VG Hamburg

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Zitieren als:
VG Hamburg, Beschluss vom 17.07.2023 - 8 AE 2931/23 - asyl.net: M31728
https://www.asyl.net/rsdb/m31728
Leitsatz:

Eilrechtsschutz gegen Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet:

1. Eine Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet lässt sich nicht damit rechtfertigen, dass die Darstellung oberflächlich oder detailarm ist.

2. Machen Schutzsuchende geltend, an Demonstrationen teilgenommen zu haben, die sich gegen die schlechte wirtschaftliche Situation im Herkunftsland richteten, ist daraus nicht zu folgern, dass die Ausreise nur aus wirtschaftlichen Gründen erfolgte.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Asylantrag, offensichtlich unbegründet, Irak, wirtschaftliche Gründe,
Normen: AsylG § 30 Abs. 1, AsylG § 30 Abs. 2, AsylG § 36 Abs. 4, VwGO § 80 Abs. 5
Auszüge:

[...]

Vorliegend dürfte die Ablehnung des Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu Unrecht als offensichtlich unbegründet erfolgt sein. Die Antragsgegnerin führt im angefochtenen Bescheid im Wesentlichen aus, die Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 AsylG lägen vor, weil die als oberflächlich und detailarm bewertete Darstellung nicht überzeuge. Das genügt den rechtlichen Anforderungen nicht. [...]

Eine Ablehnung aufgrund der zu § 30 Abs. 1 AsylG entwickelten Kriterien wird dabei unionsrechtlich in der Regel durch Art. 31 Abs. 8 Buchst. a) 2013/32/EU - Vorbringen nur von Umständen, die für die Anerkennung nicht von Belang sind oder Art. 31 Abs. 8 Buchst. e) - eindeutig unstimmige und widersprüchliche, eindeutig falsche oder offensichtlich unwahrscheinliche Angaben, die im Widerspruch zu hinreichend gesicherten Herkunftslandinformationen stehen - gedeckt sein (vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AsylG, Stand Oktober 2017, § 30 Rn. 13).

Nach diesen Maßstäben erscheint der Asylantrag des Antragstellers nicht als nach § 30 Abs. 1 AsylG offensichtlich unbegründet. Der Antragsteller hat nicht nur Umstände vorgebracht, die für die Anerkennung nicht von Belang sind. Sein Vortrag ist, wenn man ihn als zutreffend gestellt, im Grundsatz geeignet, einen Anspruch auf Gewährung internationalen Schutzes zu vermitteln. Er macht geltend, dass Unbekannte ihn wegen seiner regelmäßigen Teilnahme an Demonstrationen verprügelt und für den Fall, dass er nicht aufhöre, mit dem Tod bedroht hätten. Unterstellt man den Vortrag als wahr, dann liegt nahe, dass die Unbekannten zu einem Akteur nach § 3c AsylG gehören und aufgrund eines in §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3b AsylG genannten Verfolgungsgrundes - nämlich der politischen Überzeugung des Antragstellers - gehandelt haben.

Der Vortrag ist weder eindeutig unstimmig noch widersprüchliche noch eindeutig falsch. Er enthält auch nicht offensichtlich unwahrscheinliche Angaben, die im Widerspruch zu hinreichend gesicherten Herkunftslandinformationen stehen. Soweit die Antragstellerin den Vortrag als oberflächlich und detailarm bewertet, reicht das für die Anwendung des § 30 Abs. 1 AsylG nicht aus.

Der Asylantrag ist auch nicht auf Grundlage von § 30 Abs. 2 AsylG als offensichtlich unbegründet zu bewerten. Ohne dass das zweifelsfrei ausgesprochen wird, soll der Bescheid wohl auch auf den darin erwähnten § 30 Abs. 2 AsylG gestützt werden, wonach ein Asylantrag insbesondere offensichtlich unbegründet ist, wenn nach den Umständen des Einzelfalls offensichtlich ist, dass sich der Ausländer nur aus wirtschaftlichen Gründen oder um einer allgemeinen Notsituation zu entgehen im Bundesgebiet aufhält. Hierzu führt der Bescheid aus, der Antragsteller habe ein geringes Einkommen gehabt und nach seinen Angaben mehrfach wegen fehlender Jobs demonstriert, was darauf hindeute, dass er wegen einer wirtschaftlich schwierigen Situation ausgereist sei. Die qualifizierte Ablehnung § 30 Abs. 2 AsylG ist aber nur dann zulässig, wenn neben den dort genannten Motiven keine asylrechtlich relevanten vorgetragen oder sonst ersichtlich sind (vgl. Heusch in: BeckOK AuslR, Stand 1.4.2023, AsylG § 30 Rn. 28 m.w.N.). Der Antragsteller macht als Fluchtgrund aber nicht unmittelbar die schlechte wirtschaftliche Lage geltend, sondern eine Verfolgung wegen der Teilnahme an durch diese Lage ausgelösten Demonstrationen. [...]