VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Beschluss vom 17.03.2023 - 27 L 990/22 - asyl.net: M31531
https://www.asyl.net/rsdb/m31531
Leitsatz:

Nicht jede Wahrnehmung eines Umgangsrechts entfaltet aufenthaltsrechtliche Schutzwirkung:

1. Fehlt es an einer Eltern-Kind-Beziehung, die in ausreichendem Maß erkennen lässt, dass ein Elternteil Verantwortung für die Betreuung und Erziehung des Kindes übernimmt, so ist diese Beziehung nicht vom Schutz des Familienlebens gemäß Art. 6 GG/Art. 8 EMRK umfasst und steht einer Abschiebung nicht entgegen.

2. Nach der maßgeblichen Sicht des Kindes besteht hier keine ausreichend enge Beziehung, sodass das Kleinkind ein Ende der Umgangskontakte mit seinem leiblichen Vater nicht als Verlust wahrnehmen kann.

(Leitsätze der Redaktion; unter Bezug auf: BVerfG, Beschluss vom 05.06.2013 - 2 BvR 586/13 (= ASYLMAGAZIN 11/2013, S. 382) - asyl.net: M21126)

Schlagwörter: deutsches Kind, Kindeswohl, Umgangsrecht, Abschiebungshindernis, Vater-Kind-Beziehung, Vaterschaft, Kleinkind, Eltern-Kind-Beziehung, Elternteil, Umgangskontakt, Sorgerecht, häusliche Gewalt, Eltern-Kind-Verhältnis,
Normen: GG Art. 6 Abs. 1, EMRK Art. 8 Abs. 1, AufenthG § 60a Abs. 2. S. 1,
Auszüge:

[...]

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem sinngemäßen Inhalt, dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu untersagen, den Antragsteller abzuschieben, hat keinen Erfolg. [...]

Eine rechtliche Unmöglichkeit seiner Abschiebung folgt insbesondere nicht aus Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK und Art. 7 GR-Charta im Hinblick auf seine vorgetragene Funktion als Vater des am … 2019 geborenen Kindes F..

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verpflichtet Art. 6 Abs. 1 GG die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, das heißt entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. [...]

Bei einer Vater-Kind-Beziehung kommt hinzu, dass der spezifische Erziehungsbeitrag des Vaters nicht durch die Betreuung des Kindes durch die Mutter entbehrlich wird, der Vater damit - allein oder gemeinsam mit der sorgeberechtigten Mutter - wesentliche elterliche Betreuungsleistungen erbringen kann, die gegebenenfalls als Beistandsgemeinschaft aufenthaltsrechtliche Schutzwirkungen aus Art. 6 Abs. 1 GG entfalten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 31. August 1999 - 2 BvR 1523/99 -, juris Rn. 7 m. w. N.).

Bei aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen, die den Umgang mit einem Kind berühren, ist maßgeblich auf die Sicht des Kindes abzustellen und im Einzelfall zu untersuchen, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist. Dabei kann auch der persönliche Kontakt mit dem Kind in Ausübung eines Umgangsrechts unabhängig vom Sorgerecht Ausdruck und Folge des natürlichen Elternrechts und der damit verbundenen Elternverantwortung sein. Der Annahme einer familiären Lebensgemeinschaft steht auch nicht entgegen, dass ein Elternteil nur ausschnittsweise am Leben teilnimmt und keine alltäglichen Erziehungsentscheidungen trifft. [...]

Nach diesen Maßgaben entspricht das vom Antragsteller ausgeübte Umgangsrecht auch unter Berücksichtigung des Alters des Kindes nicht einem hinreichenden Maß an wahrgenommener Elternverantwortung. Auch unter Berücksichtigung der Ausführungen des Jugendamtes und des Antragsvorbringens ist keine Vater-Kind-Beziehung ersichtlich, welche nach außen erkennbar macht, dass in ausreichendem Maß Verantwortung für die Betreuung und Erziehung des Kindes übernommen wird. Die Übernahme einer nennenswerten Verantwortung durch den Antragsteller für sein Kind ist weder durch den Umgang noch anderweitig ersichtlich. Es fehlt an einer relevanten elterlichen Betreuungsleistung, welche als Beistandsgemeinschaft aufenthaltsrechtliche Schutzwirkungen entfalten könnte.

Es begegnet schon durchgreifenden Zweifeln, dass eine solche Beistandsgemeinschaft seit der Geburt von F. im Sommer 2019 jemals bestanden hat. Das Kreisjugendamt Viersen hat unter dem 19. Juli 2022 insoweit ausgeführt: F. sei ein sehr aufgewecktes, fröhliches Kind, zeige aber deutliche Verhaltensauffälligkeiten. F. sei bis Juli 2020 wiederholt Auseinandersetzungen und häuslicher Gewalt zwischen seinen Eltern ausgeliefert gewesen.[...] Zum Schutz von F. sei festgelegt worden, dass der Antragsteller sich nicht mehr in der gemeinsamen Wohnung aufhalten durfte. Dies sei gerichtlich untermauert worden durch Verfahren vor dem Amtsgericht W. - Familiengericht [...]. In den Teilbereichen Aufenthaltsbestimmungsrecht, Gesundheitsfürsorge, Recht zur Beantragung von Hilfen nach dem SGB VIII und zur Regelung von Kindergartenangelegenheiten sei das Sorgerecht auf die Kindesmutter übertragen worden. Nach Auszug des Antragstellers sei dann der Kontakt zwischen dem Antragsteller und dem einjährigen F. abgebrochen. [...]

In den folgenden anderthalb Jahren - im Alter des Kindes von einem bis zweieinhalb Jahren - gab es dann - soweit ersichtlich - keine Kontakte zwischen dem Antragsteller und F.

Begleitete Umgangskontakte unter Teilnahme der gerichtlich bestellten Umgangspflegerin, Frau ..., fanden dann auf familiengerichtlichen Antrag des Antragstellers aus November 2021 erst wieder vom 11. März 2022 bis Juli 2022 wöchentlich - mit einer zwischenzeitlichen Unterbrechung von vier bis fünf Wochen statt, wie die Kindesmutter und der Antragsteller vor dem Familiengericht W. im Verfahren 00 F 000/21 zu Protokoll gegeben haben.

Während der Unterbrechung der Umgangskontakte, nahm der Antragsteller - nach Angaben der Kindesmutter im Termin zur mündlichen Verhandlung im Verfahren 27 K 3265/22 betreffend die Versagung der Aufenthaltserlaubnis - keinen Kontakt zu F. oder der Kindesmutter auf, obwohl diese ihm zu diesem Zweck ihre Telefonnummer gegeben habe. Einen Kontakt habe es an F. Geburtstag am … 2022 gegeben. [...]

Etwas anderes ergibt sich auch nicht angesichts des aktuellen Umgangs zwischen dem Antragsteller und F.. In der Zeit von September 2022 bis März 2023 - innerhalb der letzten sieben Monate - fanden nach Angaben des Jugendamtes vom ... 2023 elf von der ... GbR durchgeführte einstündige begleitete Umgangskontakte statt. Zu zwei Umgangsterminen sei der Antragsteller ohne rechtzeitige Entschuldigung überhaupt nicht erschienen und habe die Termine auch im Übrigen mehrfach lediglich mit erheblicher Verspätung wahrgenommen. Sowohl F. als auch der Antragsteller freuten sich auf die Umgangskontakte und die Beziehung zwischen dem Antragsteller und F. habe sich verbessert. Nach Angaben der ... GbR habe zwischenzeitlich beobachtet werden können, dass F. aus eigener Initiative Nähe zum Antragsteller suche. [...]

Für das Gericht ist nicht ersichtlich, dass dieser aktuelle - zudem nur begleitete - Kontakt, bei dem von einem wöchentlichen oder regelmäßigen Rhythmus kaum die Rede sein kann, dem auch sonst Üblichen entspricht und deshalb die Annahme einer familiären Gemeinschaft rechtfertigt. Dauer und Ort der Begegnung des Antragstellers mit seinem Kind sind von außen vorgegeben. Den qualitativ und quantitativ gering wiegenden Kontakten fehlt es an dem erforderlichen Gewicht. Sie finden außerhalb der häuslichen Umgebung des Kindes unter Aufsicht statt. Es ist nicht ersichtlich, dass der Antragsteller über diese kurzzeitigen Begegnungen mit seinem Kind hinaus für dieses Verantwortung übernimmt. Insbesondere kümmert der Antragsteller sich auch nicht in finanzieller Hinsicht um F., indem er Unterhalt zahlt. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass der Antragsteller, der keinem Beschäftigungsverbot unterliegt, sich auch nur um einen Lohnerwerb bemüht hätte, der ihn in die Lage versetzen würde, in dieser Hinsicht Verantwortung für das Wohl seines Sohnes zu übernehmen.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Antragsvorbringen. Der Antragsteller hat schon nicht dargelegt, dass zwischen ihm und seinem Sohn eine derart enge Verbindung besteht, die die Annahme einer nach Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK schützenswerte Lebens- und Erziehungsgemeinschaft rechtfertigt. Aus seinen Darlegungen ergibt sich nicht, dass der Antragsteller sich geistig und emotional mit den Bedürfnissen seines Sohnes auseinandersetzt und an dessen Leben und Aufwachsen Anteil nimmt. Sein Vorbringen beschränkt sich allein auf den formalen Aspekt des eingeräumten Umgangsrechts und die Wiedergabe von Berichten der seinerzeitigen Umgangspflegerin, ohne dass er sich selbst einmal zum Inhalt und zur Ausprägung sowie der Bedeutung seiner Beziehung zu seinem Sohn eingelassen hat. Insbesondere hat er auch nicht zu den Umgangskontakten Stellung genommen oder deren Umstände und Ablauf aus seiner Sicht geschildert (vgl. zu diesem Aspekt auch: OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 30. Januar 2023 – 4 MB 50/22 –, juris, Rn. 10).

Da die vom Antragsteller gelebte Vater-Kind-Beziehung nach alldem nicht in den Schutzbereich des Art. 6 GG bzw. Art. 8 EMRK fällt, muss nicht mehr entschieden werden, ob dem Kind eine Trennung zumutbar ist. In diesem Fall lässt sich bereits keine ausreichend enge Beziehung feststellen, so dass das Kleinkind ein Ende der Umgangskontakte mit seinem leiblichen Vater schon nicht als Verlust wahrnehmen kann (vgl. OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 30. Januar 2023 – 4 MB 50/22 –, juris, Rn. 17). [...]

Unabhängig davon sind belastbare Anhaltspunkte dafür, dass eine Trennung des Antragstellers von seinem Kind das Kindeswohl beeinträchtigen könnte weder substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich. So haben sowohl die seinerzeitige Umgangspflegerin, Frau … unter dem ... 2022 als auch die … GbR in ihrer Stellungnahme vom ... 2022 zu dieser Frage ausgeführt, dass auch in Anbetracht der kurzen Zeit und dem vermehrten Ausfall der Umgangskontakte nicht beurteilt werden könne, ob die Beziehung zwischen dem Kind und dem Antragsteller sich positiv auf die kindliche Entwicklung auswirken werde. Dies sei, so die … GbR, stark abhängig von der Kontinuität und der Zuverlässigkeit sowie der Bereitschaft des Antragstellers, Anleitung anzunehmen. [...]