VG Gelsenkirchen

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Zitieren als:
VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 19.12.2022 - 16 L 928/22 - asyl.net: M31217
https://www.asyl.net/rsdb/m31217
Leitsatz:

Kein Eilrechtsschutz für ghanaischen Studenten aus der Ukraine:

1. Personen, die in der Ukraine lediglich ein befristetes Aufenthaltsrecht innehatten, ist gemäß § 24 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 2 Abs. 3 Durchführungsbeschluss (EU) 2022/382 nur dann eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn sie nicht sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland zurückkehren können.

2. Der Umstand, dass ein Studium oder eine vergleichbare Ausbildung im Herkunftsland nicht möglich sein wird, begründet kein solches Rückkehrhindernis gemäß Art. 2 Abs. 3 Durchführungsbeschluss (EU) 2022/382.

(Leitsätze der Redaktion)

Siehe auch:

  • Fragen und Antworten: Perspektiven für nicht-ukrainische Staatsangehörige, die aus der Ukraine geflüchtet sind, asyl.net

Schlagwörter: Ukraine, Drittstaatsangehörige, Zumutbarkeit, Rückkehr, Ukraine-Krieg, Student, Ukraine-Aufenthalts-Übergangsverordnung, UkraineAufenthÜV, Richtlinie zum vorübergehenden Schutz, Massenzustromsrichtlinie, Ghana,
Normen: Durchführungsbeschluss (EU) 2022/382 Art. 2 Abs. 3, AufenthG § 24 Abs. 1, AufenthG § 60 Abs. 5, RL 2001/55/EG, VwGO § 80 Abs. 5,
Auszüge:

[...]

Der Antrag ist zwar zulässig. Nach§ 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung u.a. in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nr. 3, in denen die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage kraft Bundesrechts entfällt, ganz oder teilweise anordnen. Im vorliegenden Fall entfaltet die Klage des Antragstellers gegen die Ablehnung seines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 24 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) in der Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 21. Juni 2022 kraft Bundesrechts keine aufschiebende Wirkung, § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG. [...]

Der Antrag ist aber unbegründet. [...]

Der Antragsteller hat nämlich nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes einzig möglichen und gebotenen summarischen Prüfung keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Ein solcher Anspruch ergibt sich insbesondere nicht aus § 24 Abs. 1 AufenthG. [...]

Die Schutzgewährungs- bzw. Massenzustrom-RL 2001/55/EG, wurde mit Beschluss der EU-Innenminister vom 3. März 2022 im Hinblick auf diejenigen Menschen erstmals aktiviert, die vor dem am 24. Februar 2022 begonnenen Angriff Russlands auf die Ukraine fliehen. Der entsprechende Durchführungsbeschluss (EU) 2022/382 des Rates vom 4. März 2022 zur Feststellung des Bestehens eines Massenzustroms von Vertriebenen aus der Ukraine im Sinne des Artikels 5 der Richtlinie 2001/55/EG des Rates vom 20. Juli 2001 und zur Einführung eines vorübergehenden Schutzes regelt die Einzelheiten. Insbesondere sieht er die Aufnahme nicht nur von Menschen mit ukrainischer Staatsangehörigkeit und deren Familienangehörigen, sondern auch von Staatenlosen bzw. Drittstaatsangehörigen, die in der Ukraine internationalen oder einen gleichwertigen nationalen Schutz genossen haben oder sich aus anderen Gründen rechtmäßig dort aufgehalten haben, wie z. B. Studenten, vor (vgl. VG Dresden, Beschluss vom 3. November 2022 - 3 L 644/22 -, juris; Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Auflage 2022, § 24 AufenthG, Rn. 16 f.).

Der Antragsteller gehört nicht zu der hiernach gemäß § 24 Abs. 1 AufenthG anspruchsberechtigten Personengruppe, weil er nicht unter den in Art. 2 Durchführungsbeschluss (EU) 2022/382 bezeichneten Personenkreis fällt. [...]

Nach Abs. 3 können die Mitgliedstaaten schließlich den Beschluss auch auf andere Personen, insbesondere Staatenlose und Staatsangehörige anderer Drittländer als der Ukraine anwenden, die sich rechtmäßig in der Ukraine aufhielten und nicht sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland oder ihre Herkunftsregion zurückkehren können.

Der Antragsteller ist kein ukrainischer Staatsangehöriger, er hat in der Ukraine nicht über internationalen oder vergleichbaren nationalen Schutz verfügt und war dort auch nicht im Besitz eines unbefristeten Aufenthaltstitels. Dem sich lediglich im Besitz einer befristeten ukrainischen Aufenthaltserlaubnis befindlichen Antragsteller ist ebenfalls nicht nach Maßgabe des Art. 2 Abs. 3 des Durchführungsbeschlusses (EU) 2022/382 eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 24 Abs. 1 AufenthG zu erteilen. Voraussetzung hierfür ist, dass die fraglichen Personen nicht sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland oder ihre Herkunftsregion zurückkehren können. Dem 2. sowie dem 3. Länderschreiben des Bundesministeriums des Innern und für Heimat zur Umsetzung des Durchführungsbeschlusses des Rates zur Feststellung des Bestehens eines Massenzustroms im Sinne des Art. 5 der Richtlinie 2001/55/EG und zur Einführung eines vorübergehenden Schutzes vom 14. April 2022 und vom 5. September 2022 zufolge ist weder in der Richtlinie 2001/55/EG noch im Ratsbeschluss festgelegt, wann eine Person nicht in der Lage ist, sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland zurückzukehren. Vielmehr soll diese Frage in einem Verfahren sui generis geprüft werden. Als Beispiel für eine unmögliche sichere Rückkehr nennt die Kommission das offensichtliche Risiko für die Sicherheit der betroffenen Personen aufgrund bewaffneter Konflikte, dauernder Gewalt, dokumentierter Gefahren der Verfolgung oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung. Für eine dauerhafte Rückkehr soll nach Auffassung der Kommission die betreffende Person aktive Rechte in ihrem Herkunftsland oder in ihrer Herkunftsregion und die Möglichkeit der Reintegration in die Gesellschaft haben. Dabei sollen die besonderen Bedürfnisse schutzbedürftiger Personen, insbesondere (unbegleiteter) Minderjähriger und Waisen angemessen berücksichtigt werden. Als Maßstab können dabei dem Länderschreiben des Bundesministeriums des Innern und für Heimat zufolge die Voraussetzungen von § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG herangezogen werden. [...]

Für ein Hindernis des Antragstellers, sicher und dauerhaft nach Ghana zurückzukehren, bestehen vorliegend keine hinreichenden Anhaltspunkte. Insbesondere eine dem Antragsgegner am 9. Juni 2022 übersandte Stellungnahme, er sei Waisenkind und wisse nun nicht, wie er sein Leben in Ghana fortführen solle, weil alle Ersparnisse aufgebraucht seien und ihn auch seine dort verbliebene Schwester nicht unterstützen könne, begründet keinen hinreichenden Grund, nicht nach Ghana zurückehren zu können. Gleiches gilt für seine Befürchtung, dass die ghanaische Regierung ihn im Stich lassen werde und er nicht in der Lage sein werde, sein Studium zu beenden. Auch wenn dem Länderschreiben des Bundesministeriums des Innern und für Heimat zufolge die besonderen Bedürfnisse von Waisen angemessen berücksichtigt werden sollen, folgt hieraus nicht, dass die Eigenschaft als Waise bereits genügt, um ein Hindernis für eine dauerhafte Rückkehr begründen zu können. Vielmehr sind die individuellen Gesamtumstände betroffener Personen in den Blick zu nehmen. Vorliegend hat der 24-jährige Antragsteller in seinem an den Antragsgegner gerichteten Schreiben neben seiner Waiseneigenschaft primär als Rückkehrhindernis angeführt, dass seine Ersparnisse aufgebraucht seien und er in Ghana keine berufliche und wirtschaftliche Perspektive habe. Umstände, die ein Abschiebungshindernis gemäß § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG begründen könne, hat der er dabei nicht substantiiert vorgetragen. [...]

Insbesondere genügt der Umstand, dass eine solche Person in ihrem Heimatland bzw. in ihrer Herkunftsregion keine Möglichkeit sieht, ihr Studium zu beenden oder eine vergleichbare Ausbildung zu genießen, ersichtlich nicht für die Annahme eines Rückkehrhindernisses. [...]