VG Trier

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Zitieren als:
VG Trier, Urteil vom 13.06.2023 - 7 K 1153/23.TR - asyl.net: M31659
https://www.asyl.net/rsdb/m31659
Leitsatz:

Regelung des § 71a Abs. 1 AsylG zum Zweitantrag ist mit Asylverfahrensrichtlinie vereinbar:

Es bestehen keine ernsthaften Zweifel daran, dass die Regelung zum Zweitantrag gemäß § 71a AsylG, wonach ein Asylantrag als unzulässig abgelehnt werden kann, wenn ein Asylantrag in einem anderen Mitgliedstaat abgelehnt wurde, mit der Asylverfahrensrichtlinie vereinbar ist. Die Rechtsauffassung der Europäischen Kommission, wonach ein erneuter Asylantrag nur dann als unzulässiger Folgeantrag gemäß Art. 33 Abs. 2 Bst. d) Asylverfahrensrichtlinie (RL 2013/32/EU) abgelehnt werden kann, wenn der vorherige Asylantrag in demselben Mitgliedstaat abgelehnt wurde, findet in der Richtlinie keine Stütze.

(Leitsätze der Redaktion; anderer Ansicht: OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 06.04.2023 - 4 R 87/23 - asyl.net: M31491; VGH Bayern, Beschluss vom 26.01.2023 - 6 AS 22.31155 (Asylmagazin 4/2023, S. 115 f.) - asyl.net: M31306; unter Bezug auf: OVG Niedersachsen, Beschluss vom 28.12.2022 - 11 LA 280/21 - asyl.net: M31670)

Schlagwörter: Zweitantrag, Unzulässigkeit, Asylverfahrensrichtlinie, Asylfolgeantrag,
Normen: AsylG § 71a Abs. 1, RL 2013/32/EU Art. 33 Abs. 2 Bst. d,
Auszüge:

[...]

Rechtsgrundlage für die Unzulässigkeitsentscheidung ist § 29 Abs. 1 Nr. 5 Var. 2 AsylG i.V.m. § 71 a Abs. 1 AsylG. Danach ist ein Asylantrag unzulässig, wenn im Falle eines Zweitantrags nach § 71 a AsylG ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.

Die Beklagte ist zutreffend vom Vorliegen eines Zweitantrags i.S.v. § 71a Abs. 1 AsylG ausgegangen. Nach der in dieser Vorschrift enthaltenen Legaldefinition liegt ein Zweitantrag vor, wenn der Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat im Bundesgebiet einen Asylantrag stellt. So liegt der Fall hier. [...]

Das Unionsrecht steht der Anwendung des § 71a AsylG nicht entgegen. Art. 33 Abs. 2 d) der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 - Verfahrensrichtlinie - erlaubt es, einen Folgeantrag als unzulässig abzuweisen, wenn keine neuen Umstände oder Erkenntnisse zu der Frage, ob der Antragsteller als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist, zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind. Zwar hat die Europäische Kommission in einem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof die Rechtsauffassung vertreten, dass ein erneuter Asylantrag nur dann einen Folgeantrag im Sinne des Art. 33 Abs. 2 d) der Verfahrensrichtlinie darstelle, wenn er in demselben Mitgliedstaat gestellt wird wie der Erstantrag (EuGH, Urteil vom 20. Mai 2021 - C-8/20 -, Rn. 29, juris). Der EuGH hat diese Auffassung für seine Entscheidung als nicht erheblich angesehen und daher weder bestätigt noch verneint (EuGH, Urteil vom 20. Mai 2021 a.a.O., Rn. 30 sowie anschließend Urteil vom 22. September 2022 - C-497/21 -, Rn. 36, juris). Nach Auffassung des erkennenden Einzelrichters findet die Rechtsauffassung der Kommission in den Regelungen der Verfahrensrichtlinie keine Stütze und vermag deshalb keine ernsthaften Zweifel an der Unionsrechtskonformität des§ 71 a AsylG zu begründen (so im Ergebnis auch zuletzt: OVG Nds., Beschluss vom 28. Dezember 2022 -11 LA 280/21 -, Rn. 13, juris mit zahlreichen weiteren Nachweisen; ausdrücklich als "acte claire" bezeichnend: OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13. Oktober 2020 - OVG 6 N 89/20-, Rn. 24, juris m.w.N.; offengelassen: BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2016 a.a.O., Rn. 26; BayVGH, Beschluss vom 26. Januar 2023-6 AS 22.31155-, juris; OVG NRW, Beschluss vom 31. März 2022 - 1 B 375/22.A -, juris). Denn nach der Legaldefinition in Art. 2 q) der Verfahrensrichtlinie bezeichnet der Ausdruck „Folgeantrag" einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz, der nach Erlass einer bestandskräftigen Entscheidung über einen früheren Antrag gestellt wird. Eine Beschränkung auf Folgeanträge im selben Mitgliedstaat enthält die Regelung nicht. An anderer Stelle ordnet die Verfahrensrichtlinie hingegen ausdrücklich an, dass sich einzelne Regelungen nur auf solche Folgeanträge beziehen, die in demselben Mitgliedstaat gestellt werden (so etwa in Art. 40 Abs. 1 und Art. 41 Abs. 1 der Verfahrensrichtlinie). Hieraus ergibt sich im Umkehrschluss, dass der Begriff des Folgeantrags im Übrigen - und damit auch in Art. 33 Abs. 2 d) der Verfahrensrichtlinie - keiner entsprechenden Einschränkung unterliegt (vgl. zum Ganzen: OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. Oktober 2018 - OVG 12 N 70.17 -, Rn. 7, juris). Schließlich entspricht es auch den Grundgedanken des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems sowie dem hierfür grundlegenden Grundsatz gegenseitigen Vertrauens (vgl. hierzu ausführlich: EuGH, Urteil vom 19. März 2019 - C-163/17, Jawo -, Rn. 80 ff., juris), wenn abgeschlossene Asylverfahren anderer Mitgliedstaaten den nationalen Asylverfahren gleichgestellt werden und deshalb im Hinblick auf nachfolgende Asylanträge dieselben Zulässigkeitsbeschränkungen auslösen können.

Ein weiteres Asylverfahren ist nicht durchzuführen, weil die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Asylverfahrens nach § 51 Abs. 1 bis 3 Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG - nicht gegeben sind. [...]