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VG Osnabrück

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Zitieren als:
VG Osnabrück, Urteil vom 22.08.2022 - 5 A 190/21 - asyl.net: M31004
https://www.asyl.net/rsdb/m31004
Leitsatz:

Abschiebungsverbot für Yezidin hinsichtlich des Irak:

1. Die Voraussetzungen für die Annahme einer Gruppenverfolgung yezidischer Personen liegen im Irak nicht (mehr) vor. Es besteht auch keine ernsthafte individuelle Bedrohung von Zivilpersonen im Rahmen eines bewaffneten Konflikts gemäß § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG. Im Übrigen bestünde gemäß § 3e Abs. 1 AsylG, § 4 Abs. 3 S. 1 AsylG eine inländische Fluchtalternative in der Autonomen Region Kurdistan.

2. Die Zuerkennung internationalen Schutzes in einem Mitgliedstaat (hier: Griechenland) entfaltet keine Bindungswirkung dergestalt, dass den betroffenen Personen aufgrund dieser auch hier internationaler Schutz zuzuerkennen wäre.

3. Flüchtlingsanerkennungen anderer Staaten nach der GFK kommt insofern Rechtswirkung zu, als das gesetzliche Abschiebungsverbot in den Verfolgerstaat (hier: Irak) gemäß § 60 Abs. 1 S. 2 AufenthG auch für diese gilt. 

4. Die psychisch erkrankte Klägerin (PTBS und Depression) wäre im Falle einer Rückkehr in den Irak nicht in der Lage, dort ein menschenwürdiges Leben zu führen, so dass ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG festzustellen ist.

(Leitsätze der Redaktion, siehe auch: BVerwG, Beschluss vom 07.09.2022 - 1 C 26.21 - asyl.net: M30943; anderer Ansicht hinsichtlich LS 3: VG Stuttgart, Urteil vom 18.02.2022 - A 7 K 3174/21 - asyl.net: M30921)

Schlagwörter: Yeziden, Irak, internationaler Schutz in EU-Staat, ausländische Anerkennung, Gruppenverfolgung, interne Fluchtalternative, Abschiebungsverbot, Abschiebungshindernis, inlandsbezogenes Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot,
Normen: AsylG § 3, AsylG § 3e Abs. 1, AsylG § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, AsylG § 4 Abs. 3 S. 1, GFK, AEUV Art. 78 Abs. 2 Bst. a, AEUV Art. 78 Abs. 2 Bst. b, RL 2011/95/EU, RL 2013/32/EU Art. 33 Abs. 2 Bst. a, GR-Charta Art. 4, EMRK Art. 3, AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2, AufenthG § 60 Abs. 1 S. 2, AufenthG § 60 Abs. 5, AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1,
Auszüge:

[...]

Die zulässige Klage ist nur im tenoriertem Umfang begründet. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. [...]

Die Kläger können sich nicht auf die Gruppenverfolgung der Yeziden im Irak berufen.

Maßgeblicher Zeitpunkt der Sach- und Rechtslage ist gem. § 77 Abs. 1 AsylG der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung.

Die Kammer kann deshalb offenlassen, ob zum Zeitpunkt der Ausreise aus dem Irak eine Vorverfolgung bestand. Die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU, dass die Furcht vor zukünftiger Verfolgung begründet ist, wenn eine Verfolgung in der Vergangenheit bestanden hat, ist nämlich (inzwischen) widerlegt. [...]

Nach diesem Maßstab liegen Voraussetzungen für die Annahme einer Gruppenverfolgung der Yeziden im Irak nicht (mehr) vor.

Der IS wurde im Irak 2017 in der Fläche besiegt (vergleiche Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 12.1.2019, Seite 4). Die von ihm kontrollierten Gebiete wurden nach und nach durch irakische Sicherheitskräfte einschließlich der kurdischen Peshmerga befreit. [...]

Sie hätten zudem eine inländische Fluchtalternative in der Autonomen Region Kurdistan, wo sie sich bis zu ihrer Ausreise in einem Flüchtlingslager aufgehalten haben. Sie haben selbst nicht geltend gemacht, dort verfolgt zu werden. [...]

Die Kläger können sich auch nicht darauf berufen, dass eine Bindungswirkung vorliegt, dass ihnen in Griechenland internationaler Schutz zuerkannt worden sei. [...]

Diese ergibt sich nicht aus Völkerrecht. Die Anerkennung als politischer Flüchtling durch einen anderen Vertragsstaat des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28.7.1951 (GFK) entfaltet keine Bindungswirkung für inländische Behörden.  [...]

Eine Bindungswirkung ergibt sich auch nicht aus dem Unionsrecht.

Nach Art 78 Abs. 2 Bst. a und b AEUV besteht zwar die Kompetenz der Europäischen Union zur Festlegung eines in der ganzen Union einheitlichen Flüchtlingsstatus und eines einheitlichen subsidiären Schutzstatus für Drittstaatsangehörige. Damit wird eine Vereinheitlichung des materiellen Asylrechts, also der rechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung von internationalem Schutz angestrebt. [...]

Zur Vereinheitlichung des Asylsystems wurden auch die für Asylanträge geltenden materiell-rechtlichen Regelungen (Richtlinie 2011/95/EU vom 13.11.2011 - Qualifikationsrichtlinie -) und die Verfahrensgrundsätze (RL 2013/32/EU vom 26.06.2013 - Verfahrensrichtlinie, VRL -) in weitem Umfang auf Unionsebene harmonisiert.

Der von einem Asylbewerber gestellte Antrag soll daher weitgehend nach den gleichen Regelungen geprüft werden, welcher Mitgliedstaat auch immer für seine Prüfung nach der Dublin II-VO bzw. Dublin III-VO zuständig ist (EuGH a.a.O).

Diese vom Unionsgesetzgeber gewollte weitgehende Einheitlichkeit führt allerdings nicht dazu, dass die von einem anderen Mitgliedsstaat getroffene asylrechtliche Entscheidung für alle anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union verbindlich wäre.

Die Verfahrensrichtlinie, insbesondere deren Art 33 Abs. 2 Buchst. a, ergibt auch unter Berücksichtigung der dazu ergangenen Rechtsprechung des EuGH keine Bindungswirkung von Entscheidungen eines Mitgliedsstaates, die einem Antragsteller internationalen Schutz zuerkannt haben. [...]

Eine Bindungswirkung der Zuerkennung internationalen Schutzes durch einen anderen Mitgliedsstaat ergibt sich auch nicht aus nationalem Recht.

Gem. § 60 Abs. 1 S. 2 AufenthG werden zwar im nationalen Recht den Anerkennungsentscheidungen anderer Staaten zumindest im Hinblick auf die Flüchtlingsanerkennung in begrenztem Umfang Rechtswirkungen auch in der Bundesrepublik Deutschland beigemessen. [...]

Hinsichtlich des Klägers zu 1. liegen nationale Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vor. [...]

Es ist nicht vorgetragen worden, dass der Kläger zu 1. bei einer Rückkehr in den Irak nicht in der Lage wäre, sein Existenzminimum und auch das seiner Ehefrau sicherzustellen.

Anders ist dies zur Überzeugung der Kammer im Falle der Klägerin zu 2. Diese leidet aufgrund des Umstandes, dass fast alle ihrer Familienangehörigen durch den IS getötet wurden, an einer posttraumatischen Belastungsstörung und an Depressionen. Aufgrund des persönlichen Eindrucks, den die erkennende Einzelrichterin in der mündlichen Verhandlung gewonnen hat, ist die Klägerin zu 2. nicht in der Lage, bei einer Rückkehr in den Irak, sei es in die Autonome Region Kurdistan oder in ihre Herkunftsprovinz im Zentralirak, dort aufgrund der von ihr geltend gemachten psychischen Schwierigkeiten, ein menschenwürdiges Leben zu führen. Die Kammer geht davon aus, dass die Depressionen der Klägerin zu 2. diese bei einer Rückkehr in den Irak so treffen würden, dass sie dort auch unter Zuhilfenahme der Unterstützung ihres Ehemannes im Ergebnis nicht mehr zurechtkäme. [...]