VG Meiningen

Merkliste
Zitieren als:
VG Meiningen, Urteil vom 04.05.2023 - 8 K 446/22 Me - asyl.net: M31676
https://www.asyl.net/rsdb/m31676
Leitsatz:

Keine Ablehnung als offensichtlich unbegründet bei Feststellung eines Abschiebungsverbots:

1. Wird ein Asylantrag gemäß § 30 Abs. 3 AsylG als offensichtlich unbegründet abgelehnt, kann auch Klage nur gegen das Offensichtlichkeitsurteil erhoben werden, ohne gleichzeitig die Zuerkennung der Asylberechtigung oder internationalen Schutzes zu begehren.

2. Ein Asylantrag kann nicht als offensichtlich unbegründet abgelehnt werden, wenn im selben Bescheid das Bestehen eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG festgestellt wird. Denn der Zweck der Ablehnung von Asylanträgen als offensichtlich unbegründet ist, dass eine Abschiebung schon vor rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens durchgeführt werden kann. Kommt eine Abschiebung aber wegen des Bestehens eines Abschiebungsverbots nicht in Betracht, scheidet auch die Ablehnung als offensichtlich unbegründet aus. 

3. Die Ablehnung des Asylantrags wegen der Vorlage gefälschter Dokumente gemäß § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylG scheidet auch aus, wenn die betroffene Person vorträgt, nicht gewusst zu haben, dass die vorgelegten Dokumente gefälscht sind und dieses Vorbringen unter Berücksichtigung der persönlichen Umstände glaubhaft ist.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: offensichtlich unbegründet, Ablehnungsbescheid, Identitätstäuschung, Urkundenfälschung, minderjährig,
Normen: AsylG § 30 Abs. 1, AsylG § 30 Abs. 3 Nr. 1,
Auszüge:

[...]

Die isolierte Anfechtung des Offensichtlichkeitsmerkmals in den Ziffern 1. bis 3. des streitgegenständlichen Bescheids ist statthaft [...].

Es fehlt auch nicht an einem Rechtsschutzbedürfnis für die Klage, weil nur die Aufhebung der Ablehnung des Asylantrages als offensichtlich unbegründet begehrt wird und nicht zugleich auch die Zuerkennung der Asylberechtigung, des Flüchtlingsschutzes und des subsidiären Schutzes. Denn die Ablehnung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, der Asylanerkennung sowie des subsidiären Schutzes erfolgte im angegriffenen Bescheid vorliegend nach § 30 Abs. 3 AsylG. Damit gehen für den Kläger weitergehende, negative ausländerrechtliche Rechtsfolgen einher. Nach § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG darf, sofern der Asylantrag  nach § 30 Abs. 3 Nummer 1 bis 6 AsylG abgelehnt wurde, vor der Ausreise kein Aufenthaltstitel erteilt werden (vgl. hierzu auch Heusch, in: Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, 36. Ed. 01.01.2023, AsylG § 30, Rn. 61; VG Sigmaringen, U. v. 06.12.2022 - A 7 K 1179/19 -, juris, Rn. 23). [...]

1. Zunächst erscheint eine Ablehnung als offensichtlich unbegründet nicht kompatibel, wenn im selben Bescheid zugleich ein Abschiebungsverbot festgestellt wird und der Kläger damit einen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 3 AufenthG hat. [...]

In offensichtlich aussichtslosen Fällen soll nämlich der Aufenthalt der Asylbewerber in Deutschland möglichst verkürzt werden und eine Abschiebung auch schon vor rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens erfolgen (BT-Drs. 12/2062, 32 f.). [...]

Diese mit einer Entscheidung als offensichtlich unbegründet einhergehenden Folgen sind im Fall des Klägers, zu dessen Gunsten im selben Bescheid ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG festgestellt wurde, gerade nicht relevant. Allerdings sieht § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG gerade vor, dass auch dann, wenn der Asylantrag nach § 30 Abs. 3 Nr. 1 bis 6 AufenthG als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dies der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 3 AufenthG nicht entgegensteht. Bei § 25 Abs. 3 AufenthG handelt es sich gerade um die Aufenthaltserlaubnis, die einem Ausländer erteilt wird, wenn ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot vorliegt.

2. Jedenfalls ist vorliegend das Offensichtlichkeitsurteil aufzuheben, da die strengen Voraussetzungen des § 30 Abs. 3 AsylG nicht vorliegen. Der Bescheid wird auf § 30 Abs. Nr. 1, 2 und 5 AsylG gestützt. Keiner dieser Voraussetzungen ist erfüllt. Anhaltspunkte dafür, dass der Asylantrag aus anderen Gründen als offensichtlich unbegründet abzulehnen ist, liegen offensichtlich nicht vor.

a) Der Asylantrag war vorliegend nicht nach § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylG als offensichtlich unbegründet abzulehnen. Dies ist nach dieser Vorschrift nur dann der Fall, wenn das Vorbringen des Ausländers in wesentlichen Punkten nicht substantiiert oder in sich widersprüchlich ist, offenkundig den Tatsachen nicht entspricht oder auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel gestützt wird.

Der Kläger hat zwar durch seine Schwester als Vormund eine offensichtlich gefälschte Tazkira, die diese nach ihren Angaben von ihrem älteren Bruder aus Afghanistan erhalten habe, vorlegen lassen. Dies muss er sich auch zurechnen lassen. Allerdings hat der Kläger auch angegeben, sein Geburtsdatum nicht zu wissen und dass er keine Kenntnis von der Fälschung gehabt habe. Hierbei ist auch der persönliche Horizont des Asylbewerbers, insbesondere sein Intellekt und sein Bildungsstand sowie seine aktuelle Situation zu berücksichtigen (vgl. BeckOK, AuslR/Heusch, 36. Ed. 01.01.2023, AsylG § 30, Rn. 38), so dass dieser Vortrag des Klägers durchaus glaubhaft ist. Insofern fehlt es bereits daran, dass man ihm oder seinem Vormund vorwerfen könnte, bewusst getäuscht zu haben. Weiterhin stützt sich das Vorbringen des Klägers auch nicht insofern auf die Frage seines Geburtstages, als dies asylrechtlich relevant wäre. Er hat nicht über sein Lebensalter getäuscht, um seine Erfolgsaussichten im Asylverfahren zu erhöhen. [...]