Familiennachzug zu Minderjährigen ohne Antragsfrist und Erfordernis der Lebensunterhaltssicherung:
1. Der Familiennachzug zu als Flüchtling anerkannten unbegleiteten Minderjährigen gemäß Art. 10 Abs. 3 Bst. a RL 2003/86/EG [Familienzusammenführungsrichtlinie] darf nicht davon abhängig gemacht werden, dass der Antrag innerhalb einer bestimmten Frist nach der Flüchtlingsanerkennung gestellt wurde. Das gilt auch, wenn das Kind während des Verfahrens auf Familiennachzug volljährig wird; maßgeblich ist die Minderjährigkeit zum Zeitpunkt des Antrags auf Familienzusammenführung. Etwas anderes gilt, wenn das Kind während des Asylverfahrens, also noch vor der Anerkennung als Flüchtling, volljährig geworden ist.
2. Volljährigen Geschwistern eines als Flüchtling anerkannten Kindes ist der Familiennachzug zu diesem zu ermöglichen, wenn sie aufgrund einer schweren Krankheit vollständig und dauerhaft auf die Unterstützung ihrer Eltern angewiesen sind. Andernfalls würde einem als Flüchtling anerkannten Kind nämlich faktisch das Recht auf Familiennachzug aus Art. 10 Abs. 3 Bst. a RL 2003/86/EG genommen werden, denn es wäre den Eltern nicht möglich, ohne ihr volljähriges, vollständig von ihnen abhängiges Kind nachzuziehen.
3. Für die Familienzusammenführung der Eltern zu ihrem als Flüchtling anerkannten Kind darf weder von dem Kind noch von den Eltern verlangt werden, dass sie die Voraussetzungen gemäß Art. 7 Abs. 1 RL 2003/86 erfüllen, d.h. über ausreichenden Wohnraum für alle Familienangehörigen, eine Krankenversicherung für alle Familienangehörige sowie über feste und regelmäßige Einkünfte zur Deckung des Lebensunterhalts verfügen. Das Gleiche gilt für einen Geschwisternachzug, wie in Ls. 2 beschrieben.
(Leitsätze der Redaktion; unter Bezug auf: EuGH, Urteil vom 01.08.2022 - C-273/20, C-355/20 Deutschland gg. SW, BL und BC (Asylmagazin 9/2022, S. 326 f.) - asyl.net: M30811; EuGH, Urteil vom 12.04.2018 - C-550/16 A. und S. gg. Niederlande - Asylmagazin 5/2018, S. 176 ff. - asyl.net: M26143)
[...]
15 RI, geboren am 1. September 1999, kam am 31. Dezember 2015 als unbegleiteter Minderjähriger nach Österreich und stellte dort am 8. Jänner 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem AsylG. Mit ihm am 5. Jänner 2017 zugestelltem Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (Österreich) wurde RI die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Dieser Bescheid wurde am 2. Februar 2017 rechtskräftig.
16 Am 6. April 2017, also drei Monate und einen Tag nach Zustellung dieses Bescheids, stellten CR und GF, die Eltern von RI, sowie TY, seine volljährige Schwester, bei der Botschaft der Republik Österreich in Syrien Anträge auf Einreise nach und Aufenthalt in Österreich zum Zweck der Familienzusammenführung mit RI nach § 35 AsylG (im Folgenden: erste Anträge auf Einreise und Aufenthalt). RI war zum Zeitpunkt der Stellung dieser Anträge noch minderjährig. Diese wurden jedoch von der Österreichischen Botschaft mit am 29. Mai 2018 zugestelltem Bescheid mit der Begründung abgewiesen, dass RI während des Verfahrens der Familienzusammenführung volljährig geworden sei. Dieser Bescheid, gegen den kein Rechtsmittel eingelegt wurde, wurde am 26. Juni 2018 rechtskräftig. [...]
30 Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 10 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2003/86 dahin auszulegen ist, dass die Verwandten in gerader aufsteigender Linie ersten Grades (im Folgenden auch: Eltern) eines unbegleiteten minderjährigen Flüchtlings, wenn dieser zum Zeitpunkt der Antragstellung noch minderjährig ist und im Laufe des Verfahrens auf Familienzusammenführung volljährig wird, nach dieser Bestimmung dazu verpflichtet sind, den Antrag auf Einreise und Aufenthalt zum Zweck der Familienzusammenführung mit diesem Flüchtling innerhalb einer bestimmten Frist zu stellen, um das Recht auf Familienzusammenführung auf diese Bestimmung stützen und die darin vorgesehenen günstigeren Bedingungen in Anspruch nehmen zu können. [...]
34 In seinem Urteil vom 12. April 2018, A und S (C-550/16, EU:C:2018:248, Rn. 64), hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass Art. 2 Buchst. f der Richtlinie 2003/86, der den Begriff "unbegleiteter Minderjähriger" definiert, in Verbindung mit Art. 10 Abs. 3 Buchst. a dieser Richtlinie dahin auszulegen ist, dass ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser, der zum Zeitpunkt seiner Einreise in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats und der Stellung seines Asylantrags in diesem Staat unter 18 Jahre alt war, aber während des Asylverfahrens volljährig wird und dem später die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wird, als "Minderjähriger" im Sinne dieser Bestimmung anzusehen ist.
35 Die praktische Wirksamkeit von Art. 10 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2003/86 würde nämlich in Frage gestellt, wenn das Recht auf Familienzusammenführung aus dieser Bestimmung davon abhinge, zu welchem Zeitpunkt die zuständige nationale Behörde förmlich über die Anerkennung des Betroffenen als Flüchtling entscheidet, und damit von der mehr oder weniger schnellen Bearbeitung des Antrags auf internationalen Schutz durch diese Behörde. Außerdem liefe dies nicht nur dem Ziel dieser Richtlinie, die Familienzusammenführung zu begünstigen und dabei Flüchtlinge, insbesondere unbegleitete Minderjährige, besonders zu schützen, sondern auch den Grundsätzen der Gleichbehandlung und der Rechtssicherheit zuwider (Urteil vom 12. April 2018, A und S (C-550/16, EU:C:2018:248, Rn. 55).
36 Diese Erwägungen gelten zudem erst recht, wenn der unbegleitete Minderjährige nicht während des Asylverfahrens, sondern während des Verfahrens auf Familienzusammenführung volljährig wird. Somit kann sich ein solcher minderjähriger Flüchtling auf Art. 10 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2003/86 stützen, um das Recht auf Familienzusammenführung mit seinen Eltern auf der Grundlage der in dieser Bestimmung vorgesehenen günstigeren Bedingungen in Anspruch zu nehmen, ohne dass der betreffende Mitgliedstaat den Antrag auf Familienzusammenführung mit der Begründung ablehnen kann, dass der betreffende Flüchtling zum Zeitpunkt der Entscheidung über diesen Antrag nicht mehr minderjährig ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 1. August 2022, Bundesrepublik Deutschland [Familienzusammenführung mit einem minderjährigen Flüchtling], C-273/20 und C-355/20, EU:C:2022:617, Rn. 52).
37 Allerdings hat der Gerichtshof im Urteil vom 12. April 2018, A und S (C-550/16, EU:C:2018:248, Rn. 61), auch entschieden, dass es mit dem Ziel von Art. 10 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2003/86 unvereinbar wäre, wenn sich ein Flüchtling, der zum Zeitpunkt seines Asylantrags die Eigenschaft eines unbegleiteten Minderjährigen besaß, aber während des Verfahrens über diesen Antrag volljährig geworden ist, "ohne jede zeitliche Begrenzung" auf diese Vorschrift berufen könnte, um eine Familienzusammenführung zu erwirken, so dass der Antrag auf Familienzusammenführung innerhalb einer angemessenen Frist gestellt werden muss. [...]
38 Die Zweifel des vorlegenden Gerichts betreffen aber im Wesentlichen die Frage, ob eine solche Frist auch unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens einzuhalten ist, d. h. in einer Situation, in der der betreffende Flüchtling zum Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Familienzusammenführung noch minderjährig war und während des diesen Antrag betreffenden Verfahrens volljährig geworden ist.
39 Insoweit ergibt sich aus der in Rn. 37 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung, dass mit dem Erfordernis der Einhaltung einer solchen Frist die Gefahr verhindert werden soll, dass das Recht auf Familienzusammenführung in dem Fall, dass der Flüchtling bereits während des Asylverfahrens und somit noch vor der Stellung des Antrags auf Familienzusammenführung volljährig geworden ist, ohne jede zeitliche Begrenzung geltend gemacht werden kann.
40 Wie die Europäische Kommission hervorgehoben hat, besteht eine solche Gefahr jedoch nicht, wenn der betreffende Flüchtling während des Verfahrens auf Familienzusammenführung volljährig wird. [...]
41 Solange der Flüchtling minderjährig ist, können seine Eltern daher auf der Grundlage von Art. 10 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2003/86 einen Antrag auf Einreise und Aufenthalt zum Zweck der Familienzusammenführung stellen, ohne eine Frist einhalten zu müssen, um die in dieser Bestimmung vorgesehenen günstigeren Bedingungen in Anspruch nehmen zu können.
42 Daraus folgt, dass im vorliegenden Fall der Umstand, dass die ersten Anträge auf Einreise und Aufenthalt zum Zweck der Familienzusammenführung von den Klägern des Ausgangsverfahrens mehr als drei Monate nach der Zustellung des Bescheids, mit dem dem Zusammenführenden die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde, gestellt wurden, unerheblich ist, da der Zusammenführende zum Zeitpunkt der Stellung dieser Anträge minderjährig war. Vorbehaltlich einer Überprüfung durch das vorlegende Gericht steht der in Rn. 16 des vorliegenden Urteils genannte Bescheid, mit dem diese Anträge abgewiesen wurden, somit offenbar nicht im Einklang mit der Richtlinie 2003/86.
43 Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 10 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2003/86 dahin auszulegen ist, dass die Eltern eines unbegleiteten minderjährigen Flüchtlings, wenn dieser zum Zeitpunkt der Antragstellung noch minderjährig ist und im Laufe des Verfahrens auf Familienzusammenführung volljährig wird, nach dieser Bestimmung nicht dazu verpflichtet sind, den Antrag auf Einreise und Aufenthalt zum Zweck der Familienzusammenführung mit diesem Flüchtling innerhalb einer bestimmten Frist zu stellen, um das Recht auf Familienzusammenführung auf diese Bestimmung stützen und die darin vorgesehenen günstigeren Bedingungen in Anspruch nehmen zu können. [...]
46 Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 10 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2003/86 dahin auszulegen ist, dass danach der volljährigen Schwester eines unbegleiteten minderjährigen Flüchtlings, die Staatsangehörige eines Drittstaats ist und aufgrund einer schweren Krankheit vollständig und dauerhaft auf die Unterstützung ihrer Eltern angewiesen ist, ein Aufenthaltstitel erteilt werden muss, wenn die Weigerung, diesen Aufenthaltstitel zu erteilen, dazu führen würde, dass diesem Flüchtling das ihm durch diese Bestimmung verliehene Recht auf Familienzusammenführung mit seinen Eltern genommen würde. [...]
54 Im vorliegenden Fall geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass die Anträge auf Einreise nach und Aufenthalt in Österreich zum Zweck der Familienzusammenführung mit RI von seinen beiden Elternteilen und von TY, der Schwester von RI, gestellt wurden. Diese ist zwar volljährig, aber aufgrund einer schweren Krankheit vollständig und dauerhaft auf die konkrete Unterstützung ihrer Eltern angewiesen. Insbesondere leidet sie an Zerebralparese und ist permanent auf einen Rollstuhl sowie auf Unterstützung bei der täglichen Körperpflege und bei der Nahrungsaufnahme angewiesen. Diese Pflege wird im Wesentlichen von ihrer Mutter, CR, erbracht, da TY dafür an ihrem derzeitigen Wohnort auf kein soziales Hilfsnetzwerk zurückgreifen kann. Folglich sind die Eltern von TY die einzigen Personen, die sich um sie kümmern können, so dass sie sie nicht allein in ihrem Herkunftsland lassen können.
55 Wie das vorlegende Gericht festgestellt hat, ist es den beiden Elternteilen angesichts dieser außergewöhnlichen Situation und der besonderen Schwere der Krankheit von TY nicht möglich, zu ihrem Sohn, einem unbegleiteten minderjährigen Flüchtling, nach Österreich zu ziehen, ohne ihre Tochter mitzunehmen. Der Schwester von RI einen Einreise- und Aufenthaltstitel zu erteilen, ist daher das einzige Mittel, um es RI zu ermöglichen, sein Recht auf Familienzusammenführung mit seinen Eltern auszuüben.
56 Unter diesen Umständen würde RI, wenn TY kein Recht auf Familienzusammenführung gleichzeitig mit ihren Eltern gewährt würde, de facto sein sich aus Art. 10 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2003/86 ergebendes Recht auf Familienzusammenführung mit seinen Eltern genommen.
57 Ein solches Ergebnis wäre aber mit dem unbedingten Charakter dieses Rechts unvereinbar und würde dessen praktische Wirksamkeit in Frage stellen, was sowohl dem in Rn. 51 des vorliegenden Urteils angeführten Ziel von Art. 10 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2003/86 als auch den in Rn. 49 des vorliegenden Urteils genannten Anforderungen, die sich aus Art. 7 sowie Art. 24 Abs. 2 und 3 der Charta ergeben und deren Einhaltung diese Richtlinie sicherstellen muss, zuwiderlaufen würde.
58 Daraus folgt, dass es in Anbetracht der außergewöhnlichen Umstände des Ausgangsverfahrens Sache des vorlegenden Gerichts ist, die praktische Wirksamkeit des sich aus Art. 10 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2003/86 ergebenden Rechts von RI auf Familienzusammenführung mit seinen Eltern und die Einhaltung der in Art. 7 und Art. 24 Abs. 2 und 3 der Charta verankerten Grundrechte zu gewährleisten, indem es auch seiner Schwester einen Einreise- und Aufenthaltstitel für Österreich zuerkennt. [...]
61 Nach alledem ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Art. 10 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2003/86 dahin auszulegen ist, dass danach der volljährigen Schwester eines unbegleiteten minderjährigen Flüchtlings, die Staatsangehörige eines Drittstaats ist und aufgrund einer schweren Krankheit vollständig und dauerhaft auf die Unterstützung ihrer Eltern angewiesen ist, ein Aufenthaltstitel erteilt werden muss, wenn die Weigerung, diesen Aufenthaltstitel zu erteilen, dazu führen würde, dass diesem Flüchtling das ihm durch diese Bestimmung verliehene Recht auf Familienzusammenführung mit seinen Eltern genommen würde. [...]
62 Mit seiner sechsten und seiner siebten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 10 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2003/86 dahin auszulegen ist, dass ein Mitgliedstaat verlangen kann, dass ein unbegleiteter minderjähriger Flüchtling oder seine Eltern die Voraussetzungen von Art. 7 Abs. 1 dieser Richtlinie erfüllen, damit dieser das Recht auf Familienzusammenführung mit seinen Eltern nach Art. 10 Abs. 3 Buchst. a dieser Richtlinie in Anspruch nehmen kann, und ob gegebenenfalls die Möglichkeit, die Erfüllung dieser Voraussetzungen zu verlangen, davon abhängt, ob der Antrag auf Familienzusammenführung innerhalb der in Art. 12 Abs. 1 Unterabs. 3 dieser Richtlinie vorgesehenen Frist gestellt wurde. [...]
77 Wie die Kommission ausgeführt hat, ist es nämlich nahezu unmöglich, dass ein minderjähriger unbegleiteter Flüchtling für sich selbst und seine Familienangehörigen über einen ortsüblichen Wohnraum, eine Krankenversicherung und ausreichende Einkünfte verfügt und damit die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/86 erfüllt. Ebenso ist es für die Eltern eines solchen Minderjährigen äußerst schwierig, diese Voraussetzungen zu erfüllen, bevor sie zu ihrem Kind in den betreffenden Mitgliedstaat gezogen sind. Die mögliche Familienzusammenführung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge mit ihren Eltern von der Erfüllung dieser Voraussetzungen abhängig zu machen, würde somit in Wirklichkeit darauf hinauslaufen, diesen Minderjährigen unter Missachtung der sich aus Art. 7 und Art. 24 Abs. 2 und 3 der Charta ergebenden Anforderungen ihr Recht auf eine solche Zusammenführung zu nehmen.
78 Daraus folgt, dass die Mitgliedstaaten, wenn Eltern eines unbegleiteten minderjährigen Flüchtlings einen Antrag auf Einreise und Aufenthalt zum Zweck der Familienzusammenführung mit diesem nach Art. 10 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2003/86 stellen, weder von diesem Minderjährigen noch von seinen Eltern verlangen dürfen, dass sie die in Art. 7 Abs. 1 dieser Richtlinie genannten Voraussetzungen erfüllen, d. h., dass sie über Wohnraum, der für alle Familienangehörigen in dem betreffenden Mitgliedstaat als ausreichend angesehen wird, eine Krankenversicherung, die alle Mitglieder dieser Familie abdeckt, sowie feste und regelmäßige Einkünfte, die ohne Inanspruchnahme der Sozialhilfeleistungen des betreffenden Mitgliedstaats für den Lebensunterhalt der Familie ausreichen, verfügen.
79 Da es in Anbetracht der außergewöhnlichen Umstände des Ausgangsverfahrens, wie in Rn. 58 des vorliegenden Urteils festgestellt worden ist, zur Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit des sich aus Art. 10 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2003/86 ergebenden Rechts von RI auf Familienzusammenführung mit beiden Elternteilen erforderlich ist, dass auch seiner volljährigen Schwester ein Einreise- und Aufenthaltstitel erteilt wird, da es seinen Eltern nicht möglich ist, zu ihrem Sohn, einem unbegleiteten minderjährigen Flüchtling, nach Österreich zu ziehen, ohne ihre Tochter mitzunehmen, weil diese an einer schweren Krankheit leidet, die sie vollständig und dauerhaft von der konkreten Unterstützung ihrer Eltern abhängig macht, kann der betreffende Mitgliedstaat auch nicht verlangen, dass RI oder seine Eltern die Voraussetzungen von Art. 7 Abs. 1 dieser Richtlinie in Bezug auf die Schwester des minderjährigen Flüchtlings erfüllen.
80 Nach alledem ist auf die sechste und die siebte Frage zu antworten, dass Art. 10 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2003/86 dahin auszulegen ist, dass ein Mitgliedstaat nicht verlangen kann, dass ein unbegleiteter minderjähriger Flüchtling oder seine Eltern die Voraussetzungen von Art. 7 Abs. 1 dieser Richtlinie erfüllen, damit dieser das Recht auf Familienzusammenführung mit seinen Eltern nach Art. 10 Abs. 3 Buchst. a dieser Richtlinie in Anspruch nehmen kann, und zwar unabhängig davon, ob der Antrag auf Familienzusammenführung innerhalb der in Art. 12 Abs. 1 Unterabs. 3 dieser Richtlinie vorgesehenen Frist gestellt wurde. [...]