Flüchtlingsanerkennung wegen exilpolitischer Betätigung in der "Woman Life Freedom"-Bewegung:
1. Es ist davon auszugehen, dass sich die Kontrolle der Internetaktivitäten durch iranische Behörden seit dem Tod von Mahsa Amini verstärkt hat. Exilpolitisch aktiven Personen, die auf Bildern von Demonstrationen mit Gesichtserkennungssoftware zu identifizieren sind und die sich in sozialen Medien kritisch mit der Menschenrechtslage und den Frauenrechten in Iran auseinandersetzen, droht bei Rückkehr in den Iran mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verhaftung.
2. Soweit die (exil-)politische Betätigung nicht besonders herausgehoben und mit einem gewissen Bekanntheitsgrad der Person in der iranischen Öffentlichkeit verknüpft ist, droht dem Ehegatten einer politisch aktiven Person keine Gefahr, in asylrechtlich relevanter Weise von den iranischen Behörden verfolgt und quasi als Geisel eingesetzt zu werden.
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
Die Klägerin zu 2. konnte nicht glaubhaft machen, in Iran an Demonstrationen und einem politischen Kreis teilgenommen zu haben und aus Furcht vor Verhaftung von einer Urlaubsreise nicht nach Iran zurückgekehrt zu sein.
Die Angaben der Klägerin zu den Demonstrationen wichen voneinander ab und waren teilweise nicht nachvollziehbar. [...]
Darüber hinaus erscheint der Vortrag der Klägerin zu den Demonstrationen lebensfremd. [...]
Obgleich die Klägerin die ihr bei Rückkehr drohende Verhaftung nicht mit der Teilnahme an den Demonstrationen, sondern mit der Teilnahme an dem darwinistischen Kreis begründete, beeinträchtigt der unglaubhafte Vortrag zu den Demonstrationsteilnahmen und den daraus folgenden Verhaftungen die Glaubwürdigkeit der Klägerin. [...]
Der Klägerin zu 2. droht im Falle einer Rückkehr nach Iran jedoch mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aufgrund ihrer Aktivitäten in der Bundesrepublik Deutschland.
Die Klägerin hat in Deutschland mehrfach an Demonstrationen teilgenommen und veröffentlicht kritische Beiträge in den sozialen Medien. Sie tritt dabei öffentlich und unter Nennung ihres Namens auf. [...]
Danach besteht eine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Klägerin im Falle ihrer Rückkehr nach Iran landesweit von staatlicher Verfolgung wegen ihrer politischen Überzeugung und Aktivitäten bedroht ist.
Sie hat mehrfach an Demonstrationen im Rahmen der "Woman Life Freedom" Bewegung teilgenommen. Eine dieser Demonstrationen war Gegenstand der Presseberichterstattung. Auf einem veröffentlichten Foto ist die Klägerin deutlich mit einem Plakat in der Hand zu erkennen. Da die iranischen Behörden über entsprechende Gesichtserkennungssoftware verfügen (Lagebericht des Auswärtigen Amts a.a.O.), dürfte eine Identifikation der Klägerin möglich sein. Die Klägerin repostet darüber hinaus Artikel, die sich kritisch mit der Menschenrechtslage und den Frauenrechten in Iran befassen. Der Benutzername ihres öffentlichen Instagram-Accounts besteht u.a. aus ihrem Nachnamen, ihr voller Name (Vor- und Zuname) wird ebenfalls genannt. Darüber hinaus hat die Klägerin mehrfach Petitionen und ähnliches im Internet unterstützt. Angesichts der erheblichen Bedrohung, die der iranische Staat durch die Proteste nach dem Tod von Mahsa Amini erfahren hat, ist davon auszugehen, dass sich die Kontrolle der Internetaktivitäten gegenüber den vorgenannten Erkenntnissen der Schweizerischen Flüchtlingshilfe gegenwärtig noch verstärkt hat. Es besteht deshalb die begründete Furcht der Klägerin zu 2., im Falle einer Rückkehr nach Iran verhaftet zu werden. [...]
Dem Kläger zu 1. ist dagegen die Flüchtlingseigenschaft nicht zuzuerkennen. Er hat zwar auch an Demonstrationen teilgenommen, ist auf einem Pressefoto jedoch kaum identifizierbar. Eigene Veröffentlichungen hat er nicht vorgetragen. [...] Es kann zwar nicht ausgeschlossen werden, dass Angehörige unter Druck gesetzt werden, um auf politisch aktive Familienmitglieder einzuwirken [...], die Klägerin zu 2. ist aber nicht derart herausgehoben und mit einem gewissen Bekanntheitsgrad in der iranischen Öffentlichkeit aktiv geworden, dass es für die iranische Regierung Anlass gäbe, den Kläger zu 1. quasi als Geisel einzusetzen. [...]