OVG Sachsen-Anhalt

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Zitieren als:
OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 22.06.2023 - 2 M 57/23 - asyl.net: M31807
https://www.asyl.net/rsdb/m31807
Leitsatz:

Duldung für Personen mit ungeklärter Identität:

Auch Folgeanträge gemäß § 71 AsylG (juris: AsylVfG 1992) sind Asylanträge i.S.d. § 60b Abs. 2 Satz 2 AufenthG (juris: AufenthG 2004) (Rn. 8).

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Asylfolgeantrag, Duldung, Duldung für Personen mit ungeklärter Identität,
Normen: AufenthG § 60b, AsylG § 71, AsylG § 13
Auszüge:

[...]

6 Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass auch Folgeanträge gemäß § 71 AsylG Asylanträge i.S.d. § 60b Abs. 2 Satz 2 AufenthG sind (vgl. Bruns/Hocks, in: Hofmann, Ausländerrecht, 3. Auflage 2023, § 60b AufenthG Rn. 18; Wittmann/Röder, ZAR 2019, 362 <366 Rn. 44>). Dies hat zur Folge, dass die Antragstellerin - derzeit - den besonderen gesetzlichen Passbeschaffungspflichten des § 60b Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 AufenthG nicht unterliegt, da über ihre Klage gegen den ihren Folgeantrag gemäß § 71 AsylG ablehnenden Bescheid des Bundesamtes vom 8. März 2023 - soweit ersichtlich - noch nicht (rechtskräftig) entschieden ist. [...]

8 [...] Zwar besteht nach Stellung eines Folgeantrags gemäß § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG regelmäßig kein Abschiebungsschutz mehr, sobald das Bundesamt mitgeteilt hat, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 - 3 VwVfG nicht vorliegen (vgl. Bergmann, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Auflage 2022, § 71 AsylG Rn. 33). Die Privilegierung des § 60b Abs. 2 Satz 2 AsylG wurde jedoch nicht wegen des mit einem Asylantrag verbundenen Abschiebungsschutzes eingefügt, sondern weil einem Asylbewerber - nach Einschätzung des Gesetzgebers - eine Kontaktaufnahme mit dem Herkunftsstaat in Form der durch § 60b Abs. 2 Satz 1 AufenthG vorgeschriebenen Handlungen bis zum unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens nicht zumutbar ist (vgl. BT-Drs. 19/10047, S. 38; vgl. auch OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 19. April 2021 - OVG 3 S 19/21 - juris Rn. 3). Die Gefahr des Missbrauchs der Stellung eines Folgeantrags nach § 71 AsylG ist danach zwar nicht auszuschließen, rechtfertigt aber keine den Wortlaut der Regelung missachtende Begrenzung der Privilegierung des § 60b Abs. 2 Satz 2 AufenthG auf Erstanträge. Auch der Einwand, der Gesetzgeber hätte Folgeanträge nach § 71 AsylG ausdrücklich in den Anwendungsbereich des § 60b Abs. 2 Satz 2 AufenthG einbeziehen können, greift nicht durch. Zur Klarstellung, dass Folgeanträge von § 60b Abs. 2 Satz 2 AufenthG nicht erfasst werden, wäre es naheliegend gewesen, diese ausdrücklich von der Regelung auszunehmen. Da der Gesetzgeber dies unterlassen hat, spricht der Wortlaut gerade für die Einbeziehung der Folgeanträge gemäß § 71 AsylG in die Regelung des § 60b Abs. 2 Satz 2 AufenthG. Die Überlegung, dass § 60b Abs. 2 Satz 2 AufenthG als Ausnahmeregelung nicht entnommen werden könne, dass eine Anordnung zur Mitwirkung an der Passbeschaffung außerhalb dieses Regelungszusammenhangs nach Stellung eines Folgeantrags generell unzulässig sei, ist für den Anwendungsbereich der Privilegierung des § 60b Abs. 2 Satz 2 AufenthG ohne Belang (vgl. OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 19. April 2021 - OVG 3 S 19/21 - a.a.O. Rn. 3). [...]