Keine Verfahrensduldung aufgrund mangelnder Erfolgsaussichten eines Antrags gemäß § 25b Abs. 1 AufenthG:
1. Grundsätzlich sieht das Gesetz eine Duldung bis zu einer Entscheidung über einen Antrag auf Aufenthaltserlaubnis (Verfahrensduldung) nicht vor, da § 81 Abs. 3, Abs. 4 AufenthG für diese Konstellation Regelungen zur Fiktionswirkung von Anträgen auf Aufenthaltserlaubnis trifft und der Aufenthalt in diesen Fällen erlaubt ist. Es widerspräche der Gesetzessystematik, wenn Betroffene auch für die Dauer eines jeden anderen Aufenthaltsverfahrens die Aussetzung der Abschiebung verlangen könnten.
2. Zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes, Art. 19 Abs. 4 GG, kann die Erteilung einer Duldung für die Dauer des Verfahrens zur Prüfung eines Antrags auf Aufenthaltserlaubnis jedoch geboten sein, wenn eine Aussetzung der Abschiebung notwendig ist, um die für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erforderlichen und tatsächlich gegebenen Voraussetzungen für die Dauer des Verfahrens aufrechtzuerhalten und sicherzustellen, dass die Regelung einer möglicherweise begünstigten Person zugutekommen kann. Das gilt auch für Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25b Abs. 1 AufenthG wegen nachhaltiger Integration. Je besser insoweit die Erfolgsaussichten sind, desto eher sind die Voraussetzungen einer Verfahrensduldung - gemäß 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG (effektiver Rechtsschutz als rechtliches Abschiebungshindernis) oder § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG (Ermessensduldung) - gegeben.
3. Vorliegend scheitert ein Anspruch auf Erlass einer Verfahrensduldung an den fehlenden Erfolgsaussichten des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b Abs. 1 AufenthG, da der Lebensunterhalt nicht überwiegend gesichert ist, § 25b Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AufenthG.
4. Dass Voraufenthaltszeiten teilweise auf eine Identitätstäuschung zurückzuführen sind, ist gemäß § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AufenthG unerheblich.
5. Der Umstand, dass in der Vergangenheit über die Identität getäuscht worden ist, kann jedoch hinsichtlich der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG, wonach kein Ausweisungsinteresse bestehen darf, zu berücksichtigen sein. Ebenso kann es bedeuten, dass bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 25b Abs. 1 AufenthG ausnahmsweise ein Ermessen der Behörde besteht. Ein solches steht der Behörde nur in atypischen Fällen zu ("soll erteilt werden").
(Leitsätze der Redaktion; unter Bezug auf: BVerwG, Urteil vom 18.12.2019 - 1 C 34.18 - Asylmagazin 4/2020, S. 131 ff. - asyl.net: M28100)
[...]
15 Die Antragsteller begehren mit ihrem Antrag, der Antragsgegnerin durch Erlass einer einstweiligen Anordnung aufzugeben, ihre Abschiebung bis zu einer abschließenden Entscheidung über ihren Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG auszusetzen, eine sog. Verfahrensduldung. Die Erteilung einer Duldung für die Dauer eines Aufenthaltsgenehmigungsverfahrens scheidet aus gesetzessystematischen Gründen grundsätzlich aus, wenn ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels - wie hier - ein Bleiberecht in Form einer Fiktion nach § 81 Abs. 3 oder 4 AufenthG nicht ausgelöst hat und demzufolge ein nach Antragsablehnung gestellter Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO unzulässig ist. Dem in diesen Regelungen zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Anliegen und auch der Gesetzessystematik widerspräche es, wenn ein Ausländer für die Dauer eines jeden (anderen) Aufenthaltserlaubniserteilungsverfahrens die Aussetzung der Abschiebung beanspruchen könnte. Eine Ausnahme kann aber zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG geboten sein, wenn eine Aussetzung der Abschiebung notwendig ist, um die für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erforderlichen und tatsächlich gegebenen tatbestandlichen Voraussetzungen für die Dauer des Verfahrens aufrechtzuerhalten und so sicherzustellen, dass eine aufenthaltsrechtliche Regelung einem möglicherweise Begünstigten zugutekommen kann (NdsOVG, Beschluss vom 22. August 2017 - 13 ME 213/17 - juris Rn. 3; HambOVG, Beschluss vom 28. April 2021 - 6 Bs 26/21 - juris Rn. 9; Beschluss des Senats vom 10. Juni 2021 - 2 M 65/21 - juris Rn. 11). Dies gilt auch für einen Anspruch nach § 25b Abs. 1 AufenthG, der Ausländern regelmäßig zusteht, die sich geduldet im Bundesgebiet aufhalten und sich nachhaltig in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland integriert haben (SchlHOVG, Beschluss vom 14. Oktober 2021 - 4 MB 49/21 - juris Rn. 4). Je besser insoweit die Erfolgsaussichten sind, desto eher werden die Voraussetzungen für eine Verfahrensduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG (effektiver Rechtsschutz als rechtliches Abschiebungshindernis) oder zumindest nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG (Ermessensduldung) erfüllt sein (BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 2019 - 1 C 34.18 - juris Rn. 30).
16 Gemessen daran haben die Antragsteller die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Erlass einer Verfahrensduldung nicht glaubhaft gemacht.
17 1. Es ist bislang nicht glaubhaft gemacht, dass der Antragsteller zu 1 die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25b Abs. 1 AufenthG erfüllt.
18 a) Zwar dürfte es sich bei ihm um einen geduldeten Ausländer i.S.d. § 25b Abs. 1 Satz 1 AufenthG handeln. [...]
21 b) Die Antragsteller haben jedoch nicht glaubhaft gemacht, dass der Antragsteller zu 1 die Regelerteilungsvoraussetzungen des § 25b Abs. 1 Satz 2 AufenthG erfüllt.
22 aa) Zwar liegt - entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts - die gemäß § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AufenthG erforderliche Voraufenthaltszeit von mindestens 6 Jahren vor, da sich der Antragsteller zu 1 seit 2012 ununterbrochen gestattet bzw. geduldet im Bundesgebiet aufhält. Der Umstand, dass die Aufenthaltszeit jedenfalls teilweise auf die Identitätstäuschung des Antragstellers zu 1 zurückzuführen ("erschlichen") ist, ist insoweit ohne Belang. [...]
23 bb) Es ist auch davon auszugehen, dass der Antragsteller zu 1 sich gemäß § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AufenthG zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekennt. Dieser Nachweis ist regelmäßig durch eine schriftliche Erklärung entsprechend der Einbürgerungspraxis (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG) zu erbringen. [...] Hierfür dürfte regelmäßig die Abgabe einer Loyalitätserklärung nach Nr. 10.1.1.1 der vorläufigen Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern vom 1. Juni 2015 zum Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) - VAH-StAG - zu verlangen sein.
24 Die Antragsteller haben jedoch bislang nicht glaubhaft gemacht, dass der Antragsteller zu 1 gemäß § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AufenthG über Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet verfügt. Diese Grundkenntnisse werden in der Regel durch Bestehen des bundeseinheitlichen Tests "Leben in Deutschland" zum Orientierungskurs nach § 17 Abs. 1 Nr. 2 IntV nachgewiesen (Urteil des Senats vom 7. Dezember 2016 - 2 L 18/15 - a.a.O. Rn. 35; VGH BW, Urteil vom 23. September 2021 - 11 S 1966/19 - juris Rn. 102; AA zu § 25b AufenthG, Teil II Abschnitt D, S. 6). Dieser Test kann auch isoliert, ohne Teilnahme am Orientierungs- bzw. Integrationskurs, abgelegt werden (AA NRW zu § 25b AufenthG, Abschnitt 2.2.3, S. 16). Der Nachweis der Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet durch einen bestandenen Test "Leben in Deutschland" fehlt bislang. [...]
25 cc) Darüber hinaus ist nicht glaubhaft gemacht, dass der Antragsteller zu 1 i.S.d. § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Alt. 1 AufenthG seinen Lebensunterhalt überwiegend durch Erwerbstätigkeit sichert.
26 Eine überwiegende Lebensunterhaltssicherung i.S.d. § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AufenthG liegt vor, wenn durch die bereits ausgeübte Erwerbstätigkeit ein Einkommen von mehr als 50 % der zu berücksichtigenden Regelsätze des § 20 SGB II zuzüglich der Bedarfe für Unterkunft und Heizung des § 22 SGB II dauerhaft erwirtschaftet wird (Urteil des Senats vom 7. Dezember 2016 - 2 L 18/15 - a.a.O. Rn. 39; AA NRW zu § 25b AufenthG, Abschnitt 2.2.4.1, S. 17 f.). Bezugspunkt für die Lebensunterhaltssicherung ist die Bedarfsgemeinschaft (Urteil des Senats vom 7. Dezember 2016 - 2 L 18/15 - a.a.O. Rn. 40 m.w.N.; AA zu § 25b AufenthG, Teil II Abschnitt E, S. 7; AA NRW zu § 25b AufenthG, Abschnitt 2.2.4.1, S. 17 f.). Der teilweise vertretenen Auffassung, der Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft sei bei geduldeten Ausländern, die dem AsylbLG unterfallen, nicht maßgeblich (vgl. SchlHOVG, Beschluss vom 14. Oktober 2021 - 4 MB 49/21 - a.a.O. Rn. 13) folgt der Senat nicht. Die Definition der Sicherung des Lebensunterhalts in § 2 Abs. 3 AufenthG lässt eine derartige Differenzierung nicht zu. [...]
32 ff) Die Antragsteller haben nicht glaubhaft gemacht, dass sich der Antragsteller zu 1 i.S.d. § 25b Abs. 1 Satz 1 AufenthG nachhaltig in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland integriert hat, obwohl er die Regelerteilungsvoraussetzungen des § 25b Abs. 1 Satz 2 AufenthG nicht vollständig erfüllt bzw. nachgewiesen hat. Da die Voraussetzungen des § 25b Abs. 1 Satz 2 AufenthG nur "regelmäßig" gegeben sein müssen, kann von einer nachhaltigen Integration im Einzelfall auch dann auszugehen sein, wenn sie nicht vollständig erfüllt werden, der Ausländer aber besondere Integrationsleistungen von vergleichbarem Gewicht erbracht hat oder einzelne benannte Integrationsvoraussetzungen "übererfüllt", und dadurch das nicht vollständig erfüllte "Regel-Merkmal" kompensiert wird. In derartigen Fällen ist grundsätzlich eine Gesamtschau der Umstände des Einzelfalls vorzunehmen (BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 2019 - 1 C 34.18 - a.a.O. Rn. 32; Urteil des Senats vom 7. Dezember 2016 - 2 L 18/15 - a.a.O. Rn. 32; VGH BW, Urteil vom 23. September 2021 - 11 S 1966/19 - a.a.O. Rn. 106; vgl. auch BT-Drs. 18/4097, S. 42).
33 Ein solcher Ausnahmefall ist vorliegend nicht erkennbar. Besondere Integrationsleistungen des Antragstellers zu 1 von vergleichbarem Gewicht, die das Fehlen der oben genannten Regelerteilungsvoraussetzungen des § 25b Abs. 1 Satz 2 AufenthG aufwiegen könnten, liegen nicht vor. Zwar war der Antragsteller zu 1 seit dem 8. August 2018 in einem Wohnzentrum der Antragsgegnerin im Rahmen der Asylbetreuung der Volkssolidarität als sog. Willkommenslotse tätig (GA Bl. 30 R f.). Zudem ist er nach seinen Angaben als Rettungsschwimmer seit dem 9. Juni 2021 Mitglied des DLRG (BA Bl. 524 ff.). Schließlich nahm er im Juli 2021 als Mitarbeiter einer Baufirma an einer Hilfslieferung von Sachspenden und Werkzeug nach Bad Neuenahr in Rheinland-Pfalz teil, die dazu diente, den Opfern der Flutkatastrophe im Ahrtal zu helfen (GA Bl. 40 R f.). Zwar kommt hierin ein anerkennenswertes gesellschaftliches Engagement des Antragstellers zu 1 zum Ausdruck. Allerdings ist dies nicht von solchem Gewicht, dass hierdurch das Fehlen der oben genannten Regelmerkmale kompensiert werden kann. [...]
35 § 25b Abs. 2 Nr. 1 AufenthG erfasst nur aktuelle Täuschungshandlungen oder Mitwirkungspflichtverletzungen. Dies folgt schon aus der im Wortlaut der Regelung verwendeten Präsensform ("verhindert oder verzögert"). Es entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers, denn nach der Begründung des Gesetzentwurfs knüpft die Regelung "nur an aktuelle Mitwirkungsleistungen des Ausländers" an (BT Drs. 18/4097, S. 44). Zwar soll mit der Regelung "keine Amnestie für jedes Fehlverhalten in den vorangegangenen Verfahren" verbunden sein (BT-Drs. 18/4097, S. 44). Dies ändert aber nichts daran, dass der zwingende Versagungsgrund des § 25b Abs. 2 Nr. 1 AufenthG ein aktuelles Fehlverhalten des Ausländers voraussetzt (BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 2019 - 1 C 34.18 - a.a.O. Rn. 56; OVG NRW, Beschluss vom 21. Juli 2015 - 18 B 486/14 - juris Rn. 8; Beschluss des Senats vom 23. September 2015 - 2 M 121/15 - juris Rn. 10; HambOVG, Beschluss vom 19. Mai 2017 - 1 Bs 207/16 - juris Rn. 31; NdsOVG, Beschluss vom 4. September 2019 - 13 LA 146/19 - juris Rn. 5; Röcker, in: Bergmann/Dienelt, a.a.O., § 25b AufenthG Rn. 32).
36 Hiernach liegen die Voraussetzungen des Versagungsgrundes des § 25b Abs. 2 Nr. 1 AufenthG nicht vor, da die Antragsteller im Mai 2016 durch die Vorlage der Kopien ihrer Geburtsurkunden nebst deutscher Übersetzung (BA Bl. 81 ff.) die mit der Stellung des Asylantrags begonnene Identitätstäuschung aufgegeben und ihre Identität offengelegt haben. [...]
37 In der Vergangenheit liegende Mitwirkungspflichtverletzungen oder Täuschungshandlungen, die nicht mehr fortwirken, können aber einen Ausnahmefall begründen, der die regelmäßig vorgegebene Rechtsfolge ("soll erteilt werden") zu einer Ermessensregelung herabstuft (BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 2019 - 1 C 34.18 - a.a.O. Rn. 56). Gute Integration setzt nach der Vorstellung des Gesetzgebers die Akzeptanz der hiesigen Rechtsordnung und Kultur voraus. Dazu gehören insbesondere wahrheitsgemäße Angaben über die eigene Identität (VGH BW, Beschluss vom 14. Januar 2020 - 11 S 2956/19 - juris Rn. 21). Ein von dem Versagungsgrund des § 25b Abs. 2 Nr. 1 AufenthG nicht erfasstes, in der Vergangenheit liegendes Fehlverhalten in Form von Identitätstäuschungen, fehlender Mitwirkung an der Beseitigung von Ausreisehindernissen o.ä. dürfte zwar nicht dazu führen, dass trotz Vorliegens der Regelerteilungsvoraussetzungen des § 25b Abs. 1 Satz 2 AufenthG eine nachhaltige Integration zu verneinen ist (HambOVG, Beschluss vom 19. Mai 2017 - 1 Bs 207/16 - a.a.O. Rn. 33 ff.; Kluth, in: Kluth/Heusch, a.a.O., § 25b AufenthG Rn. 10; a.A. OVG NRW, Beschluss vom 21. Juli 2015 - 18 B 486/14 - a.a.O. Rn. 8; NdsOVG, Beschluss vom 17. März 2022 - 13 ME 91/22 - juris Rn. 11). Jedoch dürfte bei einer in der Vergangenheit liegenden Identitätstäuschung unter bestimmten Voraussetzungen ein Ausnahmefall von der Regelerteilungsnorm des § 25b Abs. 1 Satz 1 AufenthG ("soll") anzunehmen sein mit der Folge, dass über den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b Abs. 1 AufenthG (nur) nach Ermessen zu entscheiden ist (Beschluss des Senats vom 23. September 2015 - 2 M 121/15 - a.a.O. Rn. 10; HambOVG, Beschluss vom 19. Mai 2017 - 1 Bs 207/16 - a.a.O. Rn. 42 ff.; SchlHOVG, Beschluss vom 14. Oktober 2021 - 4 MB 49/21 - a.a.O. Rn. 28; offen: Röcker, in: Bergmann/Dienelt, a.a.O., § 25b AufenthG Rn. 32).
38 Maßgeblich für die Frage, ob ein solcher Ausnahmefall anzunehmen ist, sind in erster Linie Art und Dauer der in der Vergangenheit liegenden Identitätstäuschung (OVG NRW, Beschluss vom 21. Juli 2015 - 18 B 486/14 - a.a.O. Rn. 15; Beschluss des Senats vom 23. September 2015 - 2 M 121/15 - a.a.O. Rn. 10; Kluth, in: Kluth/Heusch, a.a.O., § 25b AufenthG Rn. 28a) sowie der Zeitraum zwischen der Richtigstellung von Identität und Staatsangehörigkeit und der Antragstellung bzw. der Entscheidung über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25b Abs. 1 AufenthG (HambOVG, Beschluss vom 19. Mai 2017 - 1 Bs 207/16 - a.a.O. Rn. 47; SchlHOVG, Beschluss vom 14. Oktober 2021 - 4 MB 49/21 - a.a.O. Rn. 27). Hierbei wird in aller Regel nicht verlangt werden können, dass der Ausländer unabhängig von dem "erschlichenen" Zeitraum die zeitlichen Voraussetzungen des § 25b Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 AufenthG erfüllt (so aber in einem Einzelfall NdsOVG, Beschluss vom 4. September 2019 - 13 LA 146/19 - a.a.O. Rn. 10). Generell ist zu berücksichtigten, dass § 25b AufenthG nach den Vorstellungen des Gesetzgebers eine Umkehrmöglichkeit für Ausländer darstellen soll, die in einer Sondersituation getroffenen Fehlentscheidungen zu korrigieren, und andererseits einen Lösungsweg für langjährig anhaltende ineffektive Verfahren zwischen Ausländer einerseits und den staatlichen Stellen andererseits bieten soll, die ansonsten weiterhin keiner Lösung zugeführt werden können. In der Vergangenheit liegende falsche Angaben können daher bei "tätiger Reue" außer Betracht bleiben (BT-Drs. 18/4097, S. 44). [...]
43 bb) Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraus, dass kein Ausweisungsinteresse besteht. Diese allgemeine Erteilungsvoraussetzung dürfte der Antragsteller zu 1 nicht erfüllen. Gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG liegt bei einem nicht nur geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse vor. Das dürfte hier der Fall sein, denn der Antragsteller zu 1 dürfte sich durch die Identitätstäuschung im Asylverfahren gemäß § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG strafbar gemacht haben. Hiernach wird mit Freiheitsstraße bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder benutzt, um für sich oder einen anderen einen Aufenthaltstitel oder eine Duldung zu beschaffen. Zwar dürfte der spezialpräventive Zweck, der mit der Prüfung eines Ausweisungsinteresses bei der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis verfolgt wird, im vorliegenden Fall nicht mehr gegeben sein, da die Identität des Antragstellers zu 1 inzwischen geklärt ist, so dass keine Wiederholungsgefahr besteht (vgl. HambOVG, Beschluss vom 19. Mai 2017 - 1 Bs 207/16 - a.a.O. Rn. 41). Fehlt es - wie hier - an einer Wiederholungsgefahr, kommt jedoch im Rahmen des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG auch ein Ausweisungsinteresse aus generalpräventiven Gründen in Betracht (vgl. SchlHOVG, Beschluss vom 14. Oktober 2021 - 4 MB 49/21 - a.a.O. Rn. 23). Bei der Anwendung von § 25b AufenthG kann jedoch gemäß § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG vom Erfordernis des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG im Ermessenswege abgesehen werden. [...]
44 Ob nach diesen Maßstäben im vorliegenden Fall gemäß § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG von der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG abzusehen ist, bedarf keiner Vertiefung, da bereits - wie ausgeführt - das Vorliegen der Regelerteilungsvoraussetzungen des § 25b Abs. 1 Satz 2 AufenthG nicht glaubhaft gemacht ist. [...]