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OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 07.08.2023 - 19 A 4347/19 - asyl.net: M31782
https://www.asyl.net/rsdb/m31782
Leitsatz:

Die Identität ist im Einbürgerungsverfahren regelmäßig durch Vorlage eines Passes nachzuweisen:

"1. Der Einbürgerungsbewerber hat den Nachweis seiner Identität im Einbürgerungsverfahren [auch bei Flüchtlingsanerkennung] zuvörderst und in der Regel durch Vorlage eines Passes oder eines anderen amtlichen Identitätsdokuments seines Herkunfts­lands mit Lichtbild zu führen [...].

2. Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit und damit am Beweiswert sogar eines gültigen und echten Nationalpasses können bestehen, wenn der Einbürgerungsbewerber zugleich bereits einen anderen National­pass, ein sonstiges amtliches Identitätsdokument oder eine andere öffentliche Urkunde seines Herkunftslands mit abweichenden Personalien vorgelegt hat, ohne den darin liegenden Widerspruch plausibel und nachvollziehbar zu erklären.

3. Am Maßstab der Legaldefinition in § 8 Abs. 1 SGB II, § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI liegt in der amtsärztlichen Feststellung, der Einbürgerungsbewerber könne Tätigkeiten im Umfang von weniger als drei Stunden täglich verrichten, regelmäßig die Feststellung seiner dauerhaften vollen Erwerbsminderung."

(Amtliche Leitsätze; unter Bezug auf: BVerwG, Urteil vom 23.09.2020 - 1 C 36.19 - asyl.net: M29222)

Siehe auch:

  • Laura Hilb, Die Unwägbarkeiten der Identitätsklärung, Asylmagazin 9/2023, S. 281
Schlagwörter: Einbürgerung, Identitätsfeststellung, Identitätsklärung, Pass, Beweiswert, Erwerbsminderung, Erwerbsunfähigkeit, Erwerbsfähigkeit, Staatsangehörigkeitsrecht, deutsche Staatsangehörigkeit,
Normen: StAG § 10 Abs. 1 S. 1, StAG § 8, StAG § 37 Abs. 1 S. 2, AufenthG § 82, GFK Art. 34 S. 1, SGB II § 8 Abs. 1, SGB VI § 43 Abs. 2 Satz 2
Auszüge:

[...]

1. Nach dem in der höchstrichterlichen Rechtsprechung aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG entwickelten Stufenmodell hat der Einbürgerungsbewerber den Nachweis seiner Identität im Einbürgerungsverfahren zuvörderst und in der Regel durch Vorlage eines Passes, eines anerkannten Passersatzes oder eines anderen amtlichen Identitätsdokuments seines Herkunftslands mit Lichtbild zu führen (Stufe 1), bei objektiver Unmöglichkeit oder subjektiver Unzumutbarkeit auf der Stufe 1 auch durch andere auf der Grundlage einer Identitätsprüfung ausgestellte amtliche Urkunden (Stufe 2), bei objektiver Unmöglichkeit oder subjektiver Unzumutbarkeit auf den Stufen 1 und 2 auch durch sonstige nach § 26 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwVfG zugelassene Beweismittel (Stufe 3), bei objektiver Unmöglichkeit oder subjektiver Unzumutbarkeit auf den Stufen 1 bis 3 ausnahmsweise auch allein durch sein eigenes Vorbringen (Stufe 4). Die auf den verschiedenen Stufen zu berücksichtigenden Beweismittel müssen hierfür jeweils in sich stimmig sein und auch bei einer Gesamtbetrachtung jeweils im Einklang mit den Angaben des Einbürgerungsbewerbers zu seiner Person und seinem übrigen Vorbringen stehen [...].

Unter diesem Gesichtspunkt können ernsthafte und aufklärungsbedürftige Zweifel an der Identität des Einbürgerungsbewerbers bestehen, wenn er gefälschte, inhaltlich widersprüchliche oder beweisrechtlich wertlose Urkunden vorlegt. Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit und damit am Beweiswert sogar eines gültigen und echten Nationalpasses können bestehen, wenn der Einbürgerungsbewerber zugleich bereits einen anderen Nationalpass, ein sonstiges amtliches Identitätsdokument oder eine andere öffentliche Urkunde seines Herkunftslands mit abweichenden Personalien vorgelegt hat, ohne den darin liegenden Widerspruch plausibel und nachvollziehbar zu erklären [...].

Einem syrischen Einbürgerungsbewerber ist es objektiv möglich und grundsätzlich auch subjektiv zumutbar, seine Identität und seine Staatsangehörigkeit durch einen gültigen syrischen Reisepass (Stufe 1) nachzuweisen. Kommt nach seinen Angaben zu seiner Abstammung und Herkunft in Betracht, dass er neben der syrischen auch noch eine oder mehrere andere Staatsangehörigkeiten besitzt, kann zu deren Klärung darüber hinaus die Vorlage einer legalisierten Geburtsurkunde im Original und/oder eines legalisierten syrischen Zentralregisterauszugs im Original erforderlich sein (Stufe 2). Die Klärung von Identität und Staatsangehörigkeit setzt in diesem Fall voraus, dass die in den einzelnen Dokumenten angegebenen Personalien untereinander und mit den Angaben des Einbürgerungsbewerbers im Übrigen übereinstimmen [...].

Unter diesen Umständen hat die Beklagte den Kläger in Erfüllung ihrer Hinweis- und Anstoßpflicht aus § 24 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW im Ergebnis zu Recht erstmalig mit ihrem Anhörungsschreiben vom 27. Dezember 2016 und seitdem wiederholt auch im erstinstanzlichen Verfahren darauf hingewiesen, dass er die entstandenen Identitätszweifel durch Vorlage eines gültigen syrischen Reisepasses und syrischer Geburts- und Heiratsurkunden mit entsprechendem Legalisationsvermerk der derzeit vertretungsweise zuständigen Deutschen Botschaft Beirut ausräumen kann. Auch das Verwaltungsgericht hat den Kläger auf diese Möglichkeit hingewiesen. Der Kläger war und ist aus seiner Mitwirkungspflicht aus § 37 Abs. 1 Satz 2 StAG i. V. m. § 82 AufenthG heraus grundsätzlich verpflichtet, diesen Hinweisen Folge zu leisten. Das gilt auch im Hinblick darauf, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge unter dem 10. November 2005 bei ihm das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG in Bezug auf die Arabische Republik Syrien festgestellt hat und deshalb für ihn das Wohlwollensgebot nach Art. 34 Satz 1 der Genfer Flüchtlingskonvention (GK) gilt. Denn dieses Gebot rechtfertigt kein generelles Absehen von der Mitwirkungspflicht und den mit ihr verbundenen Zumutbarkeitsregeln, sondern je nach den Umständen des Einzelfalls allenfalls Erleichterungen bei der Beweisführung [...].

Diese Mitwirkungspflicht hat der Kläger weder erfüllt noch geltend gemacht, dass ihrer Erfüllung individuelle Unzumutbarkeitsgründe entgegenstehen. Stattdessen hat er sich lediglich pauschal darauf berufen, "als Flüchtling anerkannt" zu sein und "insofern nichts Weiteres veranlassen" zu können. Diese pauschale Rechtsauffassung ist aus den vorgenannten Gründen unzutreffend.

Mit der vorstehenden Begründung kann der Senat das angefochtene Urteil ohne Berufungszulassung bestätigen, obwohl das Verwaltungsgericht die Einbürgerungsvoraussetzung der geklärten Identität und Staatsangehörigkeit ausdrücklich offengelassen und seine Entscheidung ausschließlich auf das Fehlen der Einbürgerungsvoraussetzung der Unterhaltsfähigkeit nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG gestützt hat. [...]

2. Fehlen danach die Einbürgerungsvoraussetzungen der geklärten Identität und Staatsangehörigkeit, kann der Senat offenlassen, ob das Verwaltungsgericht sein Ergebnis zutreffend auf das Fehlen der  Einbürgerungsvoraussetzung des gesicherten Lebensunterhalts nach § 8 Abs. 1 Nr. 4, § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG gestützt hat. Ernstliche Zweifel können insbesondere an der Richtigkeit der Feststellung des Verwaltungsgerichts bestehen, der Kläger habe seinen Sozialleistungsbezug im Sinn des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Alt. 2 StAG "zum Teil … zu vertreten", aus der amtsärztlichen Feststellung seiner Erwerbsunfähigkeit "voraussichtlich auf Dauer" vom ... 2014 könnten keine ausreichenden Rückschlüsse auf den vorherigen Zeitraum gezogen werden, insbesondere, weil dort eine Tätigkeit von täglich weniger als drei Stunden nicht ausgeschlossen werde. Nach der hier einschlägigen Legaldefinition in § 8 Abs. 1 SGB II ist erwerbsfähig, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (ebenso zur gesetzlichen Rentenversicherung § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI).

Am Maßstab dieser Legaldefinition liegt in den sozialmedizinischen und psychiatrischen Feststellungen der Amtsärztin und des psychiatrischen Dienstes, der Kläger könne Tätigkeiten im Umfang von weniger als drei Stunden täglich verrichten, lediglich die formblattmäßige Kurzbegründung für ihre Feststellung seiner dauerhaften vollen Erwerbsminderung im Sinn des § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI, nicht hingegen die vom Verwaltungsgericht angedeutete Relativierung dieser Feststellung. Das ergibt sich auch aus der Klarstellung in der psychiatrischen Feststellung, es liege eine komplexe psychische Erkrankung vor, durch die eine regelmäßige, mindestens drei Stunden täglich umfassende Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes auf Dauer auszuschließen sei. Zudem hat die Amtsärztin ihre Feststellung der dauerhaften Erwerbsunfähigkeit maßgeblich auf die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) durch den psychiatrischen Dienst gestützt, bei der vom Krankheitsbild her und nach dem fachärztlichen Attest des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie ... vom ... 2012 [...] nahe liegt, dass sie in den Monaten nach dem auslösenden traumatisierenden Erlebnis entstanden ist, als welches der Kläger ... 2011 angeführt hat. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung kommt es für den Beginn der vollen Erwerbsminderung auf den Zeitpunkt ihres objektiven Vorliegens, nicht auf denjenigen ihrer ärztlichen und/oder behördlichen Feststellung an [...].

Legt man diesen Zeitpunkt zugrunde, hat der Kläger seinen Sozialleistungsbezug im Sinn des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Alt. 2 StAG seit dem 30. Dezember 2019 nicht mehr zu vertreten, weil er in den acht Jahren vor diesem Zeitpunkt mangels Erwerbsfähigkeit keine sozialrechtliche Obliegenheitspflicht mehr verletzt haben kann. Unabhängig davon war auch schon vor dem 30. Dezember 2019 das Fortbestehen eines Zurechnungszusammenhangs zweifelhaft [...].

Aber auch bei einem Abstellen auf einen späteren Zeitpunkt für den Beginn der Berechnung des Achtjahreszeitraums wäre jedenfalls jetzt, nach Ablauf weiterer dreieinhalb Jahre, ein Vertretenmüssen zu verneinen. [...]