VG Weimar

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Zitieren als:
VG Weimar, Beschluss vom 07.12.2023 - 4 E 1428/23 We - asyl.net: M32081
https://www.asyl.net/rsdb/m32081
Leitsatz:

Keine Einstellung des Asylverfahrens aufgrund der Mitteilung "Fortzug nach Unbekannt":

1. Gemäß § 33 Abs. 1 AsylG stellt das BAMF ein Asylverfahren ein oder lehnt den Asylantrag nach inhaltlicher Prüfung ab, wenn die schutzsuchende Person ihr Asylverfahren nicht betreibt. Gemäß § 33 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AsylG wird vermutet, dass eine Person ihr Asylverfahren nicht betreibt, wenn sie untergetaucht ist.

2. Untergetaucht ist eine Person in diesem Sinne, wenn sie für die staatlichen Behörden nicht auffindbar ist, wobei das BAMF diese Annahme auf eine hinreichende Tatsachengrundlage stützen muss. Angesichts der weitreichenden Folgen ist es hierfür nicht ausreichend, wenn das BAMF das Untertauchen auf die Mitteilung der Ausländerbehörde stützt, die Person sei "nach Unbekannt" fortgezogen.

(Leitsätze der Redaktion; siehe auch: VG Münster, Beschluss vom 27.07.2022 - 6 L 551/22.A - asyl.net: M30930)

Schlagwörter: Asylverfahren, Untertauchen, Nichtbetreiben des Verfahrens, Fortzug nach Unbekannt, Untersuchungsgrundsatz, Einstellung,
Normen: AsylG § 33 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, AsylG § 33 Abs. 1 S. 1, AsylG § 24 Abs. 1
Auszüge:

[...]

18 Eine rechtmäßige Androhung der Abschiebung setzt demzufolge voraus, dass das Verfahren in rechtmäßiger Weise vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: BAMF) eingestellt worden ist. Insoweit bestimmt § 33 Abs. 1 S. 1 AsylG, dass das Bundesamt das Verfahren einstellt oder den Asylantrag nach angemessener inhaltlicher Prüfung ablehnt, wenn der Ausländer das Verfahren nicht betreibt. Nach § 33 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AsylG wird vermutet, dass der Ausländer das Verfahren nicht betreibt, wenn er untergetaucht ist

19 Vorliegend bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Feststellung des Bundesamtes, dass der Antragsteller untergetaucht sei.

20 Untergetaucht ist der Ausländer nach dem Willen des Gesetzgebers, wenn er für die staatlichen Behörden nicht auffindbar ist (vgl. BT-Drs. 18/7538, S. 17). Dabei gebietet nicht zuletzt der in § 24 Abs. 1 S. 1 VwVfG enthaltene Untersuchungsgrundsatz, dass das Bundesamt auf hinreichender Tatsachengrundlage von einer Unauffindbarkeit des Ausländers ausgeht [...]. Dies gilt mit Blick auf die weitreichenden Folgen einer an das Nichtbetreiben anknüpfenden Entscheidung des Bundesamts für den Schutzsuchenden auch dann, wenn das Bundesamt dazu keine eigenen Feststellungen getroffen hat und sich auf die Mitteilungen anderer Behörden stützt. Von einem Untertauchen i.S.v. § 33 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AsylG kann das Bundesamt nur dann ausgehen, wenn es über hinreichende Kenntnisse des Sachverhalts verfügt; nur dann lässt sich beurteilen, ob der Ausländer tatsächlich für die Behörden nicht erreichbar ist. Legt die Mitteilung einer anderen Behörde ein Untertauchen nahe, ohne aber hinreichende Informationen über den tatsächlichen Sachverhalt, der Grundlage der Mitteilung ist, zu enthalten, ist das Bundesamt verpflichtet, sich diese zu beschaffen, wenn es nach § 33 Abs. 1 S. 1 AsylG vorgehen will.

21 Diesen Anforderungen hat das Bundesamt vorliegend nicht genügt. Die Feststellung, der Antragsteller gelte als untergetaucht, weil weder dem Bundesamt noch der Ausländerbehörde sein derzeitiger Aufenthaltsort bekannt sei, beruht ausweislich der beigezogenen Akte des BAMF allein auf der Mitteilung des Landratsamts ... vom 26.07.2023. Diese weist als Nachrichteninhalt lediglich "Fortzug nach Unbekannt am: 10.05.2023" aus. Auf welcher Tatsachengrundlage diese Mitteilung beruht, ist nicht erkennbar. So bleibt offen, ob der Antragsteller an seiner bis dato bekannten Wohnanschrift tatsächlich nicht mehr erreichbar ist, etwa weil Postsendungen nicht zugestellt werden konnten – oder aber es bspw. lediglich versäumt hat, seine Aufenthaltsgestattung rechtzeitig verlängern zu lassen. In letztgenanntem Fall kann von einer Unerreichbarkeit für die staatlichen Behörden nicht ohne Weiteres ausgegangen werden. [...]