VG Saarland

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Zitieren als:
VG Saarland, Urteil vom 27.07.2023 - 3 K 10/21 - asyl.net: M31847
https://www.asyl.net/rsdb/m31847
Leitsatz:

Rückkehrbedingungen für vulnerable Person in Italien:

Eine Person, deren physischer Zustand labil ist, gehört zum Kreis der vulnerablen Personen und wird die Herausforderungen, die sich international Schutzberechtigten in Italien stellen, auf sich allein gestellt nicht bewältigen können.

(Leitsätze der Redaktion; Ausnahme von der Rechtsprechung des OVG Saarland, Urteil vom 15.02.2022 - 2 A 46/21 - asyl.net: M30469)

Schlagwörter: Italien, internationaler Schutz in EU-Staat, besonders schutzbedürftig, Krankheit, Unzulässigkeit, ausländische Anerkennung,
Normen: AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2, EMRK Art. 3, GR-Charta Art. 4, AufenthG § 60 Abs. 5, AufenthG § 60 Abs. 7,
Auszüge:

[...]

Der Kläger gehört zum Kreis der sogenannten vulnerablen Personen. Ihm droht in Italien unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen eine gegen § 60 Abs. 5 AufenthG, Art. 4 GRCh, Art. 3 EMRK verstoßende Situation extremer materieller Not. Der den Asylantrag als unzulässig zurückweisende Bescheid der Beklagten ist insoweit rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). [...]

(2) Nach diesen Maßstäben, denen die saarländische Verwaltungsgerichtsbarkeit in ständiger Rechtsprechung folgt [...], droht dem Antragsteller bei einer Rückkehr nach Italien aller Voraussicht nach eine gegen Art. 4 GRCh oder Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung. Nach der Rechtsprechung des OVG des Saarlandes sind zwar gesunde arbeitsfähige anerkannt Schutzberechtigte in Italien derzeit nach ihrer Rückführung nicht dem "real risk" einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 GRC (juris: EUGrdRCh) oder Art. 3 EMRK (juris: MRK) ausgesetzt. [...]

Dies in den Blick nehmend würde der Kläger aufgrund seiner labilen physischen Situation, die bis zuletzt und auch aktuell Behandlungen erforderlich gemacht hat und den Kläger schmerzbedingt an einer aktiven Teilnahme am Leben hindert, allerdings mit überwiegender Wahrscheinlichkeit in die Gefahr der Obdachlosigkeit und in eine existenzielle Notlage geraten, die er gerade wegen seiner physischen Labilität nicht aus eigener Kraft wird abwenden können. Diese Bewertung rechtfertigt sich aufgrund der vorgelegten fachärztlichen Unterlagen sowie des persönlichen Eindrucks, den die Kammer sich vom Kläger im Rahmen der mündlichen Verhandlung hat machen können. Die Gesamtschau der vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen belegt die vorgetragene und zutage getretene fortwährende Beeinträchtigung seiner Gesundheit. Bei dieser Ausgangssituation ist nicht wahrscheinlich, dass er die dargelegten Herausforderungen, die sich auf sich allein gestellten international Schutzberechtigte in Italien stellen, bewältigen können wird. Eine hinreichende Stabilität, wie sie für ein Leben unter den in den oben angeführten Erkenntnisquellen dargelegten Bedingungen in Italien erforderlich wäre, kann im konkreten Fall nicht angenommen werden.

Dies führt bei dem Kläger als damit besonders schutzbedürftiger Person allerdings dazu, dass dieser - ohne besondere Zusicherung der zuständigen italienischen Stellen - mit überwiegender Wahrscheinlichkeit in die Gefahr der Obdachlosigkeit und in eine existenzielle Notlage geraten würde, die er nicht aus eigener Kraft abwenden könnte [...].

Eine danach notwendige konkret-individuelle Zusicherung der italienischen Behörden bezüglich des Klägers ist im Zeitpunkt der Entscheidung nicht ersichtlich. [...]