VG Köln

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Zitieren als:
VG Köln, Beschluss vom 12.07.2023 - 12 L 662/23 - asyl.net: M31736
https://www.asyl.net/rsdb/m31736
Leitsatz:

Lebensgefährt*innen von Personen aus der Ukraine unterfallen vorübergehendem Schutz:

Zu Familienangehörigen von ukrainischen Staatsangehörigen zählen gemäß Art. 2 Abs. 1 Durchführungsbeschluss (EU) 2022/382 auch Lebensgefährt*innen, die glaubhaft machen, dass sie eine auf Dauer angelegte Gemeinschaft eingegangen sind, ohne verheiratet zu sein. Eine auf Dauer angelegte Gemeinschaft liegt vor, wenn zwei Personen gleich welchen Geschlechts eine Lebensgemeinschaft eingehen, die keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt, sich durch innere Bindungen auszeichnet, ein gegenseitiges Einstehen der Personen in Not- und Wechselfällen des Lebens begründen, also über die Beziehungen in einer reinen Haushalts- oder Wirtschaftsgemeinschaft hinausgeht.

(Leitsätze der Redaktion)

Siehe auch:

Schlagwörter: Ukraine, Lebensgefährte, Drittstaatsangehörige, Familienangehörige, vorübergehender Schutz, Massenzustromsrichtlinie,
Normen: AufenthG § 24 Abs. 1, Durchführungsbeschluss (EU) 2022/382 Art. 2 Abs. 1, Durchführungsbeschluss (EU) 2022/382 Art. 2 Abs. 1 Bst. c,
Auszüge:

[...]

Der so verstandene Antrag, gemäß § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung der Klage 12 K 1998/23 anzuordnen, ist zulässig.

Soweit er sich gegen die Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 24 Abs. 1 AufenthG (Ziff. 5 der Ordnungsverfügung) richtet, folgt dies aus § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO, da ein Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO vorliegt, wonach die aufschiebende Wirkung durch Bundesgesetz entfällt. Gemäß § 84 Abs. 1 Nr. 1. AufenthG hat die Klage gegen die Ablehnung eines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis keine aufschiebende Wirkung.

Der Antrag ist auch statthaft. Wendet sich ein Ausländer im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Ablehnung seines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, ist das Begehren dann nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zu beurteilen, wenn der Antrag auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zur Entstehung eines vorläufigen Bleibe- oder Aufenthaltsrechts nach § 81 Abs. 3 AufenthG oder einer fiktiven Aufenthaltserlaubnis nach § 81 Abs. 4 AufenthG geführt hat. [...]

Ein derartiges fiktives Aufenthaltsrecht ergibt sich für den Antragsteller aus § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG. Der Antrag des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis löste die Erlaubnisfiktion nach § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG aus, da sich der Antragsteller im Zeitpunkt der Antragstellung gemäß § 2 Abs. 1 der Verordnung zur vorübergehenden Befreiung vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels von anlässlich des Krieges in der Ukraine eingereisten Personen (Ukraine-Aufenthalts-Übergangsverordnung) rechtmäßig im Bundesgebiet aufhielt, ohne einen Aufenthaltstitel zu besitzen. [...]

Zutreffend hat die Antragsgegnerin in ihrer ausführlichen Antragserwiderung ausgeführt, dass nach Artikel 2 Absatz 1 des Durchführungsbeschlusses (EU) 2022/382 des Rates vom 4. März 2022 zur Feststellung des Bestehens eines Massenzustroms von Vertriebenen aus der Ukraine im Sinne des Artikels 5 der Richtlinie 2001/55/EG und zur Einführung eines vorübergehenden Schutzes (ABl. L 71 vom 4. März 2022, S. 1) gilt der vorübergehende Schutz u.a. für folgende Personen gilt:

a) ukrainische Staatsangehörige, die vor dem 24. Februar 2022 ihren Aufenthalt in der Ukraine hatten,

...

c) Familienangehörige der unter den Buchstaben a und b genannten Personen. [...]

Damit gelten nach den Ausführungen "zu 1.c)" der vorgenannten Anlage als Familienangehörige - soweit vorliegend von Belang - u.a. folgende Personen, sofern die Familie zum Zeitpunkt der den vorübergehenden Schutz auslösenden Umstände bereits in der Ukraine bestand:

"(1) der Ehegatte einer unter Buchstabe a oder b genannten Person oder ihr nicht verheirateter Partner, der mit dieser Person in einer dauerhaften Beziehung lebt." [...]

Nach Nummer 3.1.5.3 der Anwendungshinweise des BMI zur Umsetzung des Gesetzes zur aktuellen Anpassung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und anderer Gesetze an das Unionsrecht in der Version 1.0 vom 22. Januar 2021 handelt es sich dabei um eine Lebensgefährtin oder einen Lebensgefährten, mit der oder dem die Person eine glaubhaft dargelegte, auf Dauer angelegte Gemeinschaft eingegangen ist (Nummer 3.1.5.3.1.1.).

Ob eine Gemeinschaft von zwei Menschen unter die Definition der Lebensgefährtin beziehungsweise des Lebensgefährten fällt, ist anhand einer Einzelfallbetrachtung festzustellen. Diese Einzelfallbetrachtung ist in Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 der Freizügigkeitsrichtlinie zwingend vorgesehen und kann, auch in der Verwaltungspraxis, nicht durch eine rein schematische Handhabe ersetzt werden (Nummer 3.1.5.3.1.3.). [...]

Eine "auf Dauer angelegte Gemeinschaft" ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG vom 17. November 1992, 1 BvL 8/87, BVerfGE 87, 234, 264) eine zwischen zwei Personen gleich welchen Geschlechts bestehende Lebensgemeinschaft, die keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt, sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Personen in Not- und Wechselfällen des Lebens begründen, also über die Beziehungen zueinander in einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgeht (Nummer 3.1.5.3.2.3.). [...]

Ob in diesem Sinne der Antragsteller Lebensgefährte einer nach § 24 Abs. 1 AufenthG schutzberechtigten Ukrainerin ist, lässt sich im vorliegenden Eilverfahren nicht klären. Es bedarf insoweit der Aufklärung im Klageverfahren 12 K 1998/23, weshalb zum Schutze der Rechte des Antragstellers die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Ziff. 5 der Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 16.03.2023 anzuordnen ist, um einem drohenden endgültigen Rechtsverlust vorzubeugen.

Aus der im vorliegenden Eilverfahren mit Schriftsatz des zwischenzeitlich mandatierten Prozessbevollmächtigten des Antragstellers vom 05.06.2023 vorgelegten knapp dreiseitigen schriftlichen Stellungnahme der Frau ... vom ... 2023 ergeben sich nämlich vielfache im Einzelnen dargelegte Anhaltspunkte dafür, dass sie und der Antragsteller in der Ukraine Lebensgefährten waren. [...]