OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 28.12.2022 - 11 LA 280/21 - asyl.net: M31670
https://www.asyl.net/rsdb/m31670
Leitsatz:

Regelung des § 71a AsylG zum Zweitantrag offenkundig mit Unionsrecht vereinbar:

"Die Frage, ob die Anwendung des § 71a AsylG mit Art. 33 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32 vereinbar ist, wenn ein früherer Antrag desselben Antragstellers in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union gestellt wurde, ist offenkundig zu bejahen und bedarf daher keiner weiteren grundsätzlichen Klärung in einem Berufungsverfahren."

(Amtliche Leitsätze; anderer Ansicht: OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 06.04.2023 - 4 R 87/23 - asyl.net: M31491; VGH Bayern, Beschluss vom 26.01.2023 - 6 AS 22.31155 (Asylmagazin 4/2023, S. 115 f.) - asyl.net: M31306)

Schlagwörter: Zweitantrag, Unzulässigkeit, Berufungszulassungsantrag, Asylverfahrensrichtlinie, Unionsrecht,
Normen: AsylG § 71a Abs. 1, RL 2013/32/EU Art. 33 Abs. 2,
Auszüge:

[...]

Die Klägerin hält folgende Fragen für grundsätzlich klärungsbedürftig:

"1. ob die Anwendung des § 71a AsylG mit Art. 33 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32 vereinbar ist und

2. ob die Subsumtion der EU-Mitgliedstaaten unter das Tatbestandsmerkmal des § 71a AsylG "sicherer Drittstaat (§ 26 a AsylG)" mit dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot und/oder Europarecht vereinbar ist."

Die Klägerin hat die grundsätzliche Klärungsbedürftigkeit dieser Fragen nicht in einer den dargelegten Anforderungen entsprechenden Art und Weise dargelegt. [...]

aa) Das Verwaltungsgericht hat im Zusammenhang mit der ersten von der Klägerin formulierten Frage Folgendes ausgeführt: Die Beklagte habe den Asylantrag der Klägerin zu Recht gemäß §§ 71a Abs. 1, 29 Abs. 1 Nr. 5 Alt. 2 AsylG als unzulässig abgelehnt. Die Vorschrift des § 71a AsylG stehe aus Sicht des Einzelrichters offensichtlich mit EU-Recht, insbesondere mit Art. 33 Abs. 2 lit. d und Art. 2 lit. q der Richtlinie 2013/32/EU (Asylverfahrensrichtlinie), im Einklang, sodass es eines Vorabentscheidungsverfahrens gemäß Art. 267 AEUV nicht bedürfe. Die Asylverfahrensrichtlinie erfasse mit ihrem Art. 33 Abs. 2 lit. d, der es den Mitgliedstaaten unter den dort geregelten Voraussetzungen erlaube, Folgeanträge nach einer ersten Prüfung als unzulässig zu betrachten, nach Wortlaut, Systematik und Regelungszweck offenkundig nicht nur Folgeanträge, die in demselben Mitgliedstaat gestellt werden wie die jeweiligen Erstanträge, sondern gelte mitgliedstaatsübergreifend. [...]

Mit diesen umfangreichen Ausführungen des Verwaltungsgerichts hat sich die Klägerin - anders als es für den Erfolg eines auf § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG gestützten Zulassungsantrags erforderlich wäre (vgl. SächsOVG, Beschl. v. 27.7.2020 - 5 A 638/19.A - juris Rn. 23) - in ihrem Zulassungsantrag in keiner Weise auseinandergesetzt. Ihr diesbezügliches Zulassungsvorbringen (s. S. 2, letzter Absatz sowie S. 3 ihres Zulassungsantrags vom 30.8.2021) beschränkt sich vielmehr ganz überwiegend auf eine wortgleiche Wiedergabe einer von ihrer Prozessbevollmächtigten in einem Kommentar zu § 71a AsylG veröffentlichten Rechtsansicht (B., in: Huber/Mantel, Aufenthaltsgesetz/Asylgesetz, 3. Aufl. 2021, § 71a AsylG Rn. 2). [...]

bb) Unabhängig von einer fehlenden Auseinandersetzung mit den umfangreichen Gründen der angefochtenen Entscheidung steht der Zulassung der Berufung nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG auch entgegen, dass die von der Klägerin unter 1. aufgeworfene Frage in der Rechtsprechung des Senats bereits dahingehend geklärt ist, dass § 71a AsylG in der hier vorliegenden Fallkonstellation mit Unionsrecht zu vereinbaren ist (Senatsbeschl. v. 14.4.2020 - 11 LA 44/19 - V.n.b., S. 5 f. des Beschlusses). Diese Ansicht entspricht auch der ganz überwiegenden Auffassung anderer Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichte (vgl. z.B. OVG Bremen, Urt. v. 3.11.2020 - 1 LB 28/20 - juris Rn. 45 ff.; SächsOVG, Beschl. v. 27.7.2020 - 5 A 638/19.A - juris Rn. 12 ff., 15 ff.; OVG BB, Beschl. v. 22.10.2018 - OVG 12 N 70.17 - juris Rn. 7; VG Düsseldorf, Beschl. v. 28.6.2022 - 13 L 1373/22.A - juris Rn. 7 ff.; VG B-Stadt, Urt. v. 3.2.2022 - 38 K 595/21 A - juris Rn. 25 und Beschl. v. 22.9.2021 - 38 L 554/21 A - juris Rn. 24; VG Köln, Urt. v. 11.11.2021 - 15 K 5315/20.A - juris Rn. 18 ff.; VG Freiburg (Breisgau), Urt. v. 7.10.2021 - A 4 K 937/21 - juris Rn. 24; VG Gelsenkirchen, Urt. v. 1.12.2021 - 10a K 5051/18.A - juris Rn. 23; VG Osnabrück, Urt. v. 27.2.2018 - 5 A 79/17 - juris Rn. 38 f.; VG Minden, Beschl. v. 31.7.2017 - 10 L 109/17.A - juris Rn. 17 ff.; VG Karlsruhe, Urt. v. 13.3.2019 - A 1 K 3235/16 - juris Rn. 26; VG Hamburg, Beschl. v. 14.7.2016 - 1 AE 2790/16 - juris Rn. 11) sowie der überwiegenden Auffassung in der Literatur (Dickten, in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Stand: 1.10.2022, § 71a AsylG Rn. 1 b; Bruns, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 71a AsylG Rn. 2; Schmidt-Sommerfeld, in: Münchener Kommentar zum StGB, 4. Aufl. 2022, § 71asylG Rn. 1; Funke-Kaiser, in: Funke-Kaiser/Vormeier, GK AsylG, Stand: Dezember 2022, § 71a Rn. 15; Hailbronner, in: Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: August 2021, § 71a AsylG Rn. 6). Demgegenüber handelt es sich bei der von der Prozessbevollmächtigten der Klägerin in dem genannten Kommentar veröffentlichten und in der Begründung ihres Zulassungsantrags wiedergegebenen Ansicht um eine Mindermeinung, die - soweit ersichtlich - außer von der Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Ergebnis nur noch von zwei weiteren Autoren geteilt wird (Marx, AsylG Kommentar, 10. Aufl. 2019, § 71a Rn. 3 ff.; Camerer, in: Decker/ Bader/Kothe, Migrations- und Integrationsrecht, 2. Aufl. 2021, § 71a Rn. 1.1.) und der der Senat - wie ausgeführt - nicht folgt. Abgesehen davon erscheint es für den Senat auch fraglich, ob diejenigen, die bisher Zweifel an der Unionsrechtskonformität des § 71a AsylG geäußert haben, daran angesichts der jüngsten diesbezüglichen Ausführungen des Generalanwalts bei dem Europäischen Gerichtshofs (dazu sogleich unter cc)) auch zukünftig weiter festhalten. [...]