VG Leipzig

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Zitieren als:
VG Leipzig, Beschluss vom 29.02.2024 - 8 L 31/24.A - asyl.net: M32292
https://www.asyl.net/rsdb/m32292
Leitsatz:

Eilrechtsschutz gegen Abschiebungsandrohung nach Ablehnung als offensichtlich unbegründet:

1. Gemäß 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 AsylG [neue Fassung seit 24.02.2024] ist für den Erlass einer Abschiebungsandrohung nunmehr Voraussetzung, dass der Gesundheitszustand der betroffenen Person der Abschiebung nicht entgegensteht.

2. Wurde ein Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt und wurden die vorgebrachten gesundheitlichen Gründe bei Erlass der Abschiebungsandrohung nicht berücksichtigt, ist die Abschiebungsandrohung rechtswidrig.

(Leitsätze der Redaktion; Anmerkung der Redaktion: § 34 Abs. 1 AsylG wurde mit dem sog. Rückführungsverbesserungsgesetz der Rechtsprechung des EuGH angepasst, wonach vor Erlass einer Abschiebungsandrohung zu prüfen ist, ob zugunsten der betroffenen Person schutzwürdige Belange gemäß Artikel 5 Rückführungsrichtlinie [RL 2008/115/EG] greifen, siehe: EuGH, Beschluss vom 15.02.2023 - C-484/22 BR Deutschland gg. GS - asyl.net: M31329. Die bis dahin übliche Praxis, wonach solche familiären, das Kindeswohl betreffende oder gesundheitliche Belange in Bezug auf die Abschiebung nicht bei Erlass der Abschiebungsandrohung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, sondern erst durch Ausländerbehörden im Hinblick auf einen etwaigen Duldungsanspruch geprüft worden sind, ist damit auch gesetzlich überholt.)

Schlagwörter: offensichtlich unbegründet, Krankheit, Abschiebungsandrohung, ernstliche Zweifel, vorläufiger Rechtsschutz, Rückführungsverbesserungsgesetz, Suspensiveffekt,
Normen: AsylG § 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 4, AsylG § 36 Abs. 4 S. 1, AsylG § 59, AsylG § 60 Abs. 10
Auszüge:

[...]

Der Antrag ist begründet.

1. Nach § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf in Fällen der Ablehnung des Asylantrages wegen offensichtlicher Unbegründetheit die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. [...]

2. Es bestehen auch ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der verfügten Abschiebungsandrohung.

Gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG in der ab dem 27. Februar 2024 geltenden Fassung erlässt das Bundesamt nach den §§ 59 und 60 Abs. 10 AufenthG eine schriftliche Abschiebungsandrohung, wenn der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt wird, dem Ausländer nicht die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wird, dem Ausländer kein subsidiärer Schutz gewährt wird, die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen oder die Abschiebung ungeachtet des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausnahmsweise zulässig ist, der Abschiebung weder das Kindeswohl noch familiäre Bindungen noch der Gesundheitszustand des Ausländers entgegenstehen und der Ausländer keinen Aufenthaltstitel besitzt. In den Fällen der offensichtlichen Unbegründetheit des Asylantrages beträgt die dem Ausländer im Rahmen der Abschiebungsandrohung zu setzende Ausreisefrist eine Woche (§ 36 Abs. 1 AsylG).

Die Abschiebungsandrohung ist vorliegend jedenfalls deshalb rechtswidrig, weil entgegen der Regelung in § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG – in der für die Entscheidung maßgeblichen aktuellen Fassung – der Gesundheitszustand des Antragstellers gänzlich unberücksichtigt geblieben ist. Seine persönliche Anhörung fand bereits am 23. Mai 2022 statt. Zu dieser Zeit lagen noch keine medizinischen Unterlagen vor, die Auskunft über den – ggf. kritischen – Gesundheitszustand des Antragstellers geben konnten. Dementsprechend wird im Bescheid nur darauf hingewiesen, dass im Zeitpunkt der Asylentscheidung keine Anhaltspunkte zum Gesundheitszustand des Antragstellers vorliegen würden. Dies vermag die Abschiebungsandrohung im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts nicht mehr zu tragen. [...]