SG Berlin

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Zitieren als:
SG Berlin, Urteil vom 25.04.2023 - S 184 AY 164/20 - asyl.net: M31573
https://www.asyl.net/rsdb/m31573
Leitsatz:

Keine Rückforderung der Unterbringungskosten gegenüber erwerbstätiger Person gemäß § 19 Abs. 5 SGB XII:

1. Eine Rückforderung von Unterbringungskosten gemäß § 19 Abs. 5 SGB XII setzt voraus, dass zuvor entsprechende erweiterte Hilfen gewährt worden sind.

2. Die Gewährung erweiterter Hilfen gemäß § 19 Abs. 5 SGB XII setzt die Zustimmung der betroffenen Person voraus. Eine ausdrückliche Zustimmung ist nicht ersichtlich. Auch aus der Entgegennahme eines Kostenübernahmescheins, zumal wenn aus diesem die Höhe der Kosten nicht hervorgeht, kann nicht auf die konkludente Zustimmung geschlossen werden.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Gemeinschaftsunterkunft, Kosten, Rückforderung, Erwerbstätigkeit,
Normen: SGB XII § 19 Abs. 5,
Auszüge:

[...]

Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig und begründet. Die angegriffenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten.

Gemäß § 19 Abs. 5 SGB XII haben die in den Absätzen 1 bis 3 genannten Personen dem Träger der Sozialhilfe die Aufwendungen, in dem Umfang, in dem ihnen die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen im Sinne der Abs. 1 und 2 der Vorschrift möglich oder zuzumuten ist, zu ersetzen.

Die sogenannte erweiterte Hilfe nach § 19 Abs. 5 SGB XII ist nur in begründeten Fällen zulässig, denn sie führt dazu, dass der Nachranggrundsatz der Sozialhilfe zunächst nicht eingehalten wird und Leistungen gewährt werden, obwohl eigentlich kein Anspruch besteht. Außerdem bedeutet sie für den Hilfeempfänger nicht lediglich eine Vergünstigung, da er zwar Leistungen erhält, im Gegenzug aber einem Aufwendungsersatzanspruch ausgesetzt ist. [...] Ein begründeter Fall liegt insbesondere dann vor, wenn einerseits sofortige Hilfe geboten ist, andererseits ohne eine volle Kostenübernahme des Sozialhilfeträgers die sofortige Leistungsgewährung gefährdet wäre. [...]

Nach Maßgabe der aufgeführten Kriterien sind die Voraussetzungen für die Gewährung von erweiterter Sozialhilfe nicht erfüllt. Mit den angefochtenen Bescheiden vom 21. April 2020 hat der Beklagte keine erweitere Sozialhilfe gewährt, sondern er hat erbrachte Leistungen zum Teil zurückgefordert, ohne dass die Voraussetzungen für die Rückforderungen nach den §§ 45, 48 SGB X erfüllt sind. Genauso wenig sind jedoch die Voraussetzungen für die Rückforderung nach § 19 Abs. 5 SGB XII erfüllt. Ein Aufwendungsersatz von nach § 19 Abs. 5 SGB XII gewährten Leistungen setzt zwingend voraus, dass entsprechende Leistungen zuvor gewährt worden sind. Dafür lagen jedoch weder die Voraussetzungen vor, noch sind entsprechende Bescheide erteilt worden. Der Beklagte hat vielmehr entsprechend seiner Verpflichtung nach dem ASOG dem Kläger am 17. Dezember 2019 einen Kostenübernahmeschein für eine Gemeinschaftsunterkunft ausgehändigt. Selbst wenn man darin einen Leistungsbescheid sehen wollte, kann man aus der Entgegennahme des Scheines schon nicht das konkludente Einverständnis mit der Gewährung von erweiterter Hilfe entnehmen. Dieses ist vielmehr ausdrücklich einzuholen. Dem Kläger hätte zuvor mitgeteilt werden müssen, dass seine Einkommensverhältnisse geklärt werden müssen und dass ihm Kosten der Unterkunft und Heizung bewilligt werden, die nach Klärung der Einkommensverhältnisse möglicherweise zurückgefordert werden. All dies ist nicht erfolgt. Aus den Kostenübernahmescheinen geht zudem auch nicht hervor, in welcher Höhe überhaupt Leistungen erbracht werden. Schon das spricht gegen eine konkludente Zustimmung zur Entgegennahme erweiterter Sozialhilfe, denn die Zustimmung setzt das Wissen über die Höhe der erbrachten und möglicherweise zurückzuerstattenden Leistungen voraus. Zudem ist auch nicht nachvollziehbar, wie sich die Höhe der Kosten, die für die Unterbringung in der Gemeinschaftsunterkunft in Rechnung gestellt werden, berechnet. Insoweit sind die angefochtenen Bescheide auch unbestimmt.

Letztlich sind die Voraussetzungen für die erweiterte Hilfe auch im Übrigen nicht erfüllt, denn zum Zeitpunkt der Erteilung der Bescheide vom 21. April 2020 war dem Beklagen die Höhe des Einkommens des Klägers bekannt. Mit den Bescheiden vom 21. April 2020 kann der Beklagte somit keine erweiterte Sozialhilfe geleistet haben, weil die Voraussetzungen für diese Leistungsgewährung nicht vorlagen. Mit dem Kostenübernahmeschein vom 17. Dezember 2019 ist – wie obenstehend ausgeführt – jedoch auch keine Hilfe nach § 19 Abs. 5 SGB XII gewährt worden. Die Voraussetzungen für den Aufwendungsersatz nach ebendieser Vorschrift waren somit in keinem Fall erfüllt.

Der Klage war daher in vollem Umfang stattzugeben. [...]