VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Beschluss vom 22.09.2023 - 10 ZB 23.1344 (Asylmagazin 1-2/2024, S. 60) - asyl.net: M31900
https://www.asyl.net/rsdb/m31900
Leitsatz:

Keine "Duldung light" wegen Passlosigkeit vor rechtskräftiger Entscheidung über Asylfolgeantrag:

1. Auch Folgeanträge gemäß § 71 Abs. 1 AsylG sind Asylanträge gemäß § 60b Abs. 2 Satz 2 AufenthG.

2. Eine Duldung für Personen mit ungeklärter Identität gemäß § 60b Abs. 1 S. 1 AufenthG ["Duldung light"] wegen Nichterfüllung der Passbeschaffungspflicht gemäß § 60b Abs. 2 AufenthG scheidet deshalb aus, wenn über einen Asylfolgeantrag noch nicht rechtskräftig entschieden wurde. Denn die besondere Passbeschaffungspflicht gilt gemäß § 60b Abs. 2 S. 2 AufenthG bis zur rechtskräftigen Ablehnung über einen Asylantrag nicht. Hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einen Asylfolgeantrag abgelehnt, ist aber noch eine Klage gegen diesen bei Gericht anhängig, scheidet eine "Duldung light" gemäß § 60b Abs. 1 S. 1 AufenthG wegen Nichterfüllung der Passpflicht folglich aus.

(Leitsätze der Redaktion; siehe auch: OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 22.06.2023 - 2 M 57/23 - asyl.net: M31807)

Schlagwörter: Asylfolgeantrag, Duldung für Personen mit ungeklärter Identität, Passbeschaffung, Passbeschaffungspflicht, Rechtskraft,
Normen: AufenthG § 60b Abs. 1 S. 1, AufenthG § 60b Abs. 2 S. 1, AufenthG § 60b Abs. 2 S. 2, AufenthG § 60b Abs. 3, AsylG § 71 Abs. 1, AsylG § 13
Auszüge:

[...]

6 Entgegen der Auffassung des Beklagten fehlt es an der Tatbestandsvoraussetzung des § 60b Abs. 1 Satz 1 AufenthG, wonach die Abschiebung aus von dem Ausländer zu vertretenden Gründen − hier wegen Nichtvornahme zumutbarer Handlungen zur Erfüllung der besonderen Passbeschaffungspflicht nach § 60b Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 AufenthG − nicht vollzogen werden kann, weil diese aufgrund der Privilegierung des § 60b Abs. 2 Satz 2 AufenthG für den Kläger nicht gilt, der einen Asylfolgeantrag gestellt hat, über den im Sinne dieser Norm noch nicht rechtskräftig entschieden ist.

7 Nach § 60b Abs. 2 Satz 2 AufenthG gilt die besondere Passbeschaffungspflicht des § 60b Abs. 2 Satz 1 AufenthG unter anderem nicht für Ausländer ab der Stellung eines Asylantrages (§ 13 AsylG) oder eines Asylgesuches (§ 18 AsylG) bis zur rechtskräftigen Ablehnung des Asylantrages.

8 Die Auslegung dem Wortlaut nach spricht für die Anwendbarkeit der Norm auf Asylfolgeanträge. Da der in § 60b Abs. 2 Satz 2 AufenthG in Klammern in Bezug genommene § 13 Abs. 1 AsylG die allgemeine Legaldefinition eines Asylantrags enthält und der Asylfolgeanträge regelnde § 71 Abs. 1 AsylG daran anknüpft ("Stellt ein Ausländer … erneut einen Asylantrag"), ist ein Asylfolgeantrag gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG ohne Weiteres als ein Asylantrag im Sinne von § 13 Abs. 1 AsylG einzustufen. Folglich richtet sich § 60b Abs. 2 Satz 2 AufenthG auch an Asylfolgeantragsteller. [...]

11 Die Auslegung der Norm nach der Binnensystematik sowie nach Sinn und Zweck bestätigen dies. [...]