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VG Mainz

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Zitieren als:
VG Mainz, Urteil vom 25.03.2022 - 4 K 476/21.MZ (Asylmagazin 5/2022, S. 176 ff.) - asyl.net: M30590
https://www.asyl.net/rsdb/m30590
Leitsatz:

Identität bei Einbürgerung auch durch Zeug*innen nachweisbar:

1. Bei Beantragung der Einbürgerung befindet sich eine Person, die lediglich im Besitz nicht anerkennungsfähiger Identitätsdokumente ist (hier aus Somalia nach 1991), in einer unverschuldeten Beweisnot.

2. Bei einer solchen unverschuldeten Beweisnot ist der Identitätsnachweis auch durch Erklärungen oder eidesstattliche Versicherungen von Verwandten möglich. Dies gilt insbesondere, wenn diese in Ländern eingebürgert wurden, die ähnliche Anforderungen an den Identitätsnachweis stellen wie Deutschland (z.B. Schweden, aber auch USA) und wenn die Verwandten somalische amtliche Urkunden vorgelegt haben, die aus der Zeit vor Januar 1991 stammen.

(Leitsätze der Redaktion; unter Bezug auf BVerwG, Urteil vom 23.09.2020 - 1 C 36.19 - asyl.net: M29222)

Schlagwörter: Einbürgerung, Somalia, Identitätsklärung, Zeugen, Beweisnot, Beweismittel, Dokumente, Erklärung, eidesstattliche Versicherung, Verwandte, Identitätsnachweis, Nachweis,
Normen: StAG § 10 Abs. 1 S. 1, VwVfG § 26 Abs. 1 S. 2 Nr. 2,
Auszüge:

[...]

Der Kläger hat einen Anspruch auf Einbürgerung in den deutschen Staatsverband nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Staatsangehörigkeitsgesetz – StAG. [...]

Zwischen den Beteiligten im Streit steht vorliegend allein die Klärung der Identität und Staatsangehörigkeit des Klägers. Die Kammer geht indes vom Vorliegen auch dieser Voraussetzung aus. [...]

Die Voraussetzungen für die Klärung der Identität müssen jedoch so ausgestaltet sein, dass es bis zur Grenze der objektiven Möglichkeit und subjektiven Zumutbarkeit mitwirkenden Einbürgerungsbewerbern auch dann möglich bleibt, ihre Identität nachzuweisen, wenn sie sich in einer Beweisnot befinden, etwa weil deren Herkunftsländer nicht über ein funktionierendes Personenstandswesen verfügen oder ihre Mitwirkung aus Gründen versagen, die der Ausländer nicht zu vertreten hat, oder weil diese als schutzberechtigte Flüchtlinge besorgen müssen, dass eine auch nur gleichsam technische Kontaktaufnahme mit Behörden des Herkunftslandes Repressalien für Dritte zur Folge hätte (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. September 2020 – 1 C 36/19 –, BVerwGE 169, 269-278, juris Rn. 15).

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind die der Identitätsklärung zugrunde liegenden sicherheitsrechtlichen Belange der Bundesrepublik Deutschland und das grundrechtlich geschützte Recht des Einbürgerungsbewerbers, eine Klärung seiner Identität bewirken zu können, im Rahmen einer gestuften Prüfung einem angemessenen Ausgleich zuzuführen (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. September 2020 a.a.O., juris Rn. 17). [...]

Gemessen an diesen Maßstäben ist die Kammer von der Klärung der Identität und Staatsangehörigkeit des Klägers überzeugt. [...]

Der Kläger, der sich mithin lediglich im Besitz nicht anerkennungsfähiger somalischer Dokumente und somit in einer unverschuldeten Beweisnot befindet, hat seine Identität jedoch mit sonstigen, nach § 1 Abs. 1 LVwVfG i.V.m. § 26 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwVfG zugelassenen Beweismitteln nachgewiesen (dritte Stufe nach der Stufenprüfung des Bundesverwaltungsgerichts). Hierzu zählen insbesondere schriftliche oder elektronische Äußerungen von Zeugen nach § 26 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VwVfG.

So kann die Identität eines Einbürgerungsbewerbers in Beweisnot etwa auch durch Befragung oder Vernehmung von in Deutschland lebenden Personen, die ihn noch aus dem Heimatland kennen, oder durch eidesstattliche Versicherungen solcher Personen festgestellt werden (vgl. OVG RP, Beschluss vom 1. Februar 2016 – 7 A 11020/15.OVG –, S. 4 ff. BA). Der Vorschrift des § 26 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VwVfG kann indes nicht entnommen werden, dass diese auf Äußerungen von in Deutschland lebenden Zeugen beschränkt wäre.

Hier hat der Kläger bereits im Widerspruchsverfahren Erklärungen der Herren [...] und [...] vom [...] und [...] 2020 vorgelegt, die darin bestätigten, der Bruder bzw. der Onkel des Klägers sowie somalischer Herkunft zu  sein. Diese Erklärungen lassen hinreichende Rückschlüsse auf die Identität des Klägers zu.

In seinem Affidavit – dem Äquivalent einer eidesstattlichen Versicherung – erklärte Herr [...] unter Beifügung einer Kopie seines US-amerikanischen Passes, er sei vor seiner Einbürgerung Asylsuchender aus Somalia gewesen und der biologische Bruder des Klägers. Herr [...] erklärte, vor seiner Einbürgerung in Schweden ursprünglich aus Somalia zu stammen und der Onkel mütterlicherseits des Klägers zu sein. Vor allem die Erklärung des [...] ist geeignet, die Angaben des Klägers zu seiner Person zu belegen.

Entgegen der Auffassung der Beklagten steht deren Berücksichtigung nicht entgegen, dass dieser seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hat. Denn es ist auch ohne persönliche Anhörung des Herrn [...] davon auszugehen, dass dessen Identität hinreichend gesichert ist. Dies ergibt sich zum einen aus der Übereinstimmung der Angaben zur Person in seinem schwedischen Pass und der vorgelegten somalischen Identitätskarte vom 1973, zum anderen aus dem Umstand, dass er in Schweden eingebürgert und in diesem Zuge einer Identitätsprüfung unterzogen worden ist. Das schwedische Einbürgerungsverfahren dürfte auch keine im Wesentlichen geringeren Anforderungen an die Identitätsklärung stellen als das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht. So stellt laut der Homepage der schwedischen Migrationsbehörde (https://www.migrationsverket.se/English/Private-individuals/Becoming-a-Swedish-citizen/Apply-for-citizenship/Citizenship-for-adults.html#identity, zuletzt abgerufen am 24. März 2022) der Nachweis der Identität eine der Einbürgerungsvoraussetzungen dar. Hierfür ist grundsätzlich die Vorlage eines Nationalpasses erforderlich. Für Somalia gilt in Schweden – wie auch hier – die Besonderheit, dass Pässe und Identitätsdokumente, die nach Januar 1991 ausgestellt wurden, nicht als berücksichtigungsfähig angesehen werden (https://www.migrationsverket.se/English/Private-individuals/Becoming-a-Swedish-citizen/Migration-Agencys-assessment-of-identity-documents.html#Somalia, zuletzt abgerufen am 24. März 2022). [...]

Es dürfte jedoch davon auszugehen sein, dass Herr [...] im schwedischen Einbürgerungsverfahren seine Identität bereits durch Vorlage des im hiesigen Klageverfahren ebenfalls in Kopie vorgelegten, am [...]1973 in Mogadischu ausgestellten und damit in zeitlicher Hinsicht nicht per se von der Berücksichtigung ausgeschlossenen Identitätsdokumentes nachgewiesen haben wird. In inhaltlicher Hinsicht lässt die Erklärung des Herrn [...] im Zusammenhang mit den vorgelegten Unterlagen den Schluss zu, dass dieser tatsächlich der Onkel des Klägers mütterlicherseits ist. [...]

Das damit schlüssig dargelegte Verwandtschaftsverhältnis begründet gewichtige Anhaltspunkte für die Richtigkeit der Angaben des Klägers zu seiner Person und somalischen Staatsangehörigkeit im streitgegenständlichen Einbürgerungsverfahren.

Dies wird weiter plausibilisiert durch die – eidesstattlich vor einem Notar in Massachusetts versicherten – Angaben des Herrn [...] zum Verwandtschaftsverhältnis als Bruder des Klägers, für das zudem die Identität von Vatersnamen und Namen des Großvaters spricht. Dies gilt, auch wenn Herr [...] anders als der Onkel kein aus der Zeit vor Januar 1991 stammendes, seine Identität bestätigendes somalisches Identitätsdokument vorgelegt hat. Gleichwohl dürfte auch in diesem Fall davon ausgegangen werden können, dass die Identität des Bruders des Klägers im US-amerikanischen Einbürgerungsverfahren hinreichend geprüft worden ist.

Unter Berücksichtigung all dessen ist die Kammer zu der Überzeugung gelangt, dass die im Einbürgerungsverfahren getätigten Angaben des Klägers zu seiner Person korrekt und mithin seine Identität und Staatsangehörigkeit geklärt sind. Dies ergibt sich aus den Angaben des Onkels des Klägers, der eidesstattlichen Versicherung des Bruders und dem Umstand, dass der Kläger seit der Einreise in das Bundesgebiet nur mit einer, nämlich der auch heute verwendeten Identität aufgetreten ist – die im Asylverfahren angegebene Aliasidentität "XXX" stellt eine bloße andere Schreibweise desselben Namens des Klägers und sich somit letztlich als unerheblich dar. Nicht zuletzt spricht dafür, dass es sich bei dem Kläger auch wirklich um die Person des [...] handelt, dass er überhaupt mit seinem Bruder in den USA und seinem Onkel in Schweden in Kontakt treten und deren Erklärungen beschaffen konnte. Dies führt in der Gesamtbetrachtung mit den Angaben des Klägers im Einbürgerungsverfahren und dem Umstand, dass sich auch aus der Ausländerakte und insbesondere der Niederschrift über die Anhörung im Asylverfahren keine Widersprüchlichkeiten ergeben, zu einem stimmigen Gesamtbild von der Identität und Staatsangehörigkeit des Klägers, das mit den von ihm getätigten Angaben übereinstimmt und Zweifeln Einhalt gebietet.

Da somit die Identität und Staatsangehörigkeit des Klägers als geklärt anzusehen sind, ist seine auf Einbürgerung gerichtete Verpflichtungsklage erfolgreich. [...]