragstellung bei der zuständigen Botschaft nicht tätigte.
(Leitsätze der Redaktion; unter Verweis auf EuGH, Urteil vom 01.08.2022 - C-273/20, C-355/20 Deutschland gg. SW, BL und BC (Asylmagazin 9/2022, S. 326 f.) - asyl.net: M30811, BVerwG, Urteil vom 08.12.2022 - 1 C 8.21 - asyl.net: M31119 und EuGH, Urteil vom 12.04.2018 - C-550/16 A. und S. gg. Niederlande - Asylmagazin 5/2018, S. 176 ff. - asyl.net: M26143)
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20 1. Rechtsgrundlage für das begehrte Visum zum Familiennachzug sind im hier maßgeblichen Zeitpunkt die §§ 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1, 6 Abs. 3 Satz 1 und 2 in Verbindung mit §§ 5 Abs. 1, 27 Abs. 1, 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 des Aufenthaltsgesetzes – AufenthG –.
21 Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei Verpflichtungsklagen ist grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz (stRspr., vgl. zuletzt OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 17. Februar 2023 – OVG 3 B 9/21 – juris Rn. 17). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 8. Dezember 2022 – 1 C 8.21 – juris Rn. 9) gilt aus Gründen des materiellen Rechts für den Fall, dass – wie hier – ein Anspruch an eine gesetzliche Altersgrenze knüpft, eine Ausnahme von diesem allgemeinen Grundsatz. Setzt der Anspruch die Minderjährigkeit des Antragstellers voraus, so muss diese zum Zeitpunkt der Antragstellung vorliegen. Die übrigen Voraussetzungen für den Familiennachzug müssen spätestens auch im Zeitpunkt des Erreichens der Altersgrenze und zudem der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz gegeben sein, sodass alle Voraussetzungen wenigstens einmal zeitgleich erfüllt sind. Nach diesem Zeitpunkt eingetretene Sachverhaltsänderungen zugunsten von minderjährigen Betroffenen können nicht berücksichtigt werden. Bei Anspruchsgrundlagen, die eine Altersgrenze enthalten, die Betroffene im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Verhandlung oder Entscheidung überschritten haben, ist mithin eine auf zwei unterschiedliche Zeitpunkte bezogene Doppelprüfung erforderlich.
22 Es ist nichts dafür ersichtlich, dass diese ursprünglich allein zum Kindernachzug nach § 32 AufenthG entwickelten (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. August 2008 – 1 C 32.07 – juris Rn. 16) und auch für den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten nach § 36a AufenthG (vgl. BVerwG, Urteil vom 8. Dezember 2022, a.a.O.) und für den Kindernachzug zu einem deutschen Elternteil (vgl. zu § 20 Abs. 4 AuslG a.F. BVerwG, Urteil vom 30. April 1998 – 1 C 12.96 – juris Rn. 17) anwendbaren Grundsätze nicht auch für den Elternnachzug zu deutschen Staatsangehörigen gelten sollten (vgl. auch Tewocht, in: Kluth/Heusch (Hrsg.), BeckOK Ausländerrecht, 39. Ed. Stand 1. Oktober 2021, § 28 AufenthG Rn. 23, 19; Marx, in: Berlit (Hrsg.), GK-AufenthG, § 28 Rn. 71), wenn – wie hier – Familiennachzug zu einem im Laufe des gerichtlichen Verfahrens eingebürgerten anerkannten Flüchtling begehrt wird (a.A. VG Berlin, Urteil vom 22. März 2023 – VG 21 K 134/22 V – EA S. 6). [...]