VG Greifswald

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Zitieren als:
VG Greifswald, Beschluss vom 11.07.2023 - 6 B 1011/23 HGW - asyl.net: M31735
https://www.asyl.net/rsdb/m31735
Leitsatz:

Keine Einstellung des Asylverfahrens ohne Belehrung in geläufiger Sprache:

Das Asylverfahren kann nicht wegen Nichtbetreibens des Verfahrens gemäß § 33 Abs. 1 S. 1 AsylG eingestellt werden, wenn die betroffene Person darüber nicht in einer ihr geläufigen Sprache aufgeklärt wurde. Versteht die Person kein Deutsch und wurde die entsprechende Belehrung nur auf Deutsch ausgehändigt, scheidet eine Einstellung des Verfahrens wegen unentschuldigten Nichterscheinens zur Anhörung gemäß § 33 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AsylG aus. Das gilt unabhängig davon, ob die betroffene Person anwaltlich vertreten ist oder nicht.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Nichtbetreiben des Verfahrens, Anhörung, Einstellung, Mitwirkungspflicht, Belehrung, Sprache, Übersetzung, Rechtsanwalt,
Normen: AsylG § 33 Abs. 1 S. 1, AsylG § 33 Abs. 2 S. 1 Nr. 1,
Auszüge:

[...]

Die angegriffene Verfügung des Bundesamts ist aller Voraussicht nach rechtswidrig und verletzt den Antragsteller in seinen Rechten. Die Voraussetzungen für den Erlass einer Abschiebungsandrohung nach § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG liegen nicht vor. Das Bundesamt hat zu Unrecht die Einstellung des Asylverfahrens des Antragstellers wegen Nichtbetreibens festgestellt.

Gemäß § 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG stellt das Bundesamt das Asylverfahren ein, wenn der Asylantrag nach§ 33 Abs. 1 AsylG als zurückgenommen gilt, weil der Ausländer das Verfahren nicht betreibt. Nach § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 AsylG wird vermutet, dass der Ausländer das Verfahren nicht betreibt, wenn er einer Aufforderung zur Anhörung gemäß § 25 AsylG nicht nachgekommen ist und nicht unverzüglich nachweist, dass das Versäumnis auf Umstände zurückzuführen war, auf die er keinen Einfluss hatte. [...]

Der mit dem Eintritt der gesetzlichen Fiktion in § 33 AsylG verbundene Nachteil ist im Hinblick auf das Prinzip eines fairen Verfahrens nur dann unbedenklich, wenn dem Betroffenen durch eine erläuternde Belehrung mit der gebotenen Deutlichkeit vor Augen geführt wird, welche Obliegenheiten ihn im Einzelnen treffen und welche Folgen bei der Nichtbeachtung entstehen können. Ein lediglich allgemein gehaltener Hinweis, der sich auf die Wiedergabe des Gesetzestextes beschränkt, ist dabei angesichts des Verständnishorizonts des Ausländers nicht ausreichend (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. April 2019 - 1 C 46.18 -, juris Rn. 30 unter Verweis auf BVerfG, Beschluss vom 10. März 1994 - 2 BvR 2371/93 -, juris Rn. 19ff.). Es bedarf vielmehr einer verständlichen Umschreibung des Inhalts der gesetzlichen Bestimmungen. [...]

Diesen Maßstäben wird die Belehrung in dem Schreiben des Bundesamtes vom 29. März 2023 an den Prozessbevollmächtigten des Antragstellers nicht gerecht. Zwar wird in diesem Schreiben ausdrücklich auf die Rechtsfolge des Nichterscheinens zum Termin der Anhörung hingewiesen. Allerdings ist diese in deutscher Sprache und nicht in einer dem Antragsteller geläufigen Sprache abgefasst. Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller der deutschen Sprache in einer Weise mächtig ist, der es ihm erlaubt, den Sinn des Schreibens und die rechtliche Tragweite eines Nichterscheinens zum Anhörungstermin zu erfassen, bestehen nicht. Insbesondere ergeben sich solche auch nicht aus den Verwaltungsvorgängen des Bundesamtes. Dort stand dem Antragsteller bei den Anhörungen stets ein Dolmetscher für die Sprache Thailändisch zur Verfügung.

Aus dem Umstand, dass der Antragsteller im Verwaltungsverfahren vor dem Bundesamt anwaltlich vertreten und die Ladung zur Anhörung nach § 25 AsylG an die Prozessbevollmächtigten des Antragstellers adressiert war, ergibt sich nichts Anderes. [...] Das Bundesamt muss den Ausländer in derselben Weise belehren, als wenn die Belehrung persönlich gegen Empfangsbestätigung erfolgt wäre. Dies kann dadurch geschehen, dass dem Bevollmächtigten das Hinweisschreiben für den von ihm vertretenen Ausländer in einer dem Ausländer geläufigen und verständlichen Sprache übersandt wird. [...]