Keine Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG für Familienangehörige subsidiär schutzberechtigter Personen:
1. Gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG kann einer vollziehbar ausreisepflichtigen Person eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn die Ausreise auf absehbare Zeit aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist. Das kann auch der Fall sein, wenn die Ausreise rechtlich unmöglich ist, weil die Verpflichtung zur Ausreise aufgrund einer drohenden Trennung der Familienangehörigen das Recht auf Schutz des Familienlebens gemäß Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK verletzen würde.
2. Für Aufenthaltstitel von Familienangehörigen subsidiär Schutzberechtigter hat die Gesetzgebung mit § 36a AufenthG jedoch eine abschließende Regelung für die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen geschaffen, sodass § 25 Abs. 5 AufenthG grundsätzlich keine Anwendung findet.
3. Familienangehörige subsidiär Schutzberechtigter können gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung aufgrund von Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK aber Anspruch auf eine Duldung haben.
(Leitsätze der Redaktion; allgemein für die Anwendbarkeit des § 25 Abs. 5 AufenthG neben spezieller Regelungen zum Familiennachzug: VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 07.10.2022 - 11 S 2848/21 (Asylmagazin 1-2/2023, S. 30 f.) - asyl.net: M31134)
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23 II. Den Klägern ist es verwehrt, sich hinsichtlich des begehrten Anspruches auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auf die Regelung des § 25 Abs. 5 AufenthG zu berufen. Danach kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist, mit dem Wegfall des Ausreisehindernisses in absehbarer Zeit nicht zu rechnen und er unverschuldet an der Ausreise gehindert ist.
24 Ob diese tatbestandlichen Voraussetzungen hinsichtlich der Kläger erfüllt sind, insbesondere, ob ihre Ausreise aufgrund einer behaupteten, unter Beachtung von Art. 6 Abs. 1 und 2 GG schützenswerten Lebensgemeinschaft mit Herrn A. unmöglich ist, kann offenbleiben, da bereits der Anwendungsbereich der Norm nicht eröffnet ist. [...]
25 Die Anwendung des § 25 Abs. 5 AufenthG scheidet aus, da die Kläger ausweislich ihrer Darlegungen im Verwaltungs- wie im Gerichtsverfahren der Sache nach eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zu Herrn A. als subsidiär Schutzberechtigten begehren und dieses Begehren – wie das Verwaltungsgericht im Ergebnis zutreffend festgestellt hat – in § 36a AufenthG abschließend geregelt ist. Dies gilt unabhängig davon, ob die in Abschnitt 6 des Aufenthaltsgesetzes – Aufenthalt aus familiären Gründen – enthaltenen Anspruchsgrundlagen als speziellere Normen für eine Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen (vgl. §§ 27 ff. AufenthG) in ihrer Gesamtheit die Anwendung des in Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes – Aufenthalt aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen – verorteten § 25 Abs. 5 AufenthG im Fall der Geltendmachung von familiären Bindungen im Bundesgebiet grundsätzlich ausschließen, was in der obergerichtlichen Rechtsprechung umstritten ist [...]. Denn jedenfalls für den vorliegend hinsichtlich der Kläger relevanten Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten hat der Gesetzgeber mit § 36a AufenthG eine spezialgesetzliche abschließende Regelung für die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen geschaffen.
26 1. Der abschließende Charakter des mit Wirkung vom 1. August 2018 durch das Familiennachzugsneuregelungsgesetz vom 12. Juli 2018 (BGBl. I S. 1147) eingefügten § 36a AufenthG wird aus der Gesetzessystematik und dem Willen des Gesetzgebers deutlich. Nach der Gesetzesbegründung zielt die Norm darauf ab, den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten im Einzelnen auszugestalten, indem ausdrückliche Voraussetzungen für die legale Einreise im Wege des Nachzugs von Familienangehörigen zu subsidiär Schutzberechtigten aus humanitären Gründen festgelegt werden und zugleich der Familiennachzug zu diesen Personen gesteuert wird (vgl. BT-Drucks. 19/2438, S. 15). [...]
28 Dieses vom Gesetzgeber durch § 36a AufenthG explizit und ausschließlich für die Fälle eines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Nachzug von Familienangehörigen zu subsidiär Schutzberechtigten implementierte Vergabe- und Begrenzungssystem sowie die für diesen Fall erforderlichen besonderen humanitären Voraussetzungen würden umgangen bzw. leerlaufen, sofern im Anwendungsbereich des § 36a AufenthG ein Rückgriff auf ein Aufenthaltsrecht aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 6 Abs. 1 und 2 GG möglich wäre. [...]
29 Im Übrigen folgt aus der Reglung des § 36a Abs. 1 Satz 4 AufenthG, wonach die §§ 22, 23 AufenthG unberührt bleiben, dass der Gesetzgeber § 36a AufenthG gesetzessystematisch in ein Spezialitätsverhältnis zu den Normen des Abschnitts 5 des Aufenthaltsgesetzes – und hier folglich insbesondere zur Auffangnorm des § 25 Abs. 5 AufenthG – setzen wollte, denn anderenfalls hätte es dieser Regelung nicht bedurft.
30 2. Der abschließende Charakter von § 36a AufenthG im Verhältnis zu § 25 Abs. 5 AufenthG steht auch im Einklang mit den Schutzwirkungen, die aus Art. 6 Abs. 1 und 2 GG – auch i.V.m. Art. 8 EMRK – erwachsen. [...]
34 Haben sich Familienangehörige – wie vorliegend die Kläger – für eine illegale Einreise und anschließende Asylantragstellung entschieden, müssen sie sich grundsätzlich auch auf das diesbezügliche Regelungsregime, insbesondere die Regelungen des § 26 AsylG zu Familienasyl und internationalen Schutz für Familienangehörige, verweisen lassen und bei Nichtvorliegen eines entsprechenden Anspruchs ihr Bleibebegehren zur Wahrung der Familieneinheit durch Beantragung einer Duldung wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Ausreise nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG weiterverfolgen. Die Nichtgewährung einer Aufenthaltserlaubnis in diesen Fällen durch einen systemfremden Rückgriff auf § 25 Abs. 5 AufenthG zu kompensieren, erscheint demnach auch unter Beachtung der von Art. 6 Abs. 1 und 2 GG ausgehenden Schutzwirkungen nicht geboten.
35 b) Hinzu kommt, dass vom grundsätzlich bestehenden Ausschluss von § 25 Abs. 5 AufenthG im Anwendungsbereich des § 36a AufenthG im Einzelfall unter Beachtung der von Art. 6 Abs. 1 und 2 GG ausgehenden Schutzwirkungen dann eine Ausnahme angezeigt ist, wenn die das Spezialitätsverhältnis rechtfertigenden Umstände sich nachträglich derart verändert haben, dass dieses durch die neuerlichen Verhältnisse gleichsam überlagert wird.
36 Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn nachträglich Abschiebungshindernisse hinzutreten oder wenn die humanitären Gründe nach Ablauf einer erheblichen Zeitspanne das Spezialitätsverhältnis nachträglich überlagern [...] bzw. sofern durch das nachträgliche Entstehen einer von Art. 6 Abs. 1 und 2 GG grundsätzlich geschützten Lebensgemeinschaft eine neue Situation eingetreten ist, die im Licht der Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, einwanderungspolitische Belange in den Hintergrund treten lässt [...].
39 3. Das zwischen § 36a AufenthG und § 25 Abs. 5 AufenthG bestehende Spezialitätsverhältnis steht auch nicht in Widerspruch zu den sich aus der Richtlinie 2011/95/EU – Anerkennungs-RL – ergebenden europarechtlichen Vorgaben. [...]
42 4. Dem abschließenden Charakter von § 36a AufenthG im Verhältnis zu § 25 Abs. 5 AufenthG stehen schließlich auch die von den Klägern im Rahmen des Berufungsverfahrens hiergegen angeführten Einwendungen nicht entgegen.
43 a) Soweit die Kläger darauf verweisen, dass § 36a AufenthG bzw. § 25 Abs. 5 AufenthG unterschiedlichen Aufenthaltszwecken dienten und daher nebeneinander anwendbar seien, kann dem nicht gefolgt werden. Diesem Argument, das der Rechtsprechung zu anderen in Abschnitt 6 des Aufenthaltsgesetzes enthaltenen Anspruchsgrundlagen (vgl. OVG NRW, Urteil vom 16. November 2010 – 17 A 2434/07 –, juris Rn. 25-32) entnommen ist, kann im Verhältnis von § 36a AufenthG zu § 25 Abs. 5 AufenthG keine Geltung zukommen. Denn die Regelung des § 36a AufenthG dient ausweislich ihres Wortlautes und der Gesetzesbegründung ausdrücklich nicht nur familiären, sondern insbesondere – ebenso wie § 25 Abs. 5 AufenthG – auch humanitären Zwecken. [...]
44 b) Das zwischen § 36a AufenthG und § 25 Abs. 5 AufenthG bestehende Spezialitätsverhältnis steht – entgegen der Ansicht der Kläger – auch nicht in Widerspruch zu den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in der Entscheidung vom 9. Dezember 2021 (vgl. Beschluss vom 9. Dezember 2021 – 2 BvR 1333/21 –, juris Rn. 62), wonach sich eine rechtliche Unmöglichkeit i.S.v. § 25 Abs. 5 AufenthG auch auf Grundlage einer Verletzung von Art. 6 GG ergeben kann. Denn diese Entscheidung ist nicht zu der durch § 36a AufenthG einem besonderen Regelungsregime unterworfen Sachverhaltskonstellation eines Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten ergangen. Auch schließt das zwischen § 36a AufenthG und § 25 Abs. 5 AufenthG bestehende Spezialitätsverhältnis nicht aus, dass in anders gelagerten Fällen eine Verletzung von Art. 6 GG eine rechtliche Unmöglichkeit i.S.v. § 25 Abs. 5 AufenthG zur Folge haben kann. [...]