VG Schleswig-Holstein

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Zitieren als:
VG Schleswig-Holstein, Urteil vom 09.11.2022 - 3 A 139/21 - asyl.net: M31112
https://www.asyl.net/rsdb/m31112
Leitsatz:

Zu den Anforderungen an die Belehrung über die Rechtsfolgen des Nichtbetreibens:

Die Einstellung des Verfahrens wegen Nichtbetreiben des Asylverfahrens ist nur dann möglich, wenn die betroffene Person schriftlich und gegen Empfangsbekenntnis darauf hingewiesen wurde. Eine hinreichende Belehrung kann unter Umständen eine Übersetzung in eine Sprache erfordern, die den Personen geläufig ist.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Nichtbetreiben des Verfahrens, Einstellung, Asylverfahren, Mitwirkungspflicht, Rücknahmefiktion, Belehrung, Empfangsbestätigung, Sprache,
Normen: AsylG § 33, AsylG § 32, AsylG 25
Auszüge:

[...]

Nach diesen Vorschriften gilt der Asylantrag als zurückgenommen, wenn der Ausländer das Verfahren nicht betreibt, wobei ein solcher Sachverhalt vermutet wird, wenn er einer Aufforderung zur Anhörung gemäß § 25 AsylG nicht nachgekommen ist (33 Abs. 1 und Abs. 2 Ziffer 1 2. Alternative AsylG).

Zutreffend hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zwar festgestellt, dass die Eltern der Antragstellerin zur Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 27 Mai 2021 ohne Rechtfertigungsgründe nicht erschienen sind, obwohl ihnen eine entsprechende Ladung mit Schreiben vom 5. Mai 2021 am 8. Mai 2021 per Postzustellungsurkunde zugestellt wurde.

Eine Einstellung des Verfahrens kommt jedoch deshalb nicht in Betracht, weil die Anforderungen des § 33 Absatz 4 AsylG hier nicht erfüllt sind. Danach ist der Ausländer auf die nach § 33 Abs. 1 und Abs. 3 AsylG eintretenden Rechtsfolgen schriftlich und gegen Empfangsbestätigung hinzuweisen. Die Rücknahmefiktion des § 33 Abs. 1 AsylG tritt nur ein, wenn der Ausländer in diesem Sinne belehrt worden ist, wie aus Wortlaut und Zweck der Norm folgt, denn es handelt sich nicht um eine bloße Ordnungsvorschrift (so z.B OVG Schleswig, Beschluss vom 12. Mai 2017, 4 LA 45/17).

Eine hinreichende Belehrung in diesem Sinne ist hier nicht festzustellen. Der in dem Ladungsschreiben vom 5. Mai 2021 enthaltene Hinweis auf die nachteiligen Folgen eines Nichterscheinens zur Anhörung ist ausschließlich in deutscher Sprache erteilt worden. Dies genügt hier nicht den Ansprüchen einer ordnungsgemäßen Belehrung, denn die Klägerin und ihre Eltern beherrschen nicht die deutsche Sprache. Die Antragstellerin war zum Zeitpunkt der Zustellung nicht anwaltlich vertreten, sodass es nach den Umständen des vorliegenden Falles erforderlich gewesen wäre, die in der Ladung enthaltene Belehrung in eine Sprache zu übersetzen, die den gesetzlichen Vertretern der Klägerin geläufig war (vgl. hierzu VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 23. Januar 2018, A 9 S 350/17; VG Lüneburg, Beschluss vom 23. Juni 2017, 6 B 57/17 unter Hinweis auf Art. 12 Abs. 1 Buchstabe a der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013). Die Mutter der Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung hierzu angegeben, sie hätten diese Ladung tatsächlich erhalten, hätten den Inhalt aber nicht verstanden. Damit ist zwar inzwischen ein Zugang der Belehrung erwiesen, der einer Empfangsbestätigung im Sinne von § 33 Abs. 4 AsylG entspricht, jedoch ist das hier anzunehmende Erfordernis einer Übersetzung der Belehrung in die englische Sprache zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der Ladung nicht erfüllt. [...]

Nach Sinn und Zweck der Vorschrift ist daher eine qualifizierte Bekanntgabe in der Form zu verlangen, dass eine persönliche Bestätigung der Entgegennahme durch die als Empfänger bestimmte Person oder einen befugten Dritten vorliegt. Dieses Verständnis einer Art "Übernahmequittung" liegt auch sonst im Rechtsverkehr dem Umgang mit Empfangsbestätigungen zugrunde (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 24.10.2002, I ZR 104/00 zur Empfangsbestätigung bei der Übergabe von Frachtstücken; BGH, Urteil vom 13. Januar 2009, XI ZR 118/08 zur Empfangsbestätigung bei Haustürgeschäften; § 8 DPMAV zur Empfangsbestätigung bei Schutzrechtsanmeldungen). Die bloße Möglichkeit der Kenntnisnahme von einem Brief im Briefkasten reicht daher auch hier für die Annahme einer Empfangsbestätigung nicht aus.

Bei der Zustellung von Belehrungen der in Rede stehenden Art durch Postzustellungsurkunde ist dementsprechend zu differenzieren. Wird die Belehrung nach § 33 Abs. 4 AsylG durch Postzustellungsurkunde mittels persönlicher Übergabe zugestellt, dürfte das Erfordernis einer Empfangsbestätigung erfüllt sein. Eine Ersatzzustellung gemäß § 3 Abs. 2 Verwaltungszustellungsgesetz in Verbindung mit § 180 ZPO durch Einwurf einer Benachrichtigung in den Hausbriefkasten kann dagegen nicht als Empfangsbestätigung angesehen werden, denn die Zurechnung einer bloßen Kenntnisnahmemöglichkeit von einer Belehrung ist mit Sinn und Zweck von § 33 Abs. 4 AsylG nicht vereinbar. [...]