Kein Zweitantrag bei Zweifeln hinsichtlich des Abschlusses des Asylverfahrens im Drittstaat:
Gibt die schutzsuchende Person an, dass ihres Wissens noch ein Rechtsmittel gegen einen ablehnenden Asylbescheid in einem anderen EU-Mitgliedstaat anhängig ist und kann nicht festgestellt werden, dass zum Zeitpunkt der Gerichtsentscheidung über den ablehnenden Asylbescheid abschließend negativ entschieden wurde, liegt kein Zweitantrag gemäß § 71a AsylG vor. Die entsprechende Sachaufklärung obliegt dem BAMF.
(Leitsätze der Redaktion; siehe zu Zweifeln an Vereinbarkeit von § 71a AsylG mit Europarecht: OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 06.04.2023 - 4 R 87/23 - asyl.net: M31491; VGH Bayern, Beschluss vom 26.01.2023 - 6 AS 22.31155 (Asylmagazin 4/2023, S. 115 f.) - asyl.net: M31306; anderer Ansicht hinsichtlich des maßgeblichen Zeitpunkts des erfolglosen Abschlusses des Asylverfahrens: OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 30.01.2023 - 1 LA 85/22 - asyl.net: M31379)
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Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 17.11.2021 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. [...]
Der vorangegangene negative Ausgang eines Asylverfahrens in einem Mitgliedstaat muss durch eine bestandskräftige Sachentscheidung positiv festgestellt werden. Das Bundesamt muss zu der gesicherten Erkenntnis gelangen, dass das Asylerstverfahren mit einer für den Asylbewerber negativen Sachentscheidung abgeschlossen wurde, um sich in der Folge auf die Prüfung von Wiederaufnahmegründen beschränken zu dürfen. Bloße Mutmaßungen genügen insoweit nicht. Bestehende Zweifel gehen zu Lasten des Bundesamts [...]. Die Sachaufklärung zu der Frage, ob und in welcher Weise ein Asylverfahren in einem Mitgliedstaat abgeschlossen worden ist, obliegt dem Bundesamt [...].
Der Kläger trug in seinen Anhörungen vor der Beklagten am 01.12.2020 und 19.11.2020 vor, dass sein Antrag von 2017 auf Gewährung internationalen Flüchtlingsschutzes in Italien abgelehnt worden sei. Sein Rechtsanwalt habe gegen den ablehnenden Bescheid Klage erhoben, die erstinstanzlich abgewiesen worden sei. Hiergegen habe er ein zweitinstanzliches gerichtliches Verfahren angestrengt, in dem eine Entscheidung des italienischen Gerichts noch ausstehe.
Versuche der Beklagten, von den italienischen Dienststellen Auskunft über den Stand des gerichtlichen Verfahrens des Klägers über sein Schutzgesuch in Italien zu erhalten, verliefen erfolglos. [...] Es verbleibt also dabei, dass eine bestandskräftige Sachentscheidung über den Asylantrag des Klägers in Italien im allein maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht festgestellt werden kann. Mithin bestand für die Durchführung eines Zweitantragsverfahrens kein Raum. [...]