Aufhebung eines Dublinbescheids hinsichtlich Bulgariens für jungen Mann aus Syrien:
Auch ohne besondere Vulnerabilität droht in Bulgarien nach einer etwaigen Anerkennung, die für den syrischen Kläger sehr wahrscheinlich ist, Obdachlosigkeit. Auf dem freien Wohnungsmarkt wird es ihm nicht gelingen, eine Wohnung anzumieten, da dies neben den erforderlichen finanziellen Mitteln eine Meldeadresse voraussetzt, die nach Abschluss des Asylverfahrens nicht auf zumutbare Weise zu erlangen wäre.
(Leitsätze der Redaktion; unter Bezug auf: VG Freiburg, Urteil vom 19.09.2022 - A 14 K 900/22 - asyl.net: M31139)
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b. Die Unzulässigkeitsentscheidung verstößt jedoch gegen Art. 4 GrCH. Aufgrund der persönlichen Umstände des Klägers und der Erkenntnismittellage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ist davon auszugehen, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Bulgarien voraussichtlich einer Situation extremer materieller Not ausgesetzt sein wird. Er wird insbesondere nicht in der Lage sein, eine Unterkunft zu finden und würde aller Voraussicht nach unfreiwillig obdachlos werden. Die zu erwartende Obdachlosigkeit führt zu einem Verstoß gegen Art. 4 GrCh. [...]
Der Kläger gehört nicht zum Kreis besonders vulnerabler Personen. Dies ergibt sich daraus, dass er nach seinen eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung nicht an behandlungsbedürftigen Krankheiten leidet, er keine Kinder hat und ansonsten jung und arbeitsfähig ist.
Auch ohne besondere individuelle Vulnerabilität besteht für den Kläger jedoch zur Überzeugung des Gerichts (§ 108 Abs. 1 S. 1 VwGO) die beachtliche Wahrscheinlichkeit, in Bulgarien unfreiwillig obdachlos zu werden. In einer Asylbewerberunterkunft wird er in Bulgarien nur in der Anfangszeit nach seiner Überstellung unterkommen können. [...]
Es ist deshalb davon auszugehen, dass der Kläger nach einer Übergangszeit in einer Asylbewerberunterkunft auf den freien Wohnungsmarkt in Bulgarien verwiesen wird. Dort wird er voraussichtlich jedoch keine Wohnung erhalten. Er verfügt über keine Meldeadresse in Bulgarien und beherrscht auch nicht die bulgarische Sprache. Er wird vor diesem Hintergrund nicht in der Lage sein, eigenständig eine Wohnung in Bulgarien anmieten, geschweige denn aus eigenen Mitteln bezahlen zu können. Der Abschluss eines Mietvertrages ist nur mit gültigen Ausweisdokumenten möglich. Letztere setzen eine Meldeadresse in Bulgarien voraus, die der Kläger nicht hat, wobei es ihm auch verwehrt werden wird, die in der Übergangszeit bewohnte Asylbewerberunterkunft als Meldeadresse anzugeben. Er wird daher nach Abschluss seines Asylverfahrens in Bulgarien faktisch dazu gezwungen sein, Beamte zu bestechen oder mit Kriminellen wegen einer fiktiven Adresse zusammenzuarbeiten, um überhaupt - ungeachtet der wirtschaftlichen Schwierigkeiten in Bulgarien - eine Chance darauf zu haben, eine Wohnung anmieten zu können. Dies ist ihm nach Einschätzung des erkennenden Berichterstatters nicht zuzumuten, da er sich voraussichtlich strafbar machen müsste, nur um eine Wohnung anmieten zu können (vgl. hierzu: VG Freiburg, Urteil vom 19.09.2022 - A 14 K 900/22 - , BeckRS 2022, 26860 Rn. 39 ff.). Dass ein derartiges Vorgehen auch nur ansatzweise erfolgversprechend wäre, ist zudem unwahrscheinlich, nachdem der Kläger nur über begrenzte Mittel verfügt und die bulgarische Sprache nicht beherrscht. [...]