VG Minden

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Zitieren als:
VG Minden, Beschluss vom 27.01.2023 - 7 L 58/23 - asyl.net: M31453
https://www.asyl.net/rsdb/m31453
Leitsatz:

Keine Duldung nach Aufhebung des Ausbildungsvertrags ohne Suche einer neuen Ausbildungsstelle:

1. Eine Ausbildungsduldung erlischt gemäß § 60a Abs. 4 AufenthG mit der Aufhebung des ihr zugrundeliegenden Ausbildungsvertrags. Wird danach ein Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 104c AufenthG ("Chancen-Aufenthaltsrecht") gestellt, fehlt es an der Voraussetzung, dass die Person geduldet ist.

2. Nach Beendigung eines Ausbildungsverhältnisses kann eine Ausbildungsduldung nur dann einmalig um sechs Monate verlängert werden, wenn eine neue Ausbildungsstelle gesucht wird.

(Leitsätze der Redaktion; unter Bezug auf: OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 26.10.2022 - 2 M 69/22 - asyl.net: M31294)

Schlagwörter: Ausbildungsduldung, Chancen-Aufenthaltsrecht, Duldungsbescheinigung, Verlängerung,
Normen: AufenthG § 60a Abs. 1, AufenthG § 60a Abs. 4, AufenthG § 60a Abs. 6, Aufenthg § 104c Abs. 1
Auszüge:

[...]

Gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. [...]

Darüber hinaus kann gemäß § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG eine Duldung im Ermessenswege erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen eine vorübergehende weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet erfordern (§ 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG). Eine Duldung im Sinne von § 60a Absatz 2 Satz 3 ist nach § 60c Abs. 1 Satz 1 AufenthG u.a. dann zu erteilen, wenn der Ausländer in Deutschland im Besitz einer Duldung nach § 60a ist und eine in § 60c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 genannte Berufsausbildung aufnimmt. [...]

Gemessen an diesen Maßstäben ist die Abschiebung des Antragstellers nicht auszusetzen.

Der Antragsteller beruft sich allein darauf, dass ihm ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c AufenthG zustehe.

Die bloße Anhängigkeit eines Verfahrens auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis führt nicht per se auf ein im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes zu sicherndes vorläufiges Bleiberecht für die Dauer des Aufenthaltserlaubnisverfahrens. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des OVG NRW (vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 5. Dezember 2011 - 18 B 910/11 -, und vom 12. Februar 2008 - 18 B 230/08 -; VG Minden, Beschluss vom 7. Februar 2012 - 7 L 71/12), dass die Erteilung einer Duldung für die Dauer eines Aufenthaltserlaubnisverfahrens aus gesetzessystematischen Gründen grundsätzlich ausscheidet, wenn ein vorläufiges Bleiberecht nach § 81 AufenthG - wie im vorliegenden Fall - nicht eingetreten ist. Sofern von dem genannten Grundsatz eine Ausnahme für die Fälle zu machen ist, in denen eine auf einen Aufenthaltstitel führende ausländerrechtliche Regelung ihrem Sinn und Zweck nach die Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet erfordert, setzt die Gewährung eines verfahrensbedingten Bleiberechts im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zumindest voraus, dass dem Ausländer ein derartiger Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels überhaupt zusteht. Voraussetzung ist, dass die Tatbestandsvoraussetzungen der entsprechenden Regelung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erfüllt sind [...].

Dies ist hier nicht der Fall. [...]

Diese Erteilungsvoraussetzungen liegen nicht vor. Der Antragsteller war weder zum Zeitpunkt der Antragstellung auf Erteilung der Erlaubnis nach dem Chancen-Aufenthaltsrecht noch später wie erforderlich geduldet. Im stand bzw. steht auch kein Anspruch auf Erteilung einer Duldung zu.

Nach dem Wortlaut von § 104c Abs. 1 AufenthG sowie dem Sinn und Zweck der Norm muss der Antragsteller (jedenfalls) zum Zeitpunkt der Antragsstellung geduldet sein (vgl. so auch: Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Inneren und für Heimat zur Einführung eines Chancen-Aufenthaltsrechts vom 23. Dezember 2022, Bl. 3).

Maßgeblicher Zeitpunkt i.S.d. § 104c Abs. 1 AufenthG ist die Antragstellung am 6. Januar 2023. [...]

Die dem Antragsteller am 10. März 2022 erteilte Ausbildungsduldung i.S.d. § 60c Abs. 1 AufenthG ist mit der Aufhebung des Ausbildungsvertrags mit Wirkung zum ... 2022 kraft Gesetzes erloschen, vgl. § 60c Abs. 4 AufenthG. Die Voraussetzungen des § 60c Abs. 6 Satz 1 AufenthG lagen danach und liegen auch gegenwärtig nicht vor. [...]

Allerdings wurde das Ausbildungsverhältnis zwischen dem Antragsteller und der Firma … GmbH vorzeitig mit Wirkung zum ... 2022 - im Sinne des § 60 Abs. 6 Satz 1 AufenthG beendet und wird einem Ausländer infolge einer derartigen Beendigung des Ausbildungsverhältnisses gemäß § 60 Abs. 6 Satz 1 AufenthG grundsätzlich einmalig eine Duldung für sechs Monate zum Zweck der Suche nach einem weiteren Ausbildungsplatz zur Aufnahme einer Berufsausbildung nach Absatz 1 erteilt, wobei der Grund der vorzeitigen Beendigung oder des Abbruchs der Ausbildung unerheblich ist [...].

Dass der Antragsteller eine weitere Ausbildung oder auch nur die Suche einer neuen Ausbildungsstätte zur Weiterführung der Ausbildung beabsichtigt, hat er weder glaubhaft gemacht, noch ist dies aus den Umständen ersichtlich.

Weder gegenüber der Antragsgegnerin noch im gerichtlichen Eilverfahren hat der Antragsteller bekundet, seine Ausbildung in einem weiteren Betrieb fortsetzen zu wollen bzw. sich einen solchen Betrieb suchen zu wollen. [...]

Dass sich der Antragsteller um eine andere Ausbildungsstätte bemüht, ist auch im Verfahren nicht glaubhaft gemacht worden. [...]

Selbst im Schriftsatz vom 27. Januar 2023 weist der Antragsteller zwar auf die Regelung des § 60c Abs. 6 Satz 1 AufenthG und auf die generelle Möglichkeit der Eingehung eines neuen Ausbildungsverhältnisses hin, sagt aber mit keinem Wort etwas zur erstrebten Aufnahme einer Ausbildung durch den Antragsteller. [...]

Nach alledem ist eine Duldung nach § 60c Abs. 6 Satz 1 AufenthG abzulehnen. [...]