VG Meiningen

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Zitieren als:
VG Meiningen, Beschluss vom 16.03.2023 - 8 E 1321/22 Me - asyl.net: M31716
https://www.asyl.net/rsdb/m31716
Leitsatz:

Erneute Abschiebungsandrohung bei Anerkannten-Folgeantrag nicht entbehrlich:

1. Grundsätzlich ist eine Abschiebungsandrohung verbraucht, wenn die betroffene Person der Ausreiseverpflichtung freiwillig nachkommt oder die Abschiebung vollzogen worden ist. Etwas anderes gilt gemäß § 71 Abs. 5, Abs. 6 AufenthG im Falle eines erfolglosen Folgeantrags. Das Folgeantragsrecht und damit auch die Regelungen des § 71 Abs. 5, Abs. 6 AsylG sind jedoch nicht anwendbar, wenn das BAMF einen Asylantrag zuvor gemäß § 29 Abs. 1 Ziffer 1 bis 4 AsylG als unzulässig abgelehnt hatte.

2. Reist eine Person nach Ablehnung ihres Asylantrags als unzulässig wegen der Zuerkennung internationalen Schutzes in einem EU-Staat gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG wieder ein und stellt einen Asylantrag, so handelt es sich folglich nicht um einen Folgeantrag und ist die Abschiebungsandrohung verbraucht. Zur Begründung einer erneuten Ausreisepflicht bedarf es einer erneuten Abschiebungsandrohung. Diese Frage wird in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich bewertet.

(Leitsätze der Redaktion; anderer Ansicht: VG Göttingen, Urteil vom 06.02.2023 - 3 A 81/22 - Entscheidungsdatenbank Niedersachsen)

Schlagwörter: Italien, Wiedereinreise, Asylfolgeantrag, Abschiebungsandrohung, Verbrauch, Ausreisepflicht, vollziehbar ausreisepflichtig, Unzulässigkeit, internationaler Schutz in EU-Staat,
Normen: AsylG § 71 Abs. 5, AsylG § 71 Abs. 6, AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2,
Auszüge:

[...]

Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass eine Abschiebungsandrohung grundsätzlich verbraucht ist, wenn der Ausreiseverpflichtung freiwillig nachgekommen ist oder die Abschiebung vollzogen worden ist. Jedenfalls erledigt sich die Abschiebungsandrohung aus einem Bescheid des Bundesamts grundsätzlich mit Erfüllung der Ausreisepflicht [...]. Dies entspricht auch der verwaltungsrechtlichen Rechtslage außerhalb des Asylrechts. [...] Von diesem Grundsatz ausgehend macht § 71 Abs. 5 AsylG eine Ausnahme für Asylfolgeanträge, die nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens führen, die nach § 71 Abs. 6 AsylG zudem auch dann greift, wenn der Ausländer zwischenzeitlich das Bundesgebiet verlassen hatte.

Ein Asylfolgeantrag liegt hier jedoch nach Auffassung der Einzelrichterin nicht vor. Ein solcher ist nach der Legaldefinition des § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG anzunehmen, wenn ein Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines Asylantrags erneut einen Asylantrag stellt. Dies ist für den Antragsteller hier bzw. für Antragsteller in der vorliegenden Konstellation aber nicht der Fall. Eine Ablehnung des Asylantrags im Sinn des § 71 AsylG liegt nur im Falle einer inhaltlichen Prüfung und Ablehnung der Asylgründe vor, nicht aber, wenn es zu einer solchen nicht gekommen ist, sondern der Asylantrag nach § 29 Abs. 1 Nr. 1a oder Nr. 2 AsylG als unzulässig angesehen worden ist. Eine inhaltliche Prüfung der Begehren nach §§ 3 und 4 AsylG durch das Bundesamt hat dann gerade nicht stattgefunden und war auch nicht veranlasst. § 71 AsylG greift damit nicht ein. [...]

Ein Folgeantrag oder Zweitantrag setzt ersichtlich voraus, dass ein Asylbegehren schon einmal bestandskräftig inhaltlich in der Sache gescheitert ist, weil keine Asylgründe erkannt wurden oder die Asylgründe aus formalen Gründen (wie Fristabläufen, Nichtbetreiben des Verfahrens) nicht berücksichtigt werden konnten. [...] § 71 AsylG greift daher nicht ein, wenn die Frage nach der Zuständigkeit eines anderen Staates nach § 29 Abs. l Nr. 1a oder Nr. 2 AsylG erneut aufgeworfen ist. Diese Rechtsfrage wird in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung und Kommentierung allerdings unterschiedlich bewertet [...].

Da kein Folgeantrag vorliegt, greift der Ausnahmetatbestand nach § 71 Abs. 5 und 6 AsylG nicht ein. Eine erneute Abschiebungsandrohung ist nicht entbehrlich. Eine analoge Anwendung der Vorschriften, die eine Ausnahmeregelung darstellen, kommt nach Auffassung der Einzelrichterin aus Gründen der dargelegten Gesetzessystematik nicht in Betracht. Für Fälle der erneuten Asylantragstellung nach Durchführung eines Dublin-Zuständigkeitsverfahrens (sog. echte Dublin-Folgeanträge) ist dies nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof (vgl. EuGH, U. v. 25.01.2018 - C-360/16 "Hasan" - juris) ausgeschlossen. Aus den gleichen Erwägungen heraus muss dies nach Auffassung des Gerichts auch für das vorliegende sog. "Anerkannten-Folgeverfahren" gelten. [...]