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VG Schleswig-Holstein

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Zitieren als:
VG Schleswig-Holstein, Urteil vom 21.04.2023 - 11 A 117/21 - asyl.net: M31699
https://www.asyl.net/rsdb/m31699
Leitsatz:

Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG für Elternteil subsidiär schutzberechtigter Kinder:

1. Dem Elternteil minderjähriger Kinder, denen der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt wurde, steht ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG zu, weil die Ausreise gemäß Art. 6 Abs. 1, Abs. 2 GG, Art. 8 EMRK wegen des Schutzstatus der Kinder rechtlich unmöglich ist. Diese sind nämlich auf die Sorge und den Umgang mit dem in familiärer Lebensgemeinschaft lebenden Elternteil angewiesen.

2. Dem steht nicht entgegen, dass der Elternteil die Erteilungsvoraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts gemäß § 5 Abs. 1 S. 1 AufenthG nicht erfüllt. Denn vom Erfüllen der Regelerteilungsvoraussetzung ist abzusehen, wenn besondere, atypische Umständen vorliegen, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung beseitigen oder wenn höherrangiges Rechts wie etwa Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK die Erteilung eines Aufenthaltstitels gebieten, z.B. weil - wie hier - die Herstellung der Familieneinheit im Herkunftsland nicht möglich ist.

(Leitsätze der Redaktion; Anmerkung: Der Asylantrag des Elternteils war gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG wegen der Zuerkennung internationalen Schutzes in Bulgarien als unzulässig abgelehnt worden. Gemäß BVerwG, Urteil vom 17.11.2020 - 1 C 8.19 - asyl.net: M29341 schließt die Zuerkennung internationalen Schutzes in einem anderen EU-Staat die Zuerkennung von Familienschutz gemäß § 26 AsylG jedoch nicht aus, sodass dem Elternteil grundsätzlich der subsidiäre Schutzstatus zuzuerkennen gewesen wäre.)

Schlagwörter: internationaler Schutz in EU-Staat, Kindeswohl, rechtliche Unmöglichkeit, Unmöglichkeit der Ausreise, Eltern-Kind-Verhältnis, Kinder, subsidiärer Schutz, Sicherung des Lebensunterhalts, familiäre Lebensgemeinschaft,
Normen: AufenthG § 25 Abs. 5, AufenthG § 5 Abs. 1 S. 1, GG Art. 6 Abs. 1, GG Art. 6 Abs. 2 S. 1, EMRK Art. 8, AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2, AsylG § 26 Abs. 5 S. 1
Auszüge:

[...]

23 2. Der Klägerin steht gegenüber der Beklagten indes ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG zur Seite (vgl. zur Anwendbarkeit des § 25 Abs. 5 AufenthG etwa VGH Mannheim, Beschl. v. 07.10.2022 – 11 S 2848/21 –, juris Rn. 34 ff.). Hiernach kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. [...] In dem vorliegend zu beurteilenden Fall besteht – dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig – aufgrund des Umstandes, dass den (minderjährigen) Kindern der Klägerin durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge der subsidiäre Schutzstatus zugesprochen worden ist sowie nachfolgend durch die Beklagte Aufenthaltserlaubnisse nach § 25 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 AufenthG erteilt worden sind und dem Umstand, dass die minderjährigen Kinder der Klägerin altersbedingt auf die Sorge und den Umgang mit derselben angewiesen sind, ein rechtliches Ausreisehindernis aus Art. 6 Abs. 1 und 2 GG bzw. Art. 8 Abs. 1 EMRK.

24 Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG scheidet entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten auch nicht deswegen aus, weil die Klägerin die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht erfüllt [...].

25 Legt man diese Maßstäbe zu Grunde, ist der Lebensunterhalt der Klägerin sowie ihrer familiären Bedarfsgemeinschaft (vgl. zum Abstellen auf die Bedarfsgemeinschaft OVG Magdeburg, Urt. v. 07.12.2016 – 2 L 18/15 –, juris Rn. 40 m.w.N.) nicht gesichert. [...] Von der Voraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ist indes – unabhängig von dem der Beklagten nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG eingeräumten Ermessen – in dem vorliegenden Einzelfall deswegen abzusehen, weil eine Ausnahme von dem Regelerteilungserfordernis gegeben ist. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist von einer solchen Ausnahme bei besonderen, atypischen Umständen auszugehen, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung beseitigen oder wenn höherrangiges Rechts wie etwa Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK die Erteilung eines Aufenthaltstitels gebieten, weil zum Beispiel die Herstellung der Familieneinheit im Herkunftsland nicht möglich ist [...]. So liegt der Fall hier. Die Fortführung der familiären Lebensgemeinschaft der Klägerin mit ihren minderjährigen Kindern und ihrem Ehemann ist im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung – nach allen erkennbaren Umständen – ausschließlich in der Bundesrepublik Deutschland möglich. [...]

27 Dies zugrunde gelegt gebieten der Schutz der Ehe und Familie im Sinne von Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK die Erteilung der von der Klägerin begehrten Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG unter einem Absehen von dem Regelerfordernis der Sicherung des Lebensunterhalts (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG). Die zwischen der Klägerin, ihren minderjährigen Kindern und ihrem Ehemann tatsächlich gelebte familiäre Lebensgemeinschaft kann ausschließlich im Bundesgebiet fortgeführt werden. Insbesondere ist der Klägerin eine gemeinsame Rückkehr mit ihren minderjährigen Kindern und ihrem Ehemann nach Syrien, dem gemeinsamen Herkunftsland, und eine dortige Fortführung der familiären Lebensgemeinschaft nicht möglich, da das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Kindern der Klägerin in Bezug auf Syrien den subsidiären Schutzstatus zugesprochen hat, derzeit also davon auszugehen ist, dass diesen im Falle einer Rückkehr nach Syrien ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG droht. [...]