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Zitieren als:
BVerwG, Urteil vom 17.11.2020 - 1 C 8.19 - asyl.net: M29341
https://www.asyl.net/rsdb/m29341
Leitsatz:

Familienschutz für Angehörige international Schutzberechtigter mit internationalen Schutz in anderem EU-Staat:

1. Die Gewährung internationalen Schutzes durch einen anderen EU-Mitgliedsstaat steht der Zuerkennung von Familienschutz nach § 26 AsylG nicht entgegen. Der Tatbestand des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG, wonach der Asylantrag von Personen, die in einem anderen EU-Staat internationalen Schutz erhalten haben, als unzulässig abzulehnen ist, ist auf § 26 AsylG nicht anwendbar.

2. Dies ergibt sich zum einen aus einer Auslegung beider Vorschriften. Es besteht zudem auch keine Kollisionsnorm, welche das Verhältnis der beiden Normen bestimmt: Die Anwendung des § 31 Abs. 4 AsylG, in welchem das Verhältnis von Familienschutz und Asylberechtigung nach Einreise aus einem sicheren Drittstaat geregelt ist, findet auf § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG keine Anwendung. Die Anwendung des § 26 AsylG steht zuletzt auch im Einklang mit Art. 3 QualifkationsRL, wonach Mitgliedsstaaten günstigere Normen zur Entscheidung darüber, wer als Flüchtling gilt und zur Bestimmung des Inhalts des internationalen Schutzes erlassen oder beibehalten können, solange sie im Einklang mit der Richtlinie stehen.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Familienschutz, internationaler Schutz in EU-Staat,
Normen: AsylG § 26, AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2, AsylG § 31 Abs. 4, RL 2011/95/EU Art. 3,
Auszüge:

[...]

17 b) Die Gewährung internationalen Schutzes durch einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union hindert indes nicht die Zuerkennung des von einem schutzberechtigten Familienangehörigen abgeleiteten internationalen Familienschutzes, weil § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG auf § 26 Abs. 5 Satz 1 und 2 i.V.m. Abs. 1 bis 3 AsylG keine Anwendung findet (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 26. Mai 2020 - 10 LA 104/20 - juris Rn. 16 ff.; OVG Münster, Urteil vom 9. Oktober 2019 - 11 A 2229/19.A - juris Rn. 31 ff.; VG Bremen, Urteil vom 18. September 2020 - 2 K 3087/17 - juris Rn. 24; VG Düsseldorf, Urteil vom 27. Mai 2020 - 22 K 16758/17.A. - juris Rn. 26 und 36, Beschluss vom 5. September 2016 - 22 L 2884/16.A - juris Rn. 19 ff. und Gerichtsbescheid vom 21. Mai 2019 - 22 K 16904/17.A - juris Rn. 34 f.; VG Lüneburg, Urteil vom 15. März 2017 - 8 A 201/16 - juris Rn. 21 ff.; a.A. VG Berlin, Urteil vom 3. Dezember 2018 - 23 K 323.18 A - juris Rn. 18 ff.; VG Hannover, Urteil vom 22. März 2018 - 13 A 12144/17 - juris Rn. 26). Dieses Normverständnis ist das Ergebnis einer Auslegung beider Vorschriften (aa). Eine ausdrückliche gesetzliche Kollisionsregelung steht ihm nicht entgegen (bb). Es steht zudem im Einklang mit Art. 3 RL 2011/95/EU (cc).

18 aa) Während Wortlaut (1) und Gesetzessystematik (2) keine eindeutigen Rückschlüsse auf das Verhältnis beider Normen zulassen, streiten die historisch-genetische (3) und die teleologische (4) Auslegung gegen eine Anwendbarkeit des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG auf § 26 Abs. 5 Satz 1 und 2 i.V.m. Abs. 1 bis 3 AsylG.

19 (1) Die grammatische Auslegung des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG wie auch des § 26 Abs. 5 Satz 1 und 2 i.V.m. Abs. 1 bis 3 AsylG lässt einen eindeutigen Schluss auf ein Rangverhältnis beider Normen nicht zu. [...]

21 (2) Auch die Gesetzessystematik vermittelt kein eindeutiges Bild. [...]

23 (3) Gegen die Anwendung des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG auf § 26 Abs. 5 Satz 1 und 2 i.V.m. Abs. 1 bis 3 AsylG streitet hingegen mit starkem Gewicht die historisch-genetische Auslegung des § 26 AsylG, die darauf weist, dass den Angehörigen der (Klein-)Familie des Schutzberechtigten die Herstellung der Familieneinheit auf der Grundlage eines einheitlichen Schutzstatus ermöglicht werden sollte, und nicht erkennen lässt, dass insoweit zwischen Angehörigen, die schutzlos sind, und solchen, denen bereits in einem anderen Staat internationaler Schutz zuerkannt wurde, differenziert werden sollte.

24 Das Institut des Familienasyls wurde in der Bundesrepublik Deutschland richterrechtlich begründet. Eine gesetzliche Vorschrift, die den asylrechtlichen Status des Stammberechtigten auf dessen Ehegatten und Kinder erstreckte, fand sich zunächst nicht (BVerwG, Urteil vom 29. April 1971 - 1 C 42.67 - BVerwGE 38, 87 <88>). Dass in der Praxis der Anerkennungsbehörden und Verwaltungsgerichte in gewissem Umfang auch Angehörigen des Flüchtlings, vor allem der Ehefrau und den abhängigen minderjährigen Kindern, der Status des ausländischen Flüchtlings zuerkannt wurde, gründete in dem Gedanken des Familienschutzes, der sich im nationalen und internationalen Recht durchzusetzen begann, und in der Erfahrung, dass vielfach diejenigen, die von einem Flüchtling abhängig sind, im Verfolgungsland ebenfalls Verfolgungen, zumindest aber schweren Beeinträchtigungen ausgesetzt sind, insbesondere dann, wenn in dem Land ein totalitäres System herrscht (BVerwG, Urteil vom 1. Juni 1965 - 1 C 5.62 - Buchholz 402.22 Art. 1 GK Nr. 14 S. 8). Politische Verfolgung einzelner Mitglieder einer Familie ist oftmals durch die übergreifenden mittelbaren Wirkungen der Verfolgungsmaßnahme und den häufig alle Familienmitglieder einschließenden Verfolgungsgrund gekennzeichnet. Die Verfolgungsmaßnahme wirkt kraft der gegenseitigen Abhängigkeit sehr oft in die persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen der Familienmitglieder hinein. Eine solche mittelbare Wirkung einer gegen einen anderen gerichteten Verfolgungsmaßnahme kann zur Verfolgungsmaßnahme auch gegen den Drittbetroffenen werden (BVerwG, Urteil vom 27. April 1982 - 9 C 239.80 - BVerwGE 65, 244 <249 f.>). [...]

25 Mit Art. 3 des Gesetzes zur Neuregelung des Ausländerrechts vom 9. Juli 1990 (BGBl. I S. 1354) schuf der Gesetzgeber in § 7a Abs. 3 AsylVfG a.F. erstmals eine gesetzliche Grundlage für das Familienasyl. [...]

26 Die Neufassung des § 26 AsylG durch Art. 1 des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 (BGBl. I S. 3474) diente der Umsetzung des Art. 23 Abs. 2 dieser Richtlinie in nationales Recht. [...]

27 Eine durch eine Anwendung des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG bewirkte Beschränkung des Kreises der durch § 26 Abs. 5 Satz 1 und 2 i.V.m. Abs. 1 bis 3 AsylG begünstigten Familienmitglieder auf solche, denen noch nicht in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union Schutz zuerkannt wurde, steht mit dieser gesetzgeberischen Konzeption nicht im Einklang. Die Gesetzesmaterialien enthalten keinen Anhaltspunkt dafür, dass die gewählte Art der Umsetzung der Vorgaben des Art. 23 Abs. 2 i.V.m. Art. 2 Buchst. j RL 2011/95/EU auf die hier in Rede stehende Fallgruppe anderweitig international Schutzberechtigter trotz auch insoweit bestehender Umsetzungspflicht keine Anwendung finden sollte und der Gesetzgeber diesen Personenkreis auf eine rein aufenthaltsrechtliche Umsetzung hätte verweisen wollen. Dafür spricht umso weniger, als die bestehenden Regelungen des Aufenthaltsgesetzes zum Familiennachzug nicht alle von den unionsrechtlichen Vorschriften zur Wahrung des im Aufnahmemitgliedstaat anwesenden Familienverbands umfassten Fallgestaltungen abdecken dürften.

28 (4) Die teleologische Auslegung des § 26 Abs. 5 Satz 1 und 2 i.V.m. Abs. 1 bis 3 AsylG unterstreicht das historisch-genetische Normverständnis (a). Sinn und Zweck des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gebieten keine abweichende Betrachtung (b).

29 (a) Der internationale Familienschutz nach § 26 Abs. 5 Satz 1 und 2 i.V.m. Abs. 1 bis 3 AsylG ist neben der Vereinfachung des Verfahrens und der Entlastung des Bundesamtes und der Verwaltungsgerichte von mitunter schwierigen und langwierigen Prüfungen der dem Familienangehörigen persönlich drohenden Gefahren maßgeblich der Aufrechterhaltung der Familieneinheit zu dienen bestimmt.

30 Dieser Zweck kommt in gleicher Weise bei Familienangehörigen zum Tragen, die bereits in einem anderen Mitgliedstaat internationalen Schutz erhalten haben und wegen der ihnen drohenden Gefahren nicht in das Herkunftsland abgeschoben und ob ihrer im Bundesgebiet bestehenden familiären Bindungen regelmäßig auch nicht in den anderen Mitgliedstaat rückgeführt werden dürfen. Dass der Gesetzgeber die statusrechtliche Gleichstellung und damit die effektive Wahrnehmung der aus dem internationalen Familienschutz erwachsenden Rechte solchen Familienangehörigen ungeachtet des Umstands vorzuenthalten gedachte, dass diese in der Regel rechtmäßig einen auf Dauer angelegten Aufenthalt im Bundesgebiet nehmen werden und daher das Ziel, eine Sekundärmigration von Personen, die internationalen Schutz bereits in einem anderen Mitgliedstaat erhalten haben, einzudämmen, nicht (mehr) erreicht werden kann, liegt mit Blick auf die historische Genese des § 26 AsylG jedenfalls nicht nahe. Dagegen spricht nachhaltig, dass der Gesetzgeber für diesen Personenkreis keine Notwendigkeit gesehen hat, die Umsetzung des Art. 23 Abs. 2 RL 2011/95/EU anderweitig zu regeln.

31 (b) Sinn und Zweck des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gebieten kein abweichendes Normverständnis.

32 Die Norm, die Art. 33 Abs. 1 und 2 Buchst. a RL 2013/32/EU in nationales Recht umsetzt, bezweckt die Vermeidung ineffektiver Doppelprüfungen und divergierender behördlicher wie gerichtlicher Entscheidungen. Sie gründet maßgeblich auf der zentralen Zwecksetzung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, irreguläre Sekundärmigration von Personen, die internationalen Schutz beantragt haben, zwischen den Mitgliedstaaten einzudämmen (vgl. nur Erwägungsgrund 13 RL 2011/95/EU; ferner EuGH, Urteil vom 17. März 2016 - C-695/15 [ECLI:EU:C:2016:188], Mirza - Rn. 52; BVerwG, Vorlagebeschluss vom 27. April 2016 - 1 C 22.15 - Buchholz 451.902 Europ. Ausländer- u. Asylrecht Nr. 81 Rn. 26). Weder Schutzsuchenden noch Schutzberechtigten soll ein Anreiz geboten werden, in einen anderen Mitgliedstaat weiterzuwandern, um in diesem erneut um die Zuerkennung internationalen Schutzes vor in dem Herkunftsland drohenden Gefahren nachzusuchen.

33 Haben Mitglieder einer Kernfamilie (Eltern und ihre minderjährigen Kinder) - aus welchen Gründen auch immer - in unterschiedlichen Mitgliedstaaten internationalen Schutz erhalten, steht der Hauptzweck des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG - die Verhinderung von Sekundärmigration - einem abgeleiteten Schutzstatus indes nicht entgegen. In diesem Fall kann ein gemeinsames Familienleben naturgemäß nur in einem Mitgliedstaat verwirklicht werden. Damit führt die Wiederherstellung der Familieneinheit in einem Mitgliedstaat, der einem Familienmitglied internationalen Schutz gewährt hat, nicht zu einer unionsrechtlich unerwünschten Sekundärmigration, die durch Rückführung in einen anderen Mitgliedstaat verhindert werden muss. Gegen die Annahme einer unionsrechtlich unerwünschten Sekundärmigration sprechen auch die bei der Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats vorrangig anzuwendenden familienbezogenen Zuständigkeitskriterien in Art. 8 bis 10 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013, die gerade zum Schutz des Wohles des Kindes und des Familienverbands beitragen sollen (EuGH, Urteil vom 2. April 2019 - C-582/17 und C-583/17 [ECLI:EU:C: 2019:280], - Rn. 83; vgl. ferner Erwägungsgründe 13, 14 und 16 sowie Art. 6 Abs. 3 Buchst. a, Art. 11, 16 und 17 Abs. 2 VO (EU) Nr. 604/2013). Würde in Fällen, in denen von diesen Möglichkeiten der Familienzusammenführung bereits während des Asylverfahrens - aus welchen Gründen auch immer - kein Gebrauch gemacht worden ist und dadurch Mitglieder einer Familie in unterschiedlichen Mitgliedstaaten internationalen Schutz erhalten haben, eine Familienzusammenführung im Bundesgebiet nur auf der Ebene des Aufenthaltstitelrechts ermöglicht, müsste das in einem anderen Mitgliedstaat schutzberechtigte Familienmitglied auf den ihm wegen ihm selbst drohender Gefahren gewährten Schutzstatus im Bundesgebiet verzichten. Die Gesetzesmaterialien lassen einen darauf gerichteten Willen des nationalen Gesetzgebers nicht erkennen. Das Unionsrecht, insbesondere die Art. 23 ff. RL 2011/95/EU enthalten auch keinen Hinweis darauf, dass die an eine Schutzgewähr anknüpfenden Rechte für Familienangehörige nur im Mitgliedstaat der zeitlich ersten Antragstellung oder Schutzzuerkennung bestünden.

34 Eine Anwendung des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG auf § 26 Abs. 5 Satz 1 und 2 i.V.m. Abs. 1 bis 3 AsylG hätte zudem unweigerlich Wertungswidersprüche zur Folge. So würden Familienangehörige, denen in einem  anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union wegen ihnen im Herkunftsland drohender Gefahren internationaler Schutz zuerkannt wurde, in Bezug auf die Gewährung internationalen Familienschutzes und die damit im Bundesgebiet verbundenen Vorteile schlechter gestellt als Familienangehörige, deren Asylantrag in einem anderen Mitgliedstaat keinen Erfolg hatte. Sie benachteiligt auch minderjährige Kinder, denen in einem anderen Mitgliedstaat internationaler Schutz zugesprochen wurde, gegenüber im Bundesgebiet nachgeborenen Kindern. Derartige Ungleichbehandlungen ließen sich im Lichte des Rechts auf Achtung des Familienlebens (Art. 8 EMRK, Art. 7 und 24 GRC) nicht damit rechtfertigen, dass ein in einem anderen Mitgliedstaat schutzberechtigter Ausländer in Deutschland keines Schutzes bedarf, weil ihm eine effektive Inanspruchnahme dieser Rechte ohne Aufgabe des wiederhergestellten Familienverbands regelmäßig nicht möglich ist.

35 bb) Das Asylgesetz enthält auch keine das Verhältnis des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG und des § 26 Abs. 5 Satz 1 und 2 i.V.m. Abs. 1 bis 3 AsylG ausdrücklich regelnde Kollisionsnorm. Ein Rückgriff auf § 31 Abs. 4 AsylG, dem zufolge für den Fall, dass der Asylantrag nach § 26a AsylG als unzulässig abgelehnt wird, § 26 Abs. 5 AsylG in den Fällen des § 26 Abs. 1 bis 4 AsylG unberührt bleibt, scheidet aus.

36 § 31 Abs. 4 AsylG schließt die Anwendung des § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG auf einen Anspruch auf Familienflüchtlingsschutz nach § 26 Abs. 5 i.V.m. Abs. 1 bis 4 AsylG aus. Die Norm steht in unmittelbarem sachlichem Zusammenhang mit § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG. Denn jedenfalls seit der Einfügung dieser Vorschrift kann ein Asylantrag im Hinblick auf einen sicheren Drittstaat nicht mehr "nur nach § 26a AsylG" abgelehnt werden, sondern nur noch im Wege einer Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 3 (i.V.m. § 26a) AsylG unter Beachtung der dort genannten Voraussetzungen (vgl. näher BVerwG, Urteil vom 21. April 2020 - 1 C 4.19 - juris Rn. 16).

37 Der Umstand, dass sich der Gesetzgeber im Zuge der grundlegenden Umgestaltung des § 29 Abs. 1 AsylG durch Art. 6 Nr. 7 des Integrationsgesetzes vom 31. Juli 2016 (BGBl. I S. 1939) auf die Streichung der nicht mehr erforderlichen Regelung des § 31 Abs. 4 Satz 1 AsylG in der bis zum 5. August 2016 gültigen Fassung und auf eine bloße "Anpassung" des § 31 Abs. 4 Satz 2 AsylG a.F. beschränkt und weder  seinerzeit noch in der zeitlichen Folge eine Ergänzung dieser nach seinem ausdrücklichen Willen auf § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG bezogenen Regelung (BR-Drs. 266/16 S. 53) um weitere Kollisionsnormen vorgenommen hat, weist darauf, dass sich der Regelungsinhalt des § 31 Abs. 4 AsylG nicht auf die übrigen Unzulässigkeitstatbestände erstreckt. Auch die auf Fälle des § 26a AsylG beschränkte, ursprüngliche Intention des Gesetzgebers, durch § 31 Abs. 4 AsylG "klarzustellen", dass Familienangehörigen, denen aus eigenem Recht wegen der Einreise aus einem sicheren Drittstaat kein Asylrecht zusteht, die Berufung auf abgeleitete Rechte aus § 26 AsylG nicht abgeschnitten ist (BT-Drs. 15/420 S. 110; vgl. in diesem Zusammenhang auch BVerwG, Urteil vom 6. Mai 1997 - 9 C 56.96 - BVerwGE 104, 347 <348 ff.>), lässt keine unmittelbaren Rückschlüsse auf vom Wortlaut nicht erfasste Fallkonstellationen zu.

38 Im Lichte dieses Normverständnisses ist im Ergebnis Raum weder für die Annahme eines Umkehrschlusses des Inhalts, dass § 26 Abs. 5 Satz 1 und 2 i.V.m. Abs. 1 bis 3 AsylG in den Fällen einer Unzulässigkeit nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG nicht unberührt bleiben soll, noch für eine analoge Anwendung des § 31 Abs. 4 AsylG.

39 cc) Die statusrechtliche Begünstigung des bereits in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union schutzberechtigten Familienangehörigen steht auch im Einklang mit Art. 3 RL 2011/95/EU.

40 Danach können die Mitgliedstaaten günstigere Normen zur Entscheidung darüber, wer als Flüchtling gilt und zur Bestimmung des Inhalts des internationalen Schutzes erlassen oder beibehalten, sofern sie mit dieser Richtlinie vereinbar sind. Eine günstigere Norm ist mit der Richtlinie 2011/95/EU vereinbar, wenn sie die allgemeine Systematik oder die Ziele der Richtlinie nicht gefährdet. Unvereinbar sind demgegenüber nationale Normen, die die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft an Drittstaatsangehörige oder Staatenlose vorsehen, die sich in Situationen befinden, die keinen Zusammenhang mit dem Zweck des internationalen Schutzes aufweisen (EuGH, Urteil vom 18. Dezember 2014 - C-542/13 [ECLI:EU:C:2014:2452], M’Bodj - Rn. 44). Unterfallen Familienangehörige eines anerkannten Flüchtlings keinem der in Art. 12 RL 2011/95/EU geregelten Ausschlussgründe und weist ihre Situation wegen der Notwendigkeit, den Familienverband zu wahren, einen Zusammenhang mit dem Zweck des internationalen Schutzes auf, so gestattet es Art. 3 RL 2011/95/EU einem Mitgliedstaat, diesen Schutz auf andere Angehörige dieser Familie zu erstrecken (EuGH, Urteil vom 4. Oktober 2018 - C-652/16 [ECLI:EU:C:2018:801], Ahmedbekova und Ahmedbekov - Rn. 74).

41 Der Situation eines in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union schutzberechtigten Familienangehörigen, der internationalen Familienschutz begehrt, ist wegen des schutzwürdigen Interesses, den Familienverband wiederherzustellen, ein Zusammenhang mit dem Zweck des internationalen Schutzes regelmäßig, so auch hier, nicht abzusprechen. [...]